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33 Bewertungsrecht;Norm
BewG 1955 §13 Abs2;Beachte
Besprechung in: ÖStZB 1992, 4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Schubert, Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der X-Ges.m.b.H. gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 12. Februar 1988, Zl. 634/1-8/E-1987, betreffend die Feststellung des gemeinen Wertes von Gesellschaftsanteilen zum 1. Jänner 1983, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.960,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Das Finanzamt ermittelte im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens den gemeinen Wert der Anteile an der beschwerdeführenden GmbH zum 1. Jänner 1983 unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten mit S 177,-- je S 100,-- des Stammkapitals im Schätzungswege.
Die Beschwerdeführerin begehrte mit Berufung die Feststellung eines Wertes von S 96,-- je S 100,-- des Stammkapitals. Sie begründete dies - soweit dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof noch Bedeutung zukommt - damit, daß das Finanzamt bei der Ertragswertermittlung die geltend gemachten vorzeitigen Abschreibungen hinzugerechnet und hievon einen pauschalen Ertragsteuerabschlag von 60 v.H. vorgenommen habe, ohne aber zu berücksichtigen, daß anstelle dieser Abschreibungen in den späteren Perioden die ordentlichen Abschreibungen treten müßten. Der um 5 v.H. erhöhte Abschlag vom Vermögenswert sei hiefür kein Äquivalent. Diese zukünftigen Steuerlasten stellten zum Bewertungszeitpunkt eine latente Steuerschuld dar, die in der Folge in den Jahren des Entfalles der ordentlichen Abschreibungen zum Tragen käme. Bei Ermittlung des Vermögenswertes hätte daher ein entsprechender Abschlag vorgenommen werden müssen.
Die belangte Behörde gab der Berufung der Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid dahingehend statt, "daß der gemeine Wert der Anteile zum 1. Jänner 1983 mit S 130,-- je S 100,-- des eingezahlten Stammkapitales festgestellt wird". Im übrigen wies sie die Berufung als unbegründet ab. Zur Berücksichtigung einer Passivpost für eine "latente Steuerschuld" bei Ermittlung des Vermögenswertes - auf diese Frage beschränkt sich der Streit im Beschwerdeverfahren - führte die belangte Behörde - zusammengefaßt - im wesentlichen aus, eine zukünftige Steuerschuld, die außerhalb des Beobachtungszeitraumes, in der Regel auch außerhalb des Feststellungszeitraumes entstehen würde, habe auf das Gesamtvermögen zum Bewertungsstichtag keinen Einfluß.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 13 Abs. 2 BewG ist (u.a.) für Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, soweit sie im Inland keinen Kurswert haben, der gemeine Wert (§ 10) maßgebend. Läßt sich der gemeine Wert aus Verkäufen nicht ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen.
Da die Anteile der beschwerdeführenden Gesellschaft unbestrittenermaßen im Inland keinen Kurswert haben, war es geboten, den gemeinen Wert unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen.
Die belangte Behörde nahm diese Schätzung nach dem Wiener Verfahren 1972 vor, das im Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 10. Mai 1973, Zl. 252.873-IIa/Bi/1973, AÖFV Nr. 172/73 (berichtigt AÖFV Nr. 219/73), wiedergegeben bei Twaroch-Frühwald-Wittmann, Kommentar zum Bewertungsgesetz2, Erlässe A19 ff., seinen Niederschlag gefunden hat. An dieses Verfahren bzw. an diesen Erlaß sind zwar mangels gehöriger Kundmachung und auch mangels eines normativen Gehaltes weder die Beschwerdeführerin noch der Verwaltungsgerichtshof gebunden (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1979, Slg. Nr. 8613/F, sowie des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 1978, Slg. Nr. 5236/F, vom 24. Mai 1982, Zl. 17/3137/79, vom 9. Juni 1986, Zl. 84/15/0159, vom 27. August 1990, Zl. 89/15/0124, und vom 14. Jänner 1991, Zlen. 89/15/0003, 0004). Dennoch bietet das Wiener Verfahren 1972 eine geeignete Schätzungsmethode für jene Schätzung, die nach dem zweiten Satz des § 13 Abs. 2 BewG zur Ermittlung des gemeinen Wertes vorzunehmen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 1987, Zl. 85/15/0131, und vom 27. August 1990, Zl. 89/15/0124). Der Verwaltungsgerichtshof hegt aus der Sicht des Beschwerdefalles keine Bedenken gegen die Schätzungsmethode des Wiener Verfahrens 1972, zumal die Beschwerdeführerin gegen die Anwendung dieser Methode ausdrücklich keinen Einwand erhebt.
§ 13 Abs. 2 zweiter Satz BewG - und ihm folgend das Wiener Verfahren 1972 - sieht eine Schätzung unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft vor. Im Beschwerdefall ist nur die erstgenannte Schätzungskomponente umstritten. Fraglich ist, ob und in welchem Maße dem in den Jahren, in denen eine normale Absetzung infolge der in Anspruch genommenen vorzeitigen Abschreibung nicht mehr zur Verfügung stehen wird, erhöhten Steueraufwand Rechnung zu tragen ist.
Die Beschwerdeführerin bezifferte gegenüber dem Finanzamt die vorweggenommenen Abschreibungen zum 1. Jänner 1983 mit S 49,853.869,-- und die sich daraus ergebende "latente" Steuerverbindlichkeit mit S 29,912.321,--. Die belangte Behörde hat eine Berücksichtigung einer "latenten" Steuerschuld bei der Ermittlung des Gesamtvermögens im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, daß eine "latente" Steuerschuld als eine zukünftige Steuerschuld, die außerhalb des Beobachtungszeitraumes entstehen würde, auf das Gesamtvermögen zum Bewertungsstichtag keinen Einfluß habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 30. März 1981, Zl. 17/1398/78, - auf das sich zutreffend auch die Beschwerdeführerin stützt - zu § 13 Abs. 2 zweiter Satz BewG dargelegt, daß die Schätzung des gemeinen Wertes von Gesellschaftsanteilen zu einem möglichst wirklichkeitsnahen Ergebnis führen soll. Das setzt voraus, daß bei der Schätzung alle Faktoren Berücksichtigung finden, die auch im Wirtschaftsleben für die Bildung des Veräußerungspreises (von dem der gemeine Wert gemäß § 10 Abs. 2 BewG bestimmt wird) von Bedeutung sind. Da diesem Erfordernis jedoch mit dem Einheitswert des Betriebsvermögens als statischem Element nicht vollinhaltlich Rechnung getragen werden kann, hat der Gesetzgeber ausdrücklich einen anderen Begriff, nämlich den des Gesamtvermögens der Gesellschaft, gewählt, der die Berücksichtigung aller vermögensrelevanten Umstände, sohin auch die Berücksichtigung aufschiebend bedingter Lasten, ermöglicht.
Daraus folgt, daß bei der Ermittlung des Gesamtvermögens der Gesellschaft alle Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft unabhängig davon, ob sie zum Bewertungsstichtag bereits bestehen, zu berücksichtigen sind, wenn ihnen im Wirtschaftsleben bei der Bildung des fiktiven Veräußerungspreises Bedeutung zukommt. Dem steht auch nicht - wie die belangte Behörde meint - das gemäß § 71 BewG bei der Bewertung von Anteilen an einer GmbH geltende Stichtagsprinzip, das eine Wertermittlung zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordert, entgegen, weil dadurch die diesen Wert bestimmenden Faktoren (zeitlich) nicht begrenzt werden.
Weitere Erörterungen zu dieser Frage können aber schon deshalb unterbleiben, weil das im gegenständlichen Fall für die Bewertung von Gesellschaftsanteilen angewendete sogenannte "Wiener Verfahren" laut Abschnitt 4 Abs. 3 der Richtlinien in der Fassung des Erlasses vom 18. August 1975, Zl. 259.238-IV/8/75, ohnehin eine Berücksichtigung von "latenten" Steuerverbindlichkeiten, wie sie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht worden sind, in Form eines generellen Abschlages (20 v.H. vom Einheitswert des Betriebsvermögens) bei Ermittlung des Vermögenswertes vorsieht. Fraglich kann daher im vorliegenden Fall nur sein, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Absetzung von "latenten" Steuerverbindlichkeiten neben der Einräumung des generellen Abschlages von 20 v.H. besteht. Zufolge Abschnitt 13 der Richtlinien des zitierten Erlasses wird in der Regel die Ermittlung des gemeinen Wertes durch das vorstehende Verfahren ohne Anwendung weiterer Zu- oder Abschläge möglich sein. Den Besonderheiten des Einzelfalles z. B. bei erheblicher Abweichung des Ertragswertes vom Vermögenswert kann durch eine Korrektur des Mittelwertes in Form von Zu- oder Abschlägen Rechnung getragen werden. Das bedeutet, daß das Wiener Verfahren im Regelfall "latente" Steuerverbindlichkeiten pauschal durch den erwähnten Abschlag bei Ermittlung des Gesamtvermögens berücksichtigt, daß aber, wenn im Einzelfall Besonderheiten vorliegen, diesen in Form von weiteren Zu- oder Abschlägen Rechnung getragen werden kann. Auf das Vorliegen derartiger Besonderheiten im konkreten Fall hat sich die Beschwerdeführerin berufen, indem sie darauf hingewiesen hat, daß bei ihrem Unternehmen infolge der vom Normalfall abweichenden besonderen Höhe der vorweggenommenen Abschreibungen und der damit verbundenen im hohen Ausmaß "latenten" Steuerverbindlichkeiten mit dem Abschlag vom Vermögenswert im Ausmaß von 20 v.H. nicht das Auslangen gefunden werden könne.
Noch deutlicher wird die Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde durch den Hinweis auf den zwischenzeitig ergangenen Erlaß des Bundesministers für Finanzen vom 15. Dezember 1989, Zl. 08.1031/2-IV/8/89, AÖFV Nr. 4/1989, der bei Twaroch-Frühwald-Wittmann, Kommentar zum Bewertungsgesetz2, Erlässe A145 ff, wiedergegeben ist. Mit diesem Erlaß wurden die Richtlinien zur Ermittlung des gemeinen Wertes von inländischen nicht notierten Wertpapieren und Anteilen ("Wiener Verfahren 1989") u.a. unter Berücksichtigung vorgebrachter berechtigter Kritik hinsichtlich der Zu- und Abrechnungen von "latenten" Steuern bei Ermittlung des Gesamtvermögens dahingehend neu gefaßt, daß "latente Steuern auf aus vorweggenommenem Aufwand stammenden Bewertungsreserven" vom Einheitswert des Betriebsvermögens abzurechnen sind (Abschnitt III Zif. 1 Abs. 2 Pos. 9).
Da sohin von der belangten Behörde die Rechtslage verkannt worden ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 5. März 1991, BGBl. Nr. 104; insbesondere deren Art. I A Z. 1 und Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1988150047.X00Im RIS seit
14.01.2002