TE Vfgh Erkenntnis 1988/9/26 G237/87

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Veröffentlicht am 26.09.1988
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Wr GemeindewahlO 1964 §62 Abs1

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; Wr. Gemeindewahlordnung; Individualantrag auf Aufhebung des Wortes "verschiedenfarbige" in §62 Abs1 idF LGBl. 34/1987; Legitimation gegeben; Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts für Männer und Frauen keine Verletzung des geheimen Wahlrechts

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Am 8. November 1987 wurden die vom Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien gemäß §3 der Wiener Gemeindewahlordnung (GWO), LGBl. 17/1964 idF LGBl. 34/1987, im Amtsblatt der Stadt Wien vom 11. September 1987, Heft 37a, ausgeschriebenen Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und der Bezirksvertretungen, darunter die Wahl der Bezirksvertretung für den 9. Wiener Gemeindebezirk, abgehalten, bei denen auch der Wahlberechtigte Dr. R K seine Stimme abgab. Dabei fand ein für männliche Wähler landesgesetzlich besonders vorgesehenes (blaugefärbtes) Wahlkuvert Verwendung.

1.2.1. In der Folge stellte Dr. R K mit Schreiben vom 30. November 1987 den (auf Art140 Abs1 B-VG gestützten) Antrag, der VfGH möge das Wort "verschiedenfarbige" im §62 Abs1 Wiener Gemeindewahlordnung (GWO), LGBl. 17/1964 idF LGBl. 34/1987, in eventu aber diese Gesetzesstelle zur Gänze als verfassungswidrig aufheben.

1.2.2. Begründend wurde - sinngemäß zusammengefaßt vorgebracht, daß die angefochtene Norm gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf geheime Wahl "im Sinn von Art26 B-VG" verstoße; denn sie ermögliche eine Aufgliederung der abgegebenen Stimmzettel je nach dem Geschlecht der Wähler und zugleich auch eine Überprüfung des Stimmverhaltens, wenn ein Wahlsprengel im Extremfall etwa nur aus einem einzelnen Wohnhaus bestehe.

1.3.1. Die Wiener Landesregierung verteidigte die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Gesetzesstelle und begehrte die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des (Individual-)Antrags.

1.3.2. Begründend heißt es ua:

         "... Wahlsprengel umfassen üblicherweise zwischen

250 und 700 (männliche und weibliche) Wähler, da seitens des

Magistrats in strikter Beachtung der Bestimmung des §1 Abs1

GWO über die Grundsätze des Wahlverfahrens die ... Vorschrift des

§51, dritter Satz, GWO auch eingehalten wird: 'Die Wahlsprengel sind derart abzugrenzen, daß die Durchführung des Abstimmungsverfahrens im Wahlsprengel innerhalb der Wahlzeit möglich erscheint, wobei anzunehmen ist, daß am Wahltag in einer Stunde 70 Wähler abgefertigt werden können.' Der ... befürchtete 'gesetzlich zugelassene Extremfall' ist demnach ebenso dem Bereiche der Utopie zuzuordnen wie die allfällige Einrichtung eines nur ein paar Wähler umfassenden Wahlsprengels anläßlich einer Nationalratswahl, bei welcher bekanntlich für Männer und Frauen keine verschiedenfarbigen Kuverts verwendet werden. Jedenfalls läßt sich aus der Möglichkeit, daß die Wahlsprengelfestsetzung nicht gesetzeskonform erfolgt, keineswegs der Schluß ziehen, daß das Gesetz selbst verfassungswidrig sei. Hervorgehoben sei noch, daß eine weitgehend eingeschlechtliche Wahlbeteiligung nur in jenen Wahlkreisen nicht extrem unwahrscheinlich ist, in denen §76 Abs2 GWO ohnedies der dadurch entstehenden Gefährdung des Wahlgeheimnisses konkret vorbeugt ..."

1.4. §62 Abs1 GWO hat folgenden Wortlaut:

"Für Männer und Frauen sind verschiedenfarbige, undurchsichtige Wahlkuverte zu verwenden."

2. Über den Antrag wurde erwogen:

2.1.1. Um die Antragslegitimation bejahen zu können, ist es erforderlich, daß der Antragsteller behauptet, er sei durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit dieser Norm - in seinen Rechten unmittelbar verletzt. Ferner muß es für ihn tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheids, wirksam geworden sein. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist es also, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und sie sofern verfassungswidrig - verletzt.

Ein derartiger Eingriff muß nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt sein und die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen. Zudem darf dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung stehen (VfSlg. 9724/1983).

2.1.2. Alle diese Bedingungen sind hier offensichtlich erfüllt: Der Antragsteller konnte und kann an Wahlen zum Gemeinderat und zu den Bezirksvertretungen in Wien nur teilnehmen, wenn er sich bei der Stimmabgabe jener Prozedur (über die Kuvertierung des Stimmzettels) unterzieht, welche die seiner Auffassung nach verfassungswidrige und für ihn unmittelbar wirksam werdende - Norm des §62 Abs1 GWO vorsieht.

Der (Individual-)Antrag ist darum zulässig.

2.2.1. Der VfGH vermag den Überlegungen des Antragstellers im Zusammenhang mit dem Begriff des geheimen Wahlrechts aus folgenden Gründen nicht beizupflichten: Ein Wahlrecht ist (nur) dann "geheim", wenn der Wähler seine Stimme derart abzugeben instand gesetzt wird, daß niemand, weder die Wahlbehörde noch sonst jemand, erkennen kann, wen er wählte. Das geheime Wahlrecht dient also der geheimen Stimmabgabe. Durch die Verwendung verschiedenfarbiger Wahlkuverts läßt sich aber unter dem Regime der GWO das Stimmverhalten des jeweiligen Wählers der vom Antragsteller vertretenen Auffassung zuwider - keineswegs feststellen. Denn nach §51 Abs1 GWO sind die Wahlsprengel "derart abzugrenzen, daß die Durchführung des Abstimmungsverfahrens im Wahlsprengel innerhalb der Wahlzeit möglich erscheint, wobei anzunehmen ist, daß am Wahltag in einer Stunde 70 Wähler abgefertigt werden können". Da ein (Wiener) Wahlsprengel - angesichts einer Wahlzeit von mehreren Stunden also jedenfalls mehrere hundert Wahlberechtigte umfaßt, ist die Annahme, es könnten dort insgesamt bloß ein Mann oder eine Frau oder doch nur ganz wenige Männer oder Frauen abstimmen, völlig wirklichkeitsfern und ungerechtfertigt. Zudem schreibt §76 Abs2 GWO vor, daß dann, wenn bei einer Wahlbehörde für Wahlkartenwähler in einer Heil- und Pflegeanstalt oder in einem Altersheim Männer oder Frauen jeweils weniger als fünfzehn für den eigenen Bezirk bestimmte Wahlkuverte abgeben, alle diese Kuverte - im Interesse der Sicherung des Wahlgeheimnisses ungeöffnet zu versiegeln und der Bezirkswahlbehörde zur weiteren Verfügung zu übergeben sind. Dies ganz abgesehen davon, daß die Tatsache, wer das Wahlkuvert (der Wahlkommission) überreicht (ein Wähler männlichen oder weiblichen Geschlechts) an sich nicht "geheim", sondern für alle Mitglieder der Wahlbehörde offenkundig ist (VfGH 16.6.1988 WI-11/87).

2.2.2. Darüber hinaus ist dem der Sache nach erhobenen Einwand, die Bestimmung des §62 Abs1 GWO sei verfassungswidrig, weil sie den (in §§10 und 61a der Wiener Stadtverfassung, LGBl. 28/1968, (WStV) garantierten) Grundsatz des geheimen Wahlrechts verletze, indem sie Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Wähler ermögliche, zu entgegnen, daß die das geheime Wahlrecht für Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen in Wien gewährleistenden Normen der §§ 10 und 61a WStV - ebenso wie die bedenklich erachtete Vorschrift des §62 Abs1 GWO - lediglich auf der Stufe eines einfachen Landesgesetzes stehen. (Das Erste Hauptstück der WStV (§§1 bis 112 h) ist ein schlichtes Landesgesetz mit den in den §§119 und 121 leg. cit. vorgesehenen Beschlußerfordernissen; nur das Zweite Hauptstück (§§113 bis 139a) enthält Landesverfassungsrecht, wofür die qualifizierten Beschlußerfordernisse des Art99 Abs2 B-VG bestehen.)

Eine Verfassungswidrigkeit des §62 Abs1 GWO läßt sich darum aus den bezogenen Normen der WStV keinesfalls ableiten (vgl. dazu schon: VfGH 16.6.1988 WI-11/87, WI-12/87).

2.3. Aus all diesen Erwägungen war der Antrag auf Aufhebung des §62 Abs1 GWO als unbegründet abzuweisen.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Wahlen, Stimmzettel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G237.1987

Dokumentnummer

JFT_10119074_87G00237_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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