TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/10 91/03/0015

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Veröffentlicht am 10.04.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
StVO 1960 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Weiss und Dr. Sauberer im Beisein des Schriftführers Regierungsoberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 5. November 1990, Zl. IIb2-V-8385/1-1990, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Schuldsprüche wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und hinsichtlich der Straf- und Kostenaussprüche wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 28. März 1990 wurde die Beschwerdeführerin der Verwaltungsübertretungen nach 1. § 9 Abs. 1 und 2. § 20 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt, weil sie am 14. Juni 1988 um 09.10 Uhr als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws auf der B 171 im Gemeindegebiet von K an einer näher bezeichneten Straßenstelle 1. im Zuge eines Überholvorganges die dort befindliche Sperrlinie überfahren und 2. dabei die auf Freilandstraßen erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um ca. 20 km/h überschritten habe. Der dritte Absatz des Spruches dieses Straferkenntnisses lautet: "Gemäß § die wird über den Beschuldigten eine Geldstrafe von 1. S 500,-- und 2. S 600,-- verhängt." Ferner wurden Ersatzfreiheitsstrafen festgesetzt und die Beschwerdeführerin zur Zahlung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens sowie zum Ersatz der Kosten des Strafvollzuges verpflichtet.

Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG als unbegründet abgewiesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legt die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Soweit die Beschwerdeführerin die Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung bekämpft, vermag sie keine Rechtswidrigkeit aufzuzeigen. Die Beschwerdeführerin übersieht, daß es für die Rechtmäßigkeit des Schuldspruches nicht auf das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung ankommt; das Tatbild der ihr angelasteten Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 ist vielmehr bei jeder noch so geringen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit erfüllt (vgl. das hg. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Februar 1991, Zl. 90/18/0233). Bei der vom Anzeiger (einem Gendarmeriebeamten) geschätzten Geschwindigkeitsdifferenz zwischen dem von ihn gelenkten Fahrzeug und dem dieses Fahrzeug überholenden, nach den Feststellungen der belangten Behörde von der Beschwerdeführerin gelenkten Pkw von mindestens 20 km/h wäre eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h durch letzteres Fahrzeug auch dann gegeben, wenn die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges nicht "laut Tachometer etwas mehr als 100 km/h" (so der Anzeiger), sondern nur - wie es die Beschwerdeführerin als möglich hinstellt - 90 km/h betragen hätte. Eine derartige Abweichung würde überdies bereits über der allgemein üblichen Toleranz für ungeeichte Tachometer (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. März 1990, Zl. 89/03/0261) liegen. Für die belangte Behörde bestand bei dieser Sachlage keine Veranlassung, die Meßgenauigkeit des Tachometers im Fahrzeug des Anzeigers zu überprüfen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist einem in der Wahrnehmung von Vorgängen im Straßenverkehr geschulten Sicherheitsorgan die durch Tachometerangabe gestützte Schätzung der Geschwindigkeitsdifferenz auch "aus einem fahrenden Pkw heraus" zuzubilligen (vgl. das schon erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Februar 1991).

Dennoch ist der belangten Behörde bei den Schuldsprüchen eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unterlaufen. Die Beschwerdeführerin verantwortete sich im Verwaltungsstrafverfahren dahin, daß sie als Täterin nicht in Frage käme, weil sie im Juni 1988 in der fraglichen Zeit nie ihren Arbeitsplatz in der Firma B in B verlassen habe, und legte eine entsprechende Bestätigung zweier Zeuginnen vor. Von diesen Zeuginnen wurde lediglich eine (J) im Verwaltungsstrafverfahren vernommen, die Vernehmung der anderen (E) ist ohne Angabe einer Begründung unterblieben. Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß die Vernehmung der Zeugin E geeignet ist, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, hätte von der Aufnahme dieses Beweises nicht Abstand genommen werden dürfen (vgl. neben vielen anderen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. April 1989, Zlen. 88/03/0247, 0248).

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der Schuldsprüche gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

In den Strafaussprüchen und den darauf beruhenden Kostenaussprüchen ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Gemäß § 44a lit. c VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung zu enthalten. Dieser Bestimmung entsprach der von der belangten Behörde übernommene Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses nicht, weil dort die angewendete Strafnorm mit "§ die" angegeben wurde. Diese Bezeichnung läßt nicht erkennen, um welche Gesetzesbestimmung es sich hiebei handeln soll.

Der angefochtene Bescheid war somit im angegebenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das auf den Ersatz von nicht erforderlichen Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren der Beschwerdeführerin war abzuweisen.

Schlagworte

Ablehnung eines Beweismittels Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene freie Beweiswürdigung Überschreiten der Geschwindigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991030015.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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