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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
AVG §45 Abs2;Beachte
Besprechung in: ÖStZB 1992, 202;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des P gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 22. Juni 1987, Zl. 6/2-2275/1/87, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer, Einkommensteur und Gewerbesteuer für die Jahre 1973 bis 1977, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer erzielte Einkünfte aus der Aufstellung von und dem Handel mit Unterhaltungsautomaten. Im Zuge einer Betriebsprüfung wurden die Steuerbemessungsgrundlagen für die Jahre 1970 bis 1980 im Schätzungsweg ermittelt. Grund dafür waren vom Betriebsprüfer festgestellte Buchführungsmängel sowie der Umstand, daß in den Jahren 1970 bis 1978 die Lebenshaltungskosten des Beschwerdeführers durch die erklärten Einkünfte nicht gedeckt erschienen. Außerdem hatte der Beschwerdeführer im Jahr 1981 eine Selbstanzeige erstattet, in der Einnahmenverkürzungen von insgesamt mehr als
S 2,000.000,-- (netto) offengelegt worden waren.
Der Beschwerdeführer gab mit Niederschrift vom 23. Juni 1981 einen Rechtsmittelverzicht betreffend alle auf Grund der Betriebsprüfung für die Jahre 1970 bis 1980 erlassenen Abgabenbescheide ab.
Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 1984 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme der Umsatzsteuer-, Einkommensteuer- und Gewerbesteuerverfahren für die Jahre 1973 bis 1977. Er habe im Zuge der Betriebsprüfung vorgebracht, daß er die finanziellen Mittel für den Ankauf einer Liegenschaft (S 220.500,--) von seinen Eltern bzw. Schwiegereltern erhalten habe. Die Abgabenbehörde habe ihm aber keinen Glauben geschenkt, weil er nicht in der Lage gewesen sei, Beweise für diesen Sachverhalt vorzulegen. Am 1. Oktober 1984 habe seine Schwiegermutter in einem alten handgeschriebenen Telefonbuch ihres verstorbenen Gatten eine handschriftliche Anmerkung über eine Geldübergabe in Höhe von "S 100.000,-- für Grund" mit dem Datum 14. Juni 1973 entdeckt. Daraufhin habe die Schwiegermutter den Schreibtisch ihres verstorbenen Gatten durchsucht und dabei Sparbücher der U., einer im Jahr 1980 verstorbenen Cousine ihres Ehegatten, aufgefunden. Aus einem dieser Sparbücher gehe hervor, daß im Mai 1975 ein Betrag von S 100.000,-- abgehoben worden sei. Der Schwiegervater habe diese Sparbücher für seine Cousine verwahrt gehabt. Den Sparbüchern sei zu entnehmen, daß aus den Ersparnissen und Pensionseinkünften der U. laufend Zuwendungen an die Frau des Beschwerdeführers erfolgt seien. Die Finanzverwaltung habe weiters ein Darlehen von den Eltern des Beschwerdeführers (S 80.000,--) und ein weiteres Darlehen von seinen Schwiegereltern (S 90.000,--) mangels Nachweises nicht anerkannt. Nunmehr habe die Schwiegermutter des Beschwerdeführers ausgesagt, sich genau an die Darlehenshingabe erinnern zu können.
Alle diese neue Beweismittel seien Wiederaufnahmsgründe, die ohne Verschulden des Beschwerdeführers bisher nicht geltend gemacht hätten werden können und deren Berücksichtigung zu einem anderen Schätzungsergebnis geführt hätte.
In der Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht
Wiener Neustadt gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Abgabenverkürzung, die ebenfalls am 5. Dezember 1984 stattfand, sagte die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin vernommen im Sinne der Ausführungen im Wiederaufnahmeantrag aus und teilte weiters mit, daß sie seinerzeit sicherlich auch dem Finanzamt gegenüber die Zuwendungen und Darlehen ihrer Eltern und Schwiegereltern erwähnt habe.
Der Betriebsprüfer, der ebenfalls als Zeuge vernommen wurde, bestätigte im wesentlichen die Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers und wies darauf hin, daß ohnedies ein Teil der Zuwendungen der Eltern berücksichtigt worden seien. So seien insbesondere die Beträge von S 80.000,-- und S 90.000,-- als aufgeklärte Geldzugänge anerkannt worden. Es seien jedoch dennoch Unterdeckungen festgestellt worden. Bezüglich des für den Grundkauf verwendeten Betrages von S 220.500,-- seien keine Zuwendungen berücksichtigt worden.
Die Schwiegermutter des Beschwerdeführers sagte als Zeugin aus, daß sie und ihr verstorbener Ehegatte gut verdient und daher ihre Tochter und den Beschwerdeführer laufend mit Geldzuwendungen unterstützt hätten.
In einer Stellungnahme zu dem Wiederaufnahmeantrag brachte der Betriebsprüfer vor, daß der Beschwerdeführer im Zuge der Prüfung vergeblich aufgefordert worden sei, die behauptete Gewährung eines Darlehens seitens der Schwiegereltern in Höhe von S 220.500,-- durch Vorlage entsprechender Verträge oder von Sparbüchern nachzuweisen.
Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab. Der Vermerk im Telefonbuch stelle kein taugliches Beweismittel für die Hingabe eines Betrages von S 100.000,-- dar. Im übrigen wäre es für den Beschwerdeführer in den abgeschlossenen Verfahren ein leichtes gewesen, eine entsprechende Aussage des damals noch lebenden Schwiegervaters zu erwirken.
Den vorgelegten Sparbuchkopien sei lediglich zu entnehmen, daß von den Konten der U. in der Zeit von 3. Februar 1975 bis 18. Februar 1981 Einlagen und Abhebungen im größeren Umfang erfolgt seien. Daß die behobenen Geldbeträge bzw. Teile davon dem Beschwerdeführer zugewendet worden seien, werde dadurch nicht bewiesen. Im übrigen sei die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in Anlehnung an die für die Jahre 1978 bis 1980 abgegebene Selbstanzeige des Beschwerdeführers vorgenommen worden (Zuschätzung von ca. 30 Prozent der Automaten-Einspielerlöse).
Was die Gewährung der Darlehen von insgesamt S 170.000,-- (S 80.000,-- und S 90.000,-) betreffe, so sei zu sagen, daß diese ohnedies in den abgeschlossenen Verfahren Berücksichtigung gefunden hätten.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Von der Betriebsprüfung seien "sämtliche angebotenen Beweise, wie Zeugen etc. abgelehnt" worden. Nur schriftliche Beweismittel wären anerkannt worden. Über solche habe der Beschwerdeführer nicht verfügt. Die Eintragung im Telefonbuch stelle ein neu hervorgekommenes, dem Beschwerdeführer bisher nicht bekannt gewesenes Beweismittel dar, das zum Nachweis der Hingabe eines (weiteren) Darlehens geeignet sei. In der seinerzeitigen Ablehnung der Einvernahme des Schwiegervaters des Beschwerdeführers als Zeuge für die Hingabe des Darlehens sei ein Verstoß gegen die amtswegige Ermittlungspflicht der Abgabenbehörde (§ 115 BAO) zu erblicken.
Die belangte Behörde wies die Berufung ab. Der Beschwerdeführer habe das Ergebnis der Betriebsprüfung im Beisein seines Steuerberaters unter Rechtsmittelverzicht anerkannt. Sollte er sich durch die seinerzeitige Ablehnung der von ihm beantragten Beweise, wie etwa der Einvernahme seines Schwiegervaters als Zeuge, beschwert erachtet haben, so hätte für ihn die Möglichkeit bestanden, solche Verfahrensmängel mit Berufung gegen die betreffenden Abgabenbescheide geltend zu machen. Ein Wiederaufnahmsgrund könne darin nicht erblickt werden. Die aufgefundene Notiz im Telefonbuch sowie die Sparbücher der U. seien keine tauglichen Beweismittel für Zuwendungen an den Beschwerdeführer. Außerdem sei die Annahme berechtigt, daß diese Fakten dem Beschwerdeführer bereits Jahre vor der Einbringung seines Wiederaufnahmeantrages bekannt gewesen sein mußten.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 1 lit.b BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren OHNE VERSCHULDEN der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, daß die belangte Behörde "ohne auch nur die allergeringste Sachverhaltsermittlung durchgeführt zu haben" den Standpunkt eingenommen hat, der Beschwerdeführer wäre ohne weiteres in der Lage gewesen, bereits im abgeschlossenen Verfahren die nunmehr geltend gemachten Beweismittel für die von ihm behaupteten Geldzuwendungen seiner Eltern bzw. Schwiegereltern vorzulegen.
Diese Rüge ist unberechtigt. Die belangte Behörde weist lediglich darauf hin, daß der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt hätte, die ihm bereits seinerzeit zur Verfügung gestandenen Beweismittel, nämlich die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Eltern bzw. Schwiegereltern, in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren geltend zu machen, wenn schon die Abgabenbehörde erster Instanz zu Unrecht die Meinung vertreten haben sollte, daß diese Beweismittel unzureichend und daher nicht aufzunehmen gewesen wären.
Der Gerichtshof teilt diese Ansicht. Sollte das Finanzamt tatsächlich die Auffassung vertreten haben, eine Einvernahme der Eltern bzw. Schwiegereltern erübrige sich, weil damit kein Beweis für Geldzuwendungen oder Darlehen an den Beschwerdeführer erbracht werden könne, so wäre es am Beschwerdeführer gelegen gewesen, diese Auffassung als vorweggenommene Beweiswürdigung in einem Rechtsmittelverfahren gegen die betreffenden Abgabenbescheide zu bekämpfen. Wie das Beschwerdevorbringen deutlich zeigt, hätte auf diese Weise durchaus die Möglichkeit bestanden, gerade jene Beweismittel zeitgerecht geltend zu machen, die nunmehr als Wiederaufnahmsgrund vorgebracht werden. Dadurch, daß der Beschwerdeführer durch Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes auf das Anhören seines Schwiegervaters als Zeuge verzichtet hat, verzichtete er letztlich auch auf die naheliegende Möglichkeit, daß der Schwiegervater zur Stützung seiner Zeugenaussage auf eigenhändige Notizen und/oder Sparbücher verwiesen hätte, die er verwaltet und für die Geldzuwendungen angeblich verwendet hatte. Nun mag es zwar zutreffen, daß der Verzicht eines Abgabepflichtigen auf eine Zeugenaussage nicht immer zur Folge hat, daß im nachträglichen Hervorkommen weiterer Beweismittel, die durch die Zeugenaussage zeitgerecht im abgeschlossenen Verfahren hervorgekommen wären, ein Verschulden des Abgabepflichtigen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit.b BAO zu erblicken ist. Dies insbesondere dann nicht, wenn das Hervorkommen der weiteren Beweismittel durch die Zeugenaussage nicht zu erwarten war und auch die Zeugenaussage selbst als Beweismittel für das jeweilige tatsächliche Vorbringen nicht erfolgversprechend schien.
Die vom Beschwerdeführer in seinem Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten Beweismittel stehen aber in einem derart engen Zusammenhang mit jener Zeugenaussage, auf die er verzichtet hat, daß nicht gesagt werden kann, ihn treffe am nachträglichen Hervorkommen dieser Beweismittel kein Verschulden. Vielmehr hat er durch den Verzicht auf die Einvernahme seines Schwiegervaters zumindest in Kauf genommen, daß jene Umstände unerörtert geblieben sind, die zweifellos Gegenstand der Zeugenaussage gewesen wären. Dies trifft sowohl auf den handschriftlichen Vermerk dieses Zeugen zum Beweisthema als auch auf die angeblich für die Geldzuwendungen bzw. Darlehen verwendeten Sparbücher zu. Das Hervorkommen zusätzlicher Beweismittel dieser Art wäre von der Zeugenaussage des Schwiegervaters des Beschwerdeführers durchaus zu erwarten gewesen. Es entspricht nämlich allgemeinem Erfahrungsgut, daß eine Person, die eine andere Person laufend finanziell unterstützt und ihr auch Darlehen in einer Größenordnung von mehr als S 100.000,-- gewährt, in der Lage ist, Zweckdienliches zum Beweis für diese Handlungsweise vorzubringen.
Da somit von den Beweismitteln, die der Beschwerdeführer als Wiederaufnahmsgründe geltend gemacht hat, nicht gesagt werden kann, sie seien in den abgeschlossenen Verfahren ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht worden, erweist sich die Beschwerde als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, ohne daß es erforderlich war, auf die weitere Frage einzugehen, ob diese Beweismittel tatsächlich geeignet gewesen wären, im Spruch anders lautende Abgabenbescheide herbeizuführen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Beweiswürdigung antizipative vorweggenommeneEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1987130152.X00Im RIS seit
11.04.1991