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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. Mai 1990, Zl. I-45.977/FRB/90, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1.1. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. November 1972 (6c Vr 314/72, Hv 145/72) - in Rechtskraft erwachsen am 28.Juni 1973 - war der nunmehrige Beschwerdeführer wegen §§ 93, 98a, b, 99, 209, 321, 411, 419, 8 StG (Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit, der Einschränkung der persönlichen Freiheit, der Erpressung und gefährlichen Drohung, der Verleumdung; Vergehen der falschen Verdächtigung; Übertretung der vorsätzlichen leichten körperlichen Beschädigung; Vergehen der teils versuchten und teils vollbrachten gegenseitigen Mißhandlung von Eheleuten) zu zwei Jahren schwerem Kerker und Landesverweisung verurteilt worden.
1.2. Mit am 12. Dezember 1973 in Rechtskraft erwachsenem Urteil desselben Gerichtes (7c Vr 8337/70, Hv 116/72) war der Beschwerdeführer wegen §§ 197, 200, 201d, 203, 81, 496 StG, § 1 EVG (Verbrechen des Betruges, der öffentlichen Gewalttätigkeit durch Erpressung, durch gewaltsame Handanlegung gegen obrigkeitliche Personen in Amtssachen; Übertretung der Sicherheit der Ehre und nach dem Exekutionsvereitelungsgesetz) zu drei Jahren schwerem Kerker und Landesverweisung verurteilt worden.
2. Mit an die Bundespolizeidirektion Wien gerichteter Eingabe vom 6. Juli 1989 stellte der Beschwerdeführer - der sich nach wie vor in Österreich aufhält - den "Antrag auf Aufhebung der gegen mich gerichtlich ausgesprochenen Landesverweisung, die nunmehr als Aufenthaltsverbot gilt". Begründet wurde der Antrag damit, daß sich der Beschwerdeführer seit seiner Haftentlassung wohl verhalten habe, und die Gründe, die zur Einleitung des Maßnahmenvollzuges geführt hätten nunmehr weggefallen seien "und somit Gründe für ein Aufenthaltsverbot nicht mehr gegeben sind".
3. Mit Bescheid vom 28. Mai 1990 gab die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) diesem Antrag gemäß § 8 des Fremdenpolizeigesetzes keine Folge.
Begründend bezog sich die belangte Behörde auf die mit den rechtskräftigen Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (oben 1.1., 1.2.) ausgesprochene Landesverweisung des Beschwerdeführers, die gemäß Art. IX Abs. 3 des Strafrechtsanpassungsgesetzes als unbefristetes Aufenthaltsverbot gelte. Laut Auskunft des Strafregisteramtes vom 22. März 1990 seien die dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegenden Verurteilungen des Beschwerdeführers noch nicht getilgt. Tilgung bedeute Wegfall aller nachteiliger Folgen, somit auch der Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Im übrigen habe der Beschwerdeführer angegeben, völlig mittellos zu sein; damit wären die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 3 Abs. 2 "lit. e" des Fremdenpolizeigesetzes auch derzeit gegeben. Aus den genannten Gründen seien die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht weggefallen. Nach Abwägung mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers - bereits langer Aufenthalt im Bundesgebiet - sei dennoch den öffentlichen Interessen - im konkreten Fall der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie dem Schutz der Republik Österreich vor finanzieller Belastung - mehr Gewicht einzuräumen und eine "Ermessensentscheidung" zum Nachteil des Beschwerdeführers zu treffen gewesen.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
5. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und gleichzeitig mitgeteilt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen. Ein Antrag auf Zuerkennung von Vorlageaufwand wurde nicht gestellt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 8 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, (FrPolG) ist das Aufenthaltsverbot - im Grunde des Art. IX Abs. 3 des Strafrechtsanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 422/1974, (in Kraft getreten mit 1. Jänner 1975, Art. XI) gilt die bereits ausgesprochene Landesverweisung oder Abschaffung einer Person, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, "als Aufenthaltsverbot nach den Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954" - von der Behörde, die es erlassen hat, auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind.
Nach § 8 FrPolG, der seinen Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit § 3 leg. cit. (nunmehr idF der Novelle BGBl. Nr. 575/1987) gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen anderseits maßgebend sind, zugunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. April 1990, Zl. 90/19/0158, und vom 18. Februar 1991, Zl. 90/19/0304).
2.1. Die belangte Behörde - deren Zuständigkeit im Beschwerdefall gemäß § 8 FrPolG iVm Art. IX Abs. 3 des Strafrechtsanpassungsgesetzes und § 11 Abs. 1 FrPolG zu bejahen ist - hat ihre abweisliche Entscheidung zunächst darauf gestützt, daß die seinerzeit ausgesprochenen, in Rechtskraft erwachsenen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers noch nicht getilgt seien, und daß der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge völlig mittellos sei.
2.2. Dem hält die Beschwerde zum ersten entgegen, daß eine achtzehn Jahre zurückliegende Verurteilung nunmehr "mit Sicherheit keinen triftigen Grund für ein Aufenthaltsverbot bilden (kann). Dies umso weniger, als ein Wohlverhalten und der ständige Aufenthalt im Inland seit achtzehn Jahren einen faktischen Zustand geschaffen haben, der die Beseitigung des unbilligen und inhumanitären Aufenthaltsverbotes geradezu erheischt". Zum zweiten meint der Beschwerdeführer, daß sich die belangte Behörde in aktenwidriger Weise auf seine völlige Mittellosigkeit berufen habe. Vielmehr sei es "aktenkundig, daß ich Sozialhilfeempfänger bin und daraus meinen Lebensunterhalt ziehe".
2.3. Entgegen der Ansicht der Beschwerde wäre auch unter Zugrundelegung der derzeit geltenden Rechtslage (§ 3 FrPolG idF der Novelle BGBl. Nr. 575/1987) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer gerechtfertigt.
Die Tatsache, daß die besagten rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen (oben I.1.1., 1.2.) im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (noch) nicht getilgt waren - daß diese Feststellung der belangten Behörde nicht zutreffe, wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet -, bedeutet, daß diese Verurteilungen im genannten Zeitpunkt nach wie vor aufrecht waren (dem Rechtsbestand angehörten); dies mit der Folge, daß sie - im Wege des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG - als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" (FrPolG) zu werten wären und solcherart - vorbehaltlich einer zuungunsten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. - die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen würden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1991, Zl. 90/19/0222).
Was die die Annahme der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde betreffende Rüge anlangt, so vermag die Beschwerde diese Sachverhaltsfeststellung nicht zu erschüttern. Abgesehen davon, daß im Hinblick auf die in den Verwaltungsakten mehrfach festgehaltenen Hinweise des Beschwerdeführers auf seine Mittellosigkeit von der behaupteten Aktenwidrigkeit keine Rede sein kann, scheint der Beschwerdeführer auch zu übersehen, daß er sich mit seinem Beschwerdevorbringen, er sei Sozialhilfeempfänger und ziehe daraus seinen Lebensunterhalt, in Widerspruch zu seinen Angaben in dem dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe in der vorliegenden Beschwerdesache vom 13. Juni 1990 setzt, wurde doch dort unter der Rubrik "Einkommen" (bei gleichzeitiger Streichung aller anderen im Vordruck aufscheinenden Einkunftsarten) ausschließlich "Sporadische Unterstützung von Bekannten und Freunden in geringer Höhe" angeführt. Angesichts dessen sowie unter Bedachtnahme auf die in den vorgelegten Verwaltungsakten mehrfach dokumentierten ausdrücklichen Angaben des Beschwerdeführers (vgl. zuletzt die an die belangte Behörde gerichtete Eingabe vom 2. Oktober 1989), "gänzlich mittellos" zu sein, hegt der Gerichtshof keine Bedenken dagegen, daß die belangte Behörde ihrer Entscheidung (auch) eben diesen Sachverhalt als maßgeblich zugrunde legte und ihn dem Tatbestand des § 3 Abs. 2 "lit. e" (richtig: Z. 7) FrPolG subsumierte. Damit wäre aber auch insoweit vom Vorliegen einer "bestimmten Tatsache im Sinne des Abs. 1" auszugehen, welche - gleichfalls unter dem Vorbehalt einer zuungunsten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 leg. cit. - die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt erscheinen ließe.
2.4. Zu dem weiteren Beschwerdeeinwand, die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer ungeachtet des bestehenden Aufenthaltsverbotes einen Fremdenpaß ausgestellt und diesen immer wieder (zuletzt bis 20. Mai 1991) verlängert und damit zu erkennen gegeben, daß gegen den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet keine Bedenken bestünden, genügt der Hinweis, daß im vorliegenden Beschwerdefall nicht die Rechtmäßigkeit der behördlichen Handhabung paßrechtlicher Vorschriften in der bezeichneten Weise, sondern allein die Frage zu prüfen ist, ob die von der belangten Behörde mit dem bekämpften Bescheid getroffene Entscheidung dem Gesetz entspricht.
3.1. Was die nunmehr zu überprüfende, von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung betrifft, so wirft der Beschwerdeführer der Behörde vor, sie habe sich "mit den einzelnen Voraussetzungen in keiner Weise auseinandergesetzt und nur abstrakt meine persönlichen Interessen erwähnt". Sie wäre verpflichtet gewesen, "selbständig und von Amts wegen detaillierte Ermittlungen anzustellen". Auch damit gelingt es der Beschwerde nicht, eine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides aufzuzeigen.
3.2. Der Antrag des Beschwerdeführers vom 6. Juli 1989 auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes enthält nicht den geringsten Hinweis auf allfällige private (persönliche, familiäre) Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des § 3 Abs. 3 Z. 1 bis 3 FrPolG, die in die Interessenabwägung einzubeziehen gewesen wären. Ist demnach der Beschwerdeführer insoweit - dies unter der Voraussetzung des Bestehens derartiger für ihn bzw. eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes sprechender Interessen - seiner Mitwirkungspflicht in augenfälliger Weise nicht nachgekommen, so war die belangte Behörde nicht gehalten, von sich aus zu erforschen, ob und gegebenenfalls welche relevante private Interessen, die der Beschwerdeführer geltend zu machen unterlassen hat, vorliegen. Im übrigen hat es der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde verabsäumt, konkret darzulegen, auf welche im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG bedeutsame private Interessen von der belangten Behörde - über den von ihr berücksichtigten Gesichtspunkt des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich hinaus - noch Bedacht zu nehmen gewesen wäre, bzw. zu welchen insoweit wesentlichen Ergebnissen sie bei Durchführung "detaillierter Ermittlungen" gelangt wäre.
Da somit weder der von der Beschwerde behauptete relevante Verfahrensmangel vorliegt noch zu erkennen ist, daß die für den Beschwerdeführer ungünstig ausgegangene Interessenabwägung rechtswidrig wäre, ist der Beschwerdeführer auch in dieser Hinsicht nicht in seinem Recht auf Aufhebung der ihm gegenüber ausgesprochenen, als Aufenthaltsverbot im Sinne des FrPolG geltenden Landesverweisung verletzt worden.
4. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
5. Im Hinblick darauf, daß die belangte Behörde einen entsprechenden Antrag nicht gestellt hat, entfällt ein Abspruch über die Zuerkennung von Aufwandersatz.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990190488.X00Im RIS seit
15.04.1991