Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der K gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 28. Mai 1990, Zl. 9/01-31.486/8-1990, betreffend Versagung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 28. Mai 1990 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der Gültigkeit ihrer (bis 18. Jänner 1989 befristeten) Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 64 Abs. 2 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 lit. d KFG 1967 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 1. März 1989 wurde der gegenständliche Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung abgewiesen, sie sei nach dem Gutachten der ärztlichen Amtssachverständigen dieser Behörde vom 23. Jänner 1989 wegen eines bei ihr anzunehmenden Alkoholrezidivs zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet.
Im Berufungsverfahren wurde die Beschwerdeführerin über Veranlassung der belangten Behörde am 9. Jänner 1990 einer neuropsychiatrischen und am 15. Jänner 1990 einer verkehrspsychologischen Untersuchung unterzogen. Die letztere Untersuchung erbrachte folgende zusammenfassende Beurteilung:
"Die verkehrsspezifischen Leistungsparameter erwiesen sich vor allem im Hinblick auf das Reaktionsvermögen wesentlich gebessert und erreichen insgesamt ein gut durchschnittliches, den Anforderungen durchaus entsprechendes Niveau. Ein gewisses Schwächemoment ist in der erschwerten visuomotorischen Koordination zu sehen, das allerdings durch eine hohe Reaktionssicherheit und Streßtoleranz ausreichend kompensabel erscheint.
Testpsychologisch konnten keine Hinweise für eine Hirnleistungsschwäche oder frühzeitigen hirnorganischen Abbau als Folge des chronischen Alkoholabusus oder als Restsymptom der Meningitis festgestellt werden."
Univ.Prof. Dr. G (em. Vorstand des Instituts für forensische Psychiatrie der Universität Salzburg) führte in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 19. Jänner 1990 aus:
"Zusammenfassend neurologisch kein eindeutig pathologischer Befund. Fragliche Hinweise für eine abgelaufene
Polyneuropathie. - Psychisch: unauffällig." Die abschließende
Gesamtbeurteilung lautete:
"Aus neuropsychiatrischer und verkehrspsychologischer Sicht derzeit kein Befund zu erheben, der zu einer gravierenden Einschränkung ihrer Fahrtauglichkeit führen würde. Im Hinblick auf ihre in der letzten Zeit durchgemachten schweren körperlichen Erkrankungen und auf die Alkoholanamnese, die einen neuerlichen Rückfall keineswegs auszuschließen erlaubt, wird im Falle einer Wiedererteilung der Lenkerberechtigung eine zeitliche Begrenzung auf maximal ein Jahr empfohlen."
Auf der Grundlage dieses Gutachtens und der Ergebnisse der Untersuchungen der Beschwerdeführerin vom 17. April 1989 und vom 14. November 1989 erstattete die ärztliche Amtssachverständige der belangten Behörde am 23. Februar 1990 folgendes Gutachten:
"Bei Frau K liegt eine schwere Alkoholkrankheit mit rezidivierender Exacerbation vor.
Die verkehrspsychologische Untersuchung zeigt, daß trotz des massiven Alkoholabusus noch keine irreversiblen hirnorganischen Schäden gesetzt worden sind. Die kraftfahrspezifischen Leistungsparameter würden derzeit insgesamt den Anforderungen entsprechen. Auch läßt sich eine gewisse Besserungstendenz der kraftfahrspezifischen Leistungsparameter im Vergleich zu den letzten Untersuchungen verfolgen. Die neurologische Fachuntersuchung zeigt außer einer Polyneuropathie keinen wesentlichen pathologischen Befund. Aus der Sicht des Facharztes ist jedoch ein neuerlicher Rückfall keineswegs auszuschließen, sodaß davon ausgegangen werden muß, daß eine ausreichende Distanzierung zum Alkoholproblem noch nicht vollzogen werden konnte.
In der Anamnese lassen sich zwei massive Alkoholrezidive (Spätherbst 1988 bzw. Jänner 1989 und Spätherbst 1989, vor dem Krankenhausaufenthalt in Hallein) erheben. Daraus ist zu schließen, daß trotz engmaschiger ärztlicher Kontrolle und amtsärztlicher Überwachung (monatliche Untersuchung im Hinblick auf die weitere Fahreignung) eine gesicherte absolute Distanz zum Alkoholkonsum nicht möglich war.
Aus ho. Sicht kann die notwendige völlige Alkoholkarenz lediglich durch eine langfristige therapeutische Behandlung der Alkoholkrankheit erreicht werden.
Da ein neuerliches Alkoholrezidiv nachwievor jederzeit erwartet werden kann, ist das Risiko, der Berufungswerberin die weitere Fahreignung zuzusprechen, im Hinblick auf das öffentliche Interesse als zu hoch einzuschätzen.
Aus ho. Sicht ist die Berufungswerberin daher derzeit nicht geeignet, Kraftfahrzeuge der Gruppe B zu lenken."
Aufgrund der Äußerung der Beschwerdeführerin vom 27. März 1990, in der sie dieses Gutachten unter anderem als teilweise unschlüssig bezeichnete, holte die belangte Behörde neuerlich eine Stellungnahme ihrer ärztlichen Amtssachverständigen ein (vom 23. April 1990). Darin heißt es unter anderem:
"Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß bei Frau K ein chronischer Alkoholismus bzw. Alkoholabhängigkeit besteht. Die Hintergrundproblematik der Alkoholkrankheit ist nachwievor nicht verarbeitet. Obwohl der Berufungswerberin in erster Instanz im Jahre 1988 unter Auflage von monatlichen Kontrollen beim Hausarzt eine bedingte Fahreignung zugesprochen wurde, und die Berufungswerberin damals auch ihren festen Entschluß äußerte, sich endgültig vom Alkohol zu distanzieren, kam es wiederum zu zwei weiteren exzessiven Alkoholrezidiven. Aufgrund dieses Verlaufes wird festgestellt, daß der Berufungswerberin, trotz des glaubhaften Willens, eine ausreichende Distanzierung vom Alkohol und somit Überwindung der Alkoholkrankheit nicht gelungen ist. Aus ho. Sicht kann dieses Ziel nur nach erfolgreicher Absolvierung einer Alkoholentziehungskur möglicherweise erreicht werden. Das Risiko eines neuerlichen Rückfalls ist derzeit als hoch einzuschätzen, die weitere Fahreignung muß aus ho. Sicht unter Wahrung des öffentlichen Interesses derzeit strikt abgelehnt werden.
Die abschließende fachärztliche Beurteilung durch Herrn Univ.Prof. Dr. G, datiert mit 19.1.1990 wird ho. dahingehend interpretiert, daß die Beurteilung der Risikoabschätzung dem Amtsarzt überlassen wird. Dies insbesondere, da das letzte Alkoholrezidiv lediglich ca. 2 Monate vor Erstellung des fachärztlichen Befundes aufgetreten war. Von fachärztlicher Seite wird in dem zitierten Befund ausdrücklich festgehalten, daß ein neuerlicher Rückfall keineswegs auszuschließen ist. Weiters wird in diesem fachärztlichen Befund keineswegs die Wiedererteilung der Lenkerberechtigung empfohlen, was sich in der Diktion 'im Falle einer Wiedererteilung der Lenkerberechtigung' zeigt. Somit wird die endgültige Entscheidung, und das heißt in diesem konkreten Falle die Risikoabschätzung, dem Amtsarzt überlassen."
Laut Begründung des angefochtenen Bescheides hielt es die belangte Behörde aufgrund des Gutachtens der ärztlichen Amtssachverständigen und der Ergänzung dazu für "schlüssig erwiesen", daß die Beschwerdeführerin derzeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet sei. Sie leide an einer schweren Alkoholkrankheit mit rezidivierender Exacerbation. Dieses Leiden müsse zweifellos als Alkoholabhängigkeit interpretiert werden, weshalb ein Ausschließungsgrund im Sinne des § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 vorliege.
Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles ist davon auszugehen, daß gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz KDV 1967 als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften 1.) ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist, 2.) die nötige a) Körpergröße, b) Körperkraft und
c) Gesundheit besitzt und 3.) ausreichend frei von Gebrechen ist. Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe hinreichend gesund gilt gemäß § 34 Abs. 1 KDV 1967 eine Person, bei der keine der in den lit. a bis g angeführten Krankheiten bzw. Süchtigkeiten - somit auch nicht "Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus" (lit. d) - festgestellt wurde. Unter diesem Begriff ist eine "Süchtigkeit" hinsichtlich Alkohol zu verstehen, die schon wegen ihres Bestehens das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnte (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Mai 1987, Zl. 86/11/0026). Ergibt sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung zur Feststellung der Gesundheit u.a. gemäß § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 ein krankhafter Zustand, der die Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, so ist gemäß Abs. 3 dieser Verordnungsstelle eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten einzubeziehen hat, anzuordnen. Daraus folgt, daß erst das dadurch gewonnene Bild eine Beurteilung der Frage zuläßt, ob schon das Bestehen der "Süchtigkeit" hinsichtlich Alkohol eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens der betreffenden Person erwarten läßt. Dabei ist die Gefahr eines "Rezidivs" (laut Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch: Rückfall) insofern von Belang, als im Interesse der Verkehrssicherheit die Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen auch dann zu verneinen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten ein Rezidiv wahrscheinlich ist. Ist dies nicht der Fall, kann aber die Gefahr eines Rückfalls nicht ausgeschlossen werden und erscheint deshalb eine Nachuntersuchung angezeigt (§ 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967), ist die Lenkerberechtigung zu befristen. Das erfordert eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls, wobei auch diese wesentliche Frage der seit der 22. Novelle zur KDV obligatorischen fachärztlichen Beurteilung unterliegt. Enthält der Befund über das Ergebnis der fachärztlichen Untersuchung keine Ausführungen darüber, ist er mit einem wesentlichen Mangel behaftet. Dieser Mangel kann, so wie das Fehlen der gemäß § 34 Abs. 3 KDV 1967 vorgesehenen fachärztlichen Untersuchung überhaupt (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 1988, Zl. 88/11/0085, und vom 9. Oktober 1990, Zl. 90/11/0102), im Hinblick auf das zwingende Gebot einer fachärztlichen Untersuchung nicht durch Ausführungen im amtsärztlichen Gutachten ausgeglichen werden.
Im vorliegenden Fall führt das fachärztliche "Gutachten" vom 19. Jänner 1990 zur Frage der Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls lediglich aus, die Alkoholanamnese erlaube es nicht, einen neuerlichen Rückfall auszuschließen. Eine auf dem Ergebnis der fachärztlichen Untersuchung beruhende Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen enthält dieses Gutachten nicht. Diese Prognose konnte nach dem Gesagten durch die Ausführungen der ärztlichen Amtssachverständigen nicht ersetzt werden. Damit ist der maßgebliche Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der pauschalierte Schriftsatzaufwand bereits die darauf entfallende Umsatzsteuer umfaßt.
Schlagworte
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990110137.X00Im RIS seit
12.06.2001