TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/16 90/08/0014

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Veröffentlicht am 16.04.1991
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §502 Abs1 idF 1987/609;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der Sonia N in Chile gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. November 1989, Zl. MA 14 - N 8/89, betreffend Begünstigung gemäß den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien II, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid lehnte die belangte Behörde die begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten für den am 30. Jänner 1925 geborenen, mittlerweile verstorbenen Ehegatten der Beschwerdeführerin Erich N für die Zeit vom 4. März 1933 bis 31. März 1959 gemäß den §§ 500 ff ASVG ab. Begründend wurde ausgeführt, es stehe auf Grund der Aktenlage fest, daß Erich N nach dem gesetzlichen Stichtag des 1. Juli 1927 bis zu seiner Emigration (im Juni 1938) keine Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG bzw. Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 oder 229 leg. cit. in der Pensionsversicherung der Angestellten zurückgelegt habe. Unbestritten sei ferner seine Zugehörigkeit zu dem im § 500 ASVG genannten Personenkreis sowie die Tatsache, daß er am 12. März 1938 seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt habe. Nach der Aktenlage habe Erich N bis 2. Juli 1938 in Wien die Hauptschule besucht. Nach der am 24. November 1987 von der österreichischen Botschaft in Santiago de Chile ausgestellten Bescheinigung gemäß § 506 Abs. 3 ASVG sei Erich N aus Gründen des § 500 ASVG in der Zeit von Juni 1938 bis Ende 1939 in der Schweiz und ab Ende 1939 bis nach dem gesetzlichen Stichtag 31. März 1959 in Chile emigriert gewesen. Der erste Antritt einer Beschäftigung im Ausland werde mit "1940 in Chile bei Vater mitgearbeitet" bestätigt. Nach eigenen Angaben habe Erich N außerdem in der Zeit von 1938 bis 1939 die allgemeine Gewerbeschule Basel in der Schweiz besucht. Erich N habe somit keinen zu begünstigenden Tatbestand im Sinne von § 502 Abs. 1 ASVG aufzuweisen. Begünstigungsfähige Zeiten der Arbeitslosigkeit lägen nicht vor. Arbeitslosigkeit könne frühestens nach Beendigung der Schulpflicht vorliegen. Dies bedeute, daß Arbeitslosigkeit frühestens ab Schulschluß des Jahres eintreten könne, in dem der Begünstigungswerber das 14. Lebensjahr vollendet habe, weil schulpflichtige Kinder in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen keinen Nachteil erleiden könnten. Im Zeitpunkt der Vollendung des 14. Lebensjahres (am 30. Jänner 1939) habe Erich N nach eigenen Angaben jedoch bereits in Basel eine Gewerbeschule besucht. Die Zeit der Auswanderung bis 31. März 1959 könne im vorliegenden Fall deswegen nicht begünstigt angerechnet werden, weil Erich N am 12. März 1938 noch nicht älter als 14 Jahre gewesen sei und den Zeiten der Auswanderung weder Beitrags- oder Ersatzzeiten vorangingen noch nachfolgten. Die Anrechnung der ausländischen Schulzeiten gemäß § 502 Abs. 7 ASVG könne mangels Vorliegens einer nachfolgenden Versicherungszeit im Sinne des § 227 Abs. 1 Z. 1 bzw. § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG nicht erfolgen. Im Inland habe Erich N nach Vollendung des 15. Lebensjahres kein Schuljahr mehr begonnen, sodaß auch eine diesbezügliche Anrechnung nicht möglich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Da der Vater des Beteiligten nach der Emigration nach Chile dort eine selbständige Tätigkeit begründet habe, sei mit Sicherheit anzunehmen, daß für diesen selbst eine Periode der Arbeitslosigkeit im Ausland vorliege. Dies hätte von Amts wegen geklärt und abgegrenzt werden müssen. Für die angeführten Zeiten wären weitere entsprechende Begünstigungszeiten zu gewähren gewesen; nach einem Ende 1989 ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes hätte auf dieser Basis dann eine Begünstigung bis 1959 aufgebaut werden können. Die Beschwerde werde erhoben, da derzeit noch nicht feststehe, wie weit die 48. Novelle zum ASVG auf den gegenständlichen Fall Anwendung finden könne.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 502 ASVG in der hier maßgebenden Fassung der 44. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 609/1987, sind drei Arten von Begünstigungen für eine in der Zeit zwischen dem 4. März 1933 und dem 9. Mai 1945 aus einem der in § 500 ASVG angeführten Gründe erfolgte Auswanderung vorgesehen:

1. Hat diese Person vor der Auswanderung seit 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG oder Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 oder 229 leg. cit. oder Zeiten nach dem ARÜG zurückgelegt, so kann sie gemäß § 502 Abs. 4 ASVG "für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis 31. März 1959" Beiträge nachentrichten; kann sie als Pflichtbeitragszeiten geltende Zeiten gemäß Abs. 1 nachweisen, so entfällt nach der verwiesenen Bestimmung des letzten Satzes des § 502 Abs. 2 ASVG die Pflicht zur Nachzahlung der Beiträge. Diese begünstigten Zeiten gelten nach § 251 Abs. 4 ASVG als Beitragszeiten der Pflichtversicherung.

2. Hat diese Person vor ihrer Auswanderung aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG oder Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 und 229 leg. cit. zurückgelegt, hatte sie ihren Wohnsitz am 12. März 1938 im Gebiet der Republik Österreich und war sie an diesem Tag älter als 14 Jahre, so gilt auch für sie Abs. 4 mit der Maßgabe, daß eine Nachentrichtung frühestens für Zeiten nach der Vollendung des 15. Lebensjahres in Betracht kommt. Daß auch diese Zeiten als Beitragszeiten der Pflichtversicherung nach § 251 Abs. 4 ASVG gelten, ergibt sich aus der Anordnung der Geltung des § 502 Abs. 4 ASVG.

3. "Zeiten der Auswanderung gemäß Abs. 4 bis 31. März 1959", d.h. Zeiten der Auswanderung einer Person, die in der Zeit zwischen dem 4. März 1933 und dem 9. Mai 1945 ausgewandert ist, längstens bis 31. März 1959, gleichgültig, ob diese Person am 12. März 1938 ihren Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und ob sie an diesem Tag älter als 14 Jahre war, gelten ab Vollendung des 15. Lebensjahres als Ersatzzeiten, wenn "ihnen" (also den Zeiten der Auswanderung, wenn sie nicht bis 31. März 1959 dauerten, bzw., falls sie bis dahin oder darüber hinaus andauerten, längstens bis 31. März 1959) "eine Beitragszeit oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0307).

Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin weder Beitragszeiten gemäß § 226 noch Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 oder 229 ASVG noch Zeiten nach dem ARÜG zurückgelegt hat und am 12. März 1938 noch nicht älter als 14 Jahre war. Die Begünstigung für eine Auswanderung nach § 502 Abs. 4 oder Abs. 6 ASVG, deren Voraussetzungen oben unter 1. und 2. dargelegt wurden, kommen daher nicht in Betracht.

Im Beschwerdefall ist somit entscheidend, ob die oben unter

3. dargelegten Voraussetzungen einer Anrechnung der Zeiten der Auswanderung (soweit sie nach Vollendung des 15. Lebensjahres liegen) als Ersatzzeiten im Sinne des § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG vorliegen; dies hängt davon ab, ob den Zeiten der Auswanderung eine Beitragszeit oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß unter einer Beitrags- oder Ersatzzeit im Sinne des § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG grundsätzlich jede nach den sozialversicherungsrechtlichen Normen als Beitrags- oder Ersatzzeit anerkannte Zeit zu verstehen ist, sofern sich nicht aus den Begünstigungsnormen Gegenteiliges ergibt (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0307).

Den Beschwerdeausführungen zufolge läge der Anknüpfungspunkt für die Begünstigung nach § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG in als Pflichtbeitragszeiten geltenden "Zeiten der Arbeitslosigkeit", weil - im Hinblick auf die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit des Vaters des Beteiligten nach der Emigration - "mit Sicherheit anzunehmen ist, daß für den Beteiligten selbst eine Periode der Arbeitslosigkeit im Ausland vorliegt".

"Zeiten einer nachweisbaren Arbeitslosigkeit im Ausland" im Sinne des zweiten Satzes des § 502 Abs. 1 ASVG, die als aus den Gründen des § 500 veranlaßte "Zeiten der Arbeitslosigkeit" im Sinne des ersten Satzes gelten, liegen nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn sie mit einer einen Begünstigungstatbestand bildenden (also aus den Gründen des § 500 veranlaßten) Auswanderung im unmittelbaren Zusammenhang stehen. Begünstigungsfähig ist nur die im unmittelbaren Anschluß an die einen Begünstigungstatbestand bildende Auswanderung liegende Zeit der Arbeitslosigkeit bis zum Höchstausmaß von zwei Jahren und nicht ein beliebiger Zeitraum während der Zeit der Auswanderung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 1990, Zl. 89/08/0075, und die darin zitierte Vorjudikatur).

Bei der Auslegung des Begriffes "Arbeitslosigkeit" im § 502 Abs. 1 ASVG ist nach der vor Inkrafttreten der 41. Novelle zum ASVG ergangenen Rechtsprechung, die grundsätzlich auch weiterhin anwendbar ist, auf die Umschreibung des Begriffes, wie sie in § 11 Abs. 1 AlVG 1949 getroffen wurde, Bedacht zu nehmen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 19. September 1988, Zl. 89/08/0078, und vom 22. Mai 1990, Zl. 89/08/0236). Danach ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses eine neue Beschäftigung nicht gefunden hat. Als arbeitslos im Sinne des Abs. 1 gilt gemäß Abs. 2 insbesondere nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht (lit. a), wer, ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, im Betrieb des Ehegatten, der Eltern oder Kinder tätig ist (lit. c) oder wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird oder, ohne daß ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht (lit. e).

Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt im Beschwerdefall kein Anhaltspunkt für den Begünstigungstatbestand der Arbeitslosigkeit nach § 502 Abs. 1 und 6 ASVG als Anknüpfungspunkt einer Begünstigung nach § 502 Abs.1 letzter Satz ASVG vor. Der verstorbene Ehegatte der Beschwerdeführerin (der im Zeitpunkt der Auswanderung noch im schulpflichtigen Alter war) hatte im Verwaltungsverfahren selbst angegeben, nach der Emigration zunächst (von Juni 1938 bis Ende 1939) die allgemeine Gewerbeschule in Basel besucht zu haben. Am 28. Dezember 1939 sei er in Chile angekommen. Seither habe er in verschiedenen Tätigkeiten beim Vater mitgearbeitet (OZ. 12 bis 15 der Verwaltungsakten). Die belangte Behörde hat diese Angaben ihren Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde gelegt; davon ausgehend lag kein Anhaltspunkt für eine Arbeitslosigkeit im relevanten Zeitraum vor. Davon ausgehend kam auch eine begünstigte Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit nach § 502 Abs. 1 und 6 ASVG nicht in Betracht.

Die von der Beschwerdeführerin gezogene Schlußfolgerung, auf Grund der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit des Vaters sei mit Sicherheit anzunehmen, daß für Erich N eine Periode der Arbeitslosigkeit im Ausland vorliege, ist nicht nachvollziehbar; der geltend gemachte Verstoß gegen Verfahrensvorschriften liegt daher ebensowenig vor wie die offenbar aus der Nichtberücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit abgeleitete inhaltliche Rechtswidrigkeit.

Soweit die Beschwerdeführerin auf die durch die 48. Novelle zum ASVG (BGBl. Nr. 642/1989) geänderte Rechtslage Bezug nimmt, ist darauf zu verweisen, daß dieses Bundesgesetz nach seinem Art. VIII am 1. Jänner 1990 und somit nach Erlassung des angefochtenen Bescheides am 1. Dezember 1989 in Kraft getreten ist.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990080014.X00

Im RIS seit

16.04.1991

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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