TE Vfgh Erkenntnis 2006/11/28 B1558/06

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.2006
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art7
DSt 1990 §1, §3
RAO §9, §16
RechtsanwaltstarifG §1 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen überhöhter Honorarforderungen an die Gegnerin seines Mandanten unter Androhung der Einbringung eines Konkursantrags

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 18. Juni 2004 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

"in seinem namens seiner Mandantschaft, der K M Ltd. am 9. Juli 2003 an die S-Warenhandelsgesellschaft m.b.H. in ... wegen einer Warenforderung von 1.197,-- britische[n] Pfund übermittelten Forderungseintreibungsschreiben an anwaltlichen Betreibungsspesen in Österreich einen überhöhten Betrag von 1.995,58 britischen Pfund unter Androhung der Einbringung eines Konkursantrages gefordert."

Er wurde hiefür der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 20. April 2006 keine Folge gegeben.

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein faires Verfahren, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung sowie eine Verletzung des Klarheitsgebotes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt. Sie beantragt, dem Beschwerdeführer Kostenersatz aufzutragen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer behauptet die Verfassungswidrigkeit des §1 Abs2 Rechtsanwaltstarifgesetz (im Folgenden: RATG). Diese Bestimmung verstoße gegen Art81 und 82 EGV. Eine Berechnung nach Stundensätzen - unabhängig vom Streitwert - entspreche dem internationalen ordre public. Bestimmungen, die dazu führen, dass ein Rechtsanwalt vom Gegner seines Mandanten nur Beträge verlangen könne, mit denen nicht oder gerade noch die Auslagen für die Bearbeitung der Rechtssache gedeckt werden können, seien unsachlich.

1.2. §1 RATG, BGBl. Nr. 189/1969, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 132/2001, lautet:

"Gegenstand des Tarifs

§1. (1) Die Rechtsanwälte haben im zivilgerichtlichen Verfahren und im schiedsrichterlichen Verfahren nach den §§577 ff. der Zivilprozeßordnung sowie in Strafverfahren über eine Privatanklage und für die Vertretung von Privatbeteiligten Anspruch auf Entlohnung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen und des angeschlossenen, einen Bestandteil dieses Bundesgesetzes bildenden Tarifs. Die sich auf Grund von im Tarif angeordneten Rechenoperationen ergebenden Tarifansätze sind auf volle 10 Cent auf- oder abzurunden.

(2) Die Vorschriften dieses Bundesgesetzes gelten, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt wird, sowohl im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und der von ihm vertretenen Partei als auch bei Bestimmung der Kosten, die der Gegner zu ersetzen hat, und zwar auch dann, wenn dem Rechtsanwalt in eigener Sache Kosten vom Gegner zu ersetzen sind. Sie gelten auch dann, wenn die darin bezeichneten Leistungen von Notaren verrichtet werden, sofern der Notar zu einer solchen Leistung befugt und die Entlohnung nicht im Notariatstarif oder im Tarif über die Entlohnung der Notare als Beauftragte des Gerichtes geregelt ist."

1.3. Der Verfassungsgerichtshof hegt vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keine Bedenken ob der Verfassungskonformität des §1 Abs2 RATG (vgl. zur damals noch auf Verordnungsstufe stehenden Vorgängerbestimmung VfSlg. 2294/1952). Gegenüber dem Klienten selbst steht dem Rechtsanwalt das Recht einer freien Honorarvereinbarung zu (§16 Abs1 Rechtsanwaltsordnung, im Folgenden: RAO). Hingegen sind gegenüber dem Gegner des Mandanten die Tarifansätze des RATG anzuwenden (§1 Abs1 und 2 RATG). Das Honorar des Rechtsanwaltes ergibt sich in diesen Fällen aus Art und Umfang der verrechenbaren Leistungen in Relation zum Streitwert. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes garantiert das RATG ein Höchstmaß an individueller Leistungsgerechtigkeit für die anwaltliche Vergütung bei gleichzeitiger sozial ausgewogener Tarifstruktur.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer behauptet, die belangte Behörde habe §1 Abs2 RATG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Ihm sei der ausdrückliche Auftrag erteilt worden, alle Maßnahmen zu treffen, um die Forderung einbringlich zu machen. In Folge der "grenz- und sprachüberschreitenden Tätigkeit" seien höhere Kosten angefallen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Rechtsverfolgungskosten den "Hauptsachenbetrag" übersteigen.

2.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Eine willkürliche Vorgangsweise ist dem Verfassungsgerichtshof jedoch nicht erkennbar. Da zwischen dem Beschwerdeführer und dem Gegner seines Mandanten kein Vertragsverhältnis bestand, kann sich der Kostenersatz nur auf §1 Abs2 RATG stützen. Selbst der ausdrückliche Auftrag des Klienten entbindet den Rechtsanwalt nicht von der Verpflichtung, gesetzmäßig vorzugehen (§9 RAO).

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass die Rechtssache rechtlich kompliziert gewesen sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Forderung unbestritten war, die Aufgabe des Beschwerdeführers ausschließlich in deren Einbringlichmachung bestand und die von ihm verrechneten Leistungen bei Bemessung nach dem RATG € 483,- und nicht wie von ihm verrechnet € 2.945,44 ausmachen.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt die Nichtanwendung des §3 Disziplinarstatut (im Folgenden: DSt 1990). Sein Verschulden sei bloß geringfügig gewesen. Liegen sämtliche Voraussetzungen vor, bestehe ein Rechtsanspruch auf die Anwendung des §3 DSt 1990.

3.2. §3 DSt 1990, BGBl. Nr. 474/1990, lautet:

"§3. Ein Disziplinarvergehen ist vom Disziplinarrat nicht zu verfolgen, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts geringfügig ist und sein Verhalten keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat."

3.3. Der Verfassungsgerichtshof hält es aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers, nämlich der Verrechnung eines überhöhten Honorars und der unangemessenen Druckausübung, für vertretbar, wenn die belangte Behörde keinen Anlass zur Anwendbarkeit des §3 DSt 1990 sieht. Ob die Bestimmung in jeder Hinsicht richtig angewendet wurde, ist eine Frage der Anwendung des einfachen Gesetzes, für deren Beurteilung dem Verfassungsgerichtshof keine Zuständigkeit zukommt (vgl. dazu bereits VfGH 26. September 2006, B1001/06).

4.1. Unter dem Titel des Art6 EMRK rügt der Beschwerdeführer, das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien sei am 18. Juni 2004 verkündet und ausgefertigt, dem Beschwerdeführer jedoch erst nach mehr als einem Jahr zugestellt worden. Das Verfahren habe bisher beinahe drei Jahre gedauert. Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass Entlastungszeugen nicht vernommen worden seien, und dass er die Durchführung einer öffentlichen Berufungsverhandlung ausdrücklich beantragt habe.

4.2. Nach Lage des vorliegenden Falles kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, dass eine Verfahrensdauer von weniger als drei Jahren bereits eine Verletzung des Art6 EMRK im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer bewirkt.

4.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) sieht das Recht, die Ladung von Entlastungszeugen zu verlangen, nicht als absolut an (EGMR 22.4.1992, Fall Widal gegen Belgien, Appl. Nr. 12351/86). Die Beurteilung, ob ein Zeuge zu laden ist, weil er "wesentlich" ist, obliegt zunächst den nationalen Gerichten. Der EGMR stellt nur darauf ab, ob das Verfahren insgesamt fair war (vgl. zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR auch VfGH 28.2.2006, B831/05; VfGH 26.9.2006, B992/06). Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass es zur Erhebung des relevanten Sachverhaltes nicht auch der Einvernahme des Auftraggebers aus Großbritannien bedurfte. Außerdem wurde in der Berufungsverhandlung das Beweisverfahren durch Vernehmung der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugin ergänzt.

4.4. Dem Vorbringen hinsichtlich der Durchführung einer öffentlichen Berufungsverhandlung ist entgegenzuhalten, dass am 24. April 2006 eine mündliche Verhandlung vor der OBDK stattgefunden hat. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist im Akt nicht ersichtlich. Hätte der Beschwerdeführer derartiges bei der Verhandlung erkannt, wäre es zweifellos seine Verpflichtung gewesen, dies zu rügen. Er hat sich jedoch auf die Verhandlung eingelassen.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art6 EMRK verletzt.

5.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich außerdem in seinem gemäß Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt. Das Disziplinarrecht stelle eine generelle Schranke der Erwerbsfreiheit dar. Außerdem handle es sich bei den Begriffen "Ehre und Ansehen des Standes" um unbestimmte Gesetzesbegriffe.

5.2. Im Hinblick auf die oben - sub titulo Gleichheitsgrundsatz - angestellten Überlegungen kann der Gerichtshof nicht finden, dass der angefochtene Bescheid gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verstößt.

6.1. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer in dem durch Art7 EMRK gewährleisteten Klarheitsgebot verletzt, weil es ihm mangels gefestigter Standesauffassung nicht möglich gewesen sei, sein Verhalten danach zu richten. Zum Zeitpunkt der Androhung des Konkursantrages durch den Beschwerdeführer sei die Gegnerin seines Mandanten bereits insolvent gewesen. Die Androhung habe unter diesen Umständen eine angemessene Maßnahme dargestellt.

6.2. Eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes muss sich auf gesetzliche Regelungen oder auf verfestigte Standesauffassungen - wofür Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur von Bedeutung sind - stützen, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen (VfSlg. 11.776/1988). Dem aus Art7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde dann nicht, wenn sie sich - statt zu benennen, gegen welche konkrete Standespflicht ein inkriminiertes Verhalten verstößt - nur mit Rechtsprechungshinweisen begnügt.

Der Gerichtshof ist in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass es eine verfestigte Standesauffassung ist, dass die Geltendmachung überhöhter Honorare disziplinär verantwortlich macht (VfSlg. 12.507/1990, 14.237/1995, 14.809/1997, 16.168/2001, 16.557/2002, 17.152/2004). Die belangte Behörde hat sich bei der Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation der Begriffe "Ehre und Ansehen des Standes" erkennbar sein musste, nämlich, dass er sich durch die Forderung des überhöhten Betrages unter Androhung der Einbringung eines Konkursantrages einer Bestrafung aussetzt.

Es kann der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie nach Durchführung des Beweisverfahrens zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer vor der Androhung des Konkursantrages keine ausreichenden Erhebungen über die Zahlungsunfähigkeit der Gegnerin seines Mandanten vorgenommen hat.

Der angefochtene Bescheid steht somit im Lichte der zitierten Rechtsprechung mit dem aus Art7 EMRK erfließenden Klarheitsgebot im Einklang.

7. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

8. Kosten an die belangte Behörde als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes waren nicht zuzusprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist.

9. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Rechtsanwaltstarif, Entscheidung in angemessener Zeit, fair trial, Verhandlung mündliche, Klarheitsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1558.2006

Dokumentnummer

JFT_09938872_06B01558_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten