TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/17 91/02/0008

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Veröffentlicht am 17.04.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §63 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 4. Dezember 1990, Zl. VerkR-12.409/6-1990-II/Bi, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit der Straßenpolizei, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems vom 27. November 1989 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, drei näher bezeichnete Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 begangen zu haben. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 13. Dezember 1989 zugestellt.

Dagegen erhob der - nunmehr anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer Berufung. Der Berufungsschriftsatz ist mit 27. Dezember 1989 datiert und trägt einen Eingangsstempel der Erstbehörde, der ursprünglich auf "27. Dez. 1989" gelautet hat, handschriftlich auf "28. Dez. 1989" geändert wurde und mit einem offenbar "Korr." lautenden handschriftlichen Vermerk und einer Paraphe versehen ist; im vorgelegten Verwaltungsstrafakt befindet sich kein zu dieser Eingabe gehörender Briefumschlag.

Über Aufforderung der belangten Behörde, zu klären, auf welche Weise und wann die Berufung eingebracht wurde, erstattete die Erstbehörde ein Schreiben vom 1. Februar 1990, nach dem eine Angestellte des den Beschwerdeführer vertretenden Rechtsanwaltes - des nunmehrigen Beschwerdevertreters -, der seinen Kanzleisitz ebenfalls in Kirchdorf a.d. Krems hat, die Berufung am Morgen des 28. Dezember 1989 persönlich überreicht habe; der in der Einlaufstelle tätige Bedienstete habe den Eingangsstempel noch nicht umgestellt gehabt und den Stempelaufdruck händisch korrigiert,

Der Beschwerdeführer führte dagegen aus, daß die Berufung am 27. Dezember 1989 zur Post gegeben worden sei. Er legte Ablichtungen der ersten Seite des Berufungsschriftsatzes, die einen Stempelaufdruck der Kanzlei des Beschwerdevertreters "Erledigt am 27. Dez. 1989" aufweist, sowie eines Postaufgabescheines des Postamtes 4560 (Kirchdorf a.d. Krems), nach dem am 27. Dezember 1989 eine eingeschriebene Briefsendung mit der Aufgabenummer 108a an die Erstbehörde aufgegeben wurde, vor.

In der Folge wurde der in Rede stehende Bedienstete der Erstbehörde am 28. September 1990 als Zeuge vernommen. Er gab dabei an, daß die Berufung am 28. Dezember 1989 morgens von einer Angestellten des Beschwerdevertreters abgegeben worden sei. Er könne sich nicht mehr erinnern, welche Angestellte das Schreiben abgegeben habe. Üblicherweise, aber nicht immer, werde auf die Kopie des Rechtsanwaltes ein Eingangsstempel gegeben, der das Einlangen eines Rechtsmittels bestätige. Der vom Beschwerdevertreter vorgelegte Einschreibezettel gehöre nach seinen Aufzeichnungen nicht in die Verkehrsabteilung, sondern in die Abteilung für Polizei- und Sicherheitswesen. Er legte einen "Gesamtabgabeschein" des Postamtes 4560 betreffend die am 28. Dezember 1989 der Erstbehörde zugestellten eingeschriebenen Briefsendungen vor. Darin scheint auch die beim selben Postamt aufgegebene Sendung Nr. 108a auf. Der Zeuge gab dazu an, daß der in derselben Spalte angebrachte handschriftliche Vermerk "Sich" von ihm nach dem Öffnen des Briefumschlages zwecks Zuteilung der Eingabe an die Abteilung der Erstbehörde für Polizei- und Sicherheitswesen verfertigt worden sei. In einem Akt dieser Abteilung müsse sich die Eingabe mit dem Briefumschlag befinden. Bei dieser Eingabe könne es sich nicht um die gegenständliche Berufung gehandelt haben.

Der Beschwerdeführer führte in seiner Stellungnahme zu diesem Beweisergebnis aus, daß die Kanzleileiterin des Beschwerdevertreters bei Abfertigung der Berufung am 27. Dezember 1989 den genannten Stempelaufdruck erstellt und den genannten Postaufgabeschein ausgefüllt habe, auf dessen Rückseite sie einen handschriftlichen Vermerk lautend auf den Namen des Beschwerdeführers und "BH" angebracht habe. Ein vom Beschwerdevertreter am 27. Dezember 1989 an die Abteilung für Polizei- und Sicherheitswesen der Erstbehörde abgesandtes Schreiben gebe es nicht. Es müsse ein Versehen bei der Zuordnung des Schriftstückes an die in Rede stehende Abteilung vorliegen, welches nunmehr von dem Bediensteten nicht zugegeben werde. Bei dem Eingangsstempelaufdruck auf dem Berufungsschriftsatz befinde sich jedenfalls nicht der Vermerk "persönlich überreicht". Desgleichen weise die im Besitz des Beschwerdevertreters verbliebene "Berufungsdurchschrift" keinen Eingangsstempel der Erstbehörde auf. Er beantragte die Einvernahme der Kanzleileiterin und einer weiteren Angestellten des Beschwerdevertreters als Zeuginnen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis vom 27. November 1989 als verspätet zurückgewiesen. Begründet wurde dies damit, daß die belangte Behörde als erwiesen annahm, daß die Berufung am 28. Dezember 1989 bei der Erstbehörde überreicht worden sei. Die belangte Behörde stützte sich dabei im wesentlichen auf die Zeugenaussage des genannten Bediensteten der Erstbehörde und die von ihm vorgelegte Unterlage; sie wies auch auf den Umstand hin, daß der Berufungsschriftsatz (zum Unterschied von den anderen vom Beschwerdevertreter verfaßten Eingaben) nicht gefaltet wurde und daß kein entsprechender Briefumschlag vorhanden sei. Die beantragten Zeugeneinvernahmen seien entbehrlich, weil es durchaus möglich sei, daß der Berufungsschriftsatz am 27. Dezember 1989 "verfaßt bzw. ausgefertigt wurde". Auf Grund der Fülle der bei der Abteilung für Polizei- und Sicherheitswesen anhängigen Verfahren sei es schließlich unmöglich, die in Rede stehende Sendung Nr. 108a herauszusuchen; sie sei jedenfalls bei der Erstbehörde eingelangt.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Strittig ist, ob der Berufungsschriftsatz vom 27. Dezember 1989 an diesem Tag zur Post gegeben wurde und der Erstbehörde in der Sendung Nr. 108a am 28. Dezember 1989 zugekommen ist, oder ob der Schriftsatz am 28. Dezember 1989 bei der Erstbehörde überreicht wurde. Diese Frage läßt sich auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens weder in der einen noch in der anderen Richtung schlüssig beantworten. Sowohl für als auch gegen beide Versionen sprechen gewichtige Umstände, ohne jeweils die eine der beiden Versionen in eindeutiger Weise zu bestätigen. Die belangte Behörde hätte daher noch weitere Ermittlungen anstellen müssen, sofern diese nicht von vornherein als keinen Erfolg versprechend angesehen werden durften und nicht einen übertriebenen, mit den Grundsätzen des letzten Satzes des § 39 Abs. 2 AVG in Widerspruch stehenden Aufwand erfordert hätten. Solche Ermittlungen wären der belangten Behörde, bzw. in ihrem Auftrag der Erstbehörde möglich gewesen. So wären die vom Beschwerdeführer als Zeugen geführten Angestellten des Beschwerdevertreters zu den Vorgängen um die angebliche Postaufgabe zu befragen gewesen, insbesondere zu der behaupteten Ausfüllung des Postaufgabescheines und dem auf seiner Rückseite angebrachten Vermerk (betreffend den Namen des Beschwerdeführers und "BH"). Gegebenenfalls wäre es durchaus möglich, andere Akten der Erstbehörde, die den Beschwerdeführer oder eine namensgleiche Person betreffen, in der Abteilung für Polizei- und Sicherheitswesen der Erstbehörde zu suchen. Mit dem Auffinden eines am 27. Dezember 1989 beim Postamt 4560 unter der Nummer 108a aufgegebenen Schreibens wäre jedenfalls der eindeutige Nachweis erbracht, daß diese Sendung nicht die gegenständliche Berufung enthalten hat. Das Ausfindigmachen und allfällige Ausheben dieser Akten ist bei einer durchschnittlichen Organisation einer Behördenkanzlei mit einem Aufwand verbunden, der der Bedeutung ihres Anlasses angemessen ist.

Was die Unterlassung der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugeneinvernahmen anlangt, kann auch im übrigen eine Wesentlichkeit des darin liegenden Verfahrensmangels nicht ausgeschlossen werden. Der Beschwerdeführer hat seiner Beschwerde "Eidesstättische Erklärungen" der beiden Angestellten angeschlossen, in denen insbesondere zum Ausdruck gebracht wird, daß sie im Falle der Überreichung des Berufungsschriftsatzes bei der Behörde jedenfalls die Anbringung eines Eingangsstempels auf dem im Handakt des Beschwerdevertreters verbleibenden Exemplar verlangt hätten, sodaß sich darauf ein entsprechender Eingangsstempel der Erstbehörde hätte befinden müssen. Die belangte Behörde hätte den Zeuginnen auch den in der Begründung des angefochtenen Bescheides erstmals erwähnten Umstand, der Berufungsschriftsatz sei nicht gefaltet worden, während die anderen Eingaben des Beschwerdevertreters ihren Briefumschlägen entsprechende Faltspuren aufweisen, vorhalten müssen. Sie hätte auch - mit dessen Einverständnis - in den Handakt des Beschwerdevertreters Einblick nehmen können.

Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in dem Schriftsatzaufwand nach der zitierten Verordnung bereits enthalten ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991020008.X00

Im RIS seit

17.04.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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