Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §60;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. Oktober 1990, Zl. I/7-St-M-9059, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, als mit ihm über den Beschwerdeführer wegen Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 eine Verwaltungsstrafe verhängt und ihm ein Verfahrenskostenbeitrag vorgeschrieben wird; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 17. März 1989 um 10.05 Uhr an einer näher bezeichneten Straßenstelle in Krems als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Lkws einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und sein Fahrzeug danach nicht sofort angehalten, nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt, obwohl ein Identitätsnachweis mit dem Geschädigten nicht erfolgt sei, und nicht an der Feststellung des Sachverhaltes mitgewirkt, indem er den von ihm gelenkten Lkw "nicht in der Unfallendstellung belassen" habe.
Dadurch habe er Übertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a, nach § 4 Abs. 5 und nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen. Über ihn wurden drei Geldstrafen in der Höhe von je S 1.000,-- (drei Ersatzarreststrafen in der Höhe von je 48 Stunden) verhängt; ferner wurden ihm Verfahrenskostenbeiträge in der Höhe von je insgesamt S 200,-- vorgeschrieben.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt - zu allen drei ihm zur Last gelegten Übertretungen - vor, daß er von dem Verkehrsunfall nicht habe Kenntnis haben können, sodaß ihn die Verpflichtungen nach § 4 StVO 1960 gar nicht getroffen hätten. Die gegenteilige Annahme der belangten Behörde sei "infolge einer nicht mit den Denkgesetzen in Einklang zu bringenden, vor allem aber mangelhaft begründeten Beweiswürdigung, die die wesentlichen Ergebnisse des Beweisverfahrens schlicht und einfach ignorierte", zustandegekommen. Er bestreitet in der Beschwerde nicht mehr, einen Sachschaden - an einer Hausmauer "Verputz handtellergroß heruntergefallen" - verursacht zu haben.
Die belangte Behörde hat die in Rede stehende Annahme auf Grund der Aussage eines Zeugen, der sich unmittelbar hinter der vom Beschwerdeführer kontaktierten Hausmauer im Inneren des Hauses befunden hat, und des Gutachtens eines technischen Amtssachverständigen getroffen. Soweit sie darüber hinaus den Schwerpunkt ihrer Ausführungen auf den Umstand legt, daß der Beschwerdeführer den Lkw am Tatort überhaupt nicht hätte lenken dürfen, weil er damit gegen eine verordnete Gewichtsbeschränkung verstoßen habe, woraus seine "erschreckende Unbekümmertheit" so wie sein "enorm hohes Ausmaß an Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber der Einhaltung von Verkehrsvorschriften" hervorgehe, so geht diese Argumentation ins Leere. Im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren geht es nicht um eine derartige Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960; sie hätte auch nichts mit der vom Beschwerdeführer aufgewendeten Aufmerksamkeit und der Möglichkeit, die Streifung der Hausmauer wahrzunehmen, zu tun. Der Schluß aus einer begangenen Übertretung einer Gewichtsbeschränkung auf die Nichtbefolgung auch anderer straßenpolizeilicher Vorschriften bzw. auf eine generelle Unachtsamkeit ist unzulässig. Was die erwähnte Zeugenaussage anlangt, so hat der Zeuge bei seiner ersten Einvernahme (am 13. September 1989) von einer von ihm wahrgenommenen deutlichen Erschütterung, bei seiner zweiten Einvernahme (am 21. August 1990) lediglich von einem Anstoßgeräusch gesprochen. Der Sachverständige, der sein Gutachten unmittelbar nach der zweiten Zeugenaussage erstattete, ging - wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - zunächst ohne nähere Prüfung und Begründung von einer deutlichen Erschütterung der Hausmauer aus; den Anprall, der eine derartige Auswirkung gehabt habe, hätte der Beschwerdeführer sowohl optisch als auch akustisch als auch durch eine fühlbare Kraftwirkung bemerken müssen. Der Sachverständige führte aber weiter aus, daß auf Grund der erkennbaren geringen Beschädigungen der Hausmauer (geringe Einschlagtiefe) gesagt werden müsse, daß die Annäherung des Lkws (seiner Stoßstange) an die Hausmauer in spitzem Winkel und weniger als Anstoß als "durch einen gleichmäßig anschwellenden Druck" erfolgt sei; unter dieser Annahme habe der Beschwerdeführer "diese Beschädigungen nicht mit absoluter Sicherheit objektiv erkennen .... müssen".
Die belangte Behörde ist nun zwar eine schlüssige Begründung dafür schuldig geblieben, wieso sie die zuletzt genannte, für den Beschwerdeführer günstigere Variante ausgeschlossen hat. Der Sachverständige selbst hat sie als die wahrscheinlichere bezeichnet.
Dieser Verfahrensmangel ist aber nicht wesentlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 4 StVO 1960 trifft den Lenker eines Fahrzeuges in bestimmten - etwa in riskanten - Verkehrssituationen die Verpflichtung, erhöhtes Augenmerk darauf zu richten, ob sein Fahrmanöver zu einem Verkehrsunfall geführt hat oder ohne Folgen geblieben ist (vgl. das ebenfalls eine enge Straßenstelle betreffende Erkenntnis vom 17. Jänner 1985, Zl. 85/02/0034). Der Beschwerdeführer hat nach seinen eigenen Angaben sehr wohl erkannt, daß das Befahren des Tatortes mit dem von ihm gelenkten Kfz mit einer hohen Unfallsgefahr verbunden war; dies hat ihn in der Folge sogar dazu veranlaßt, sein Vorhaben abzubrechen und wieder zurückzufahren. Wenn er mit ganz geringer Geschwindigkeit ("Unterschrittgeschwindigkeit") nur einige Zentimeter gefahren ist, bevor er vom beabsichtigten Weiterfahren Abstand nahm, so hätte er damit rechnen müssen, daß es zu einem Kontakt zwischen dem von ihm gelenkten Fahrzeug und einer Hausmauer kommen kann, der für ihn weder akustisch noch durch eine Erschütterung wahrnehmbar gewesen wäre. Er wäre daher verpflichtet gewesen, sich durch Betrachtung jener Stellen der angrenzenden Hausmauern, mit denen zumindest die Gefahr der Kontaktierung bestanden hat, zu vergewissern, ob ihm sein Fahrmanöver ohne Verursachung eines Sachschadens gelungen ist. Hat er diese Nachschau unterlassen, so hat er im Zusammenhang mit von ihm dabei verursachten Sachschäden deren verschuldete Unkenntnis zu verantworten. Daß er während oder nach dem Rückwärtsfahren zu diesem Zweck nach vorne auf die betreffende Hausmauer geblickt hätte, hat er nicht behauptet.
2. Ein wesentlicher Begründungsmangel liegt hingegen darin, daß die belangte Behörde drei gleich hohe Geldstrafen (Ersatzarreststrafen) verhängt hat. Gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO 1960 beträgt der Strafrahmen u.a. bei Übertretungen nach § 4 Abs. 1 StVO 1960 S 500,-- bis S 30.000,-- (24 Stunden bis sechs Wochen Ersatzarrest). Hingegen sieht § 99 Abs. 3 lit. b StVO 1960 für Übertretungen u.a. des § 4 Abs. 5 StVO 1960 Geldstrafen bis S 10.000,-- (bis zwei Wochen Ersatzarrest) vor. Es ist nicht erkennbar, wieso der Beschwerdeführer angesichts dieser unterschiedlichen Regelungen für alle Übertretungen gleich hoch bestraft wurde. Die belangte Behörde hätte näher begründen müssen, aus welchen Gründen sie die Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO mit einer gleich hohen Strafe wie die beiden Übertretungen nach § 4 Abs. 1 StVO 1960 geahndet hat (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1985, Zl. 85/18/0002, und vom 20. April 1988, Zlen. 87/02/0187 bis 0192).
Wegen des genannten Begründungsmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG in dem im Spruch genannten Umfang aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990020206.X00Im RIS seit
12.06.2001