TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/17 91/01/0022

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Veröffentlicht am 17.04.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §58 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs4;
StbG 1985 §10;
StbG 1985 §11;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. Jänner 1991, Zl. Ia-8864/7-1991, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 4 in Verbindung mit § 11 sowie § 39 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG) keine Folge.

Sie ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer sei am 4. September 1969 in Breslau (jetzt: Wroclaw), Polen, geboren worden und besitze von Geburt an die polnische Staatsangehörigkeit. Er habe seine schulische und berufliche Ausbildung in Polen absolviert. Nach Abschluß der Berufsschule sei er als Automechaniker tätig gewesen und habe sich dem Handballsport, und zwar sowohl in der Junioren-Nationalmannschaft als auch in der polnischen Nationalmannschaft gewidmet. Der Beschwerdeführer sei im Dezember 1989 nach Österreich eingereist und habe seinen ordentlichen Wohnsitz in Innsbruck begründet, wo er seit 20. Dezember 1989 wohne. Auch in Österreich habe sich der Beschwerdeführer dem Handballsport gewidmet und sei Mitglied der in der Staatsliga A spielenden Handballmannschaft des ATSV

X.

In seiner Eingabe vom 18. Juni 1990 und im weiteren habe der Beschwerdeführer ausgeführt, zu den besten Handballspielern zu zählen, die es in Österreich gebe. Er habe sich verpflichtet, nach Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft sein Können als Handballspieler auch der österreichischen Nationalmannschaft zur Verfügung zu stellen und alle ihn daraus treffenden Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Das Ziel der österreichsichen Handballnationalmannschaft sei es, beim Qualifikationsturnier zur Weltmeisterschaft, das im Jahre 1992 in Innsbruck stattfinden werde, den Aufstieg in die Weltmeisterschaftsgruppe (A-Gruppe), also unter die besten Nationen der Welt, zu schaffen. Das Anliegen des Beschwerdeführers wurde vom österreichischen Handball- und Faustballbund sowie vom Arbeiter-, Turn- und Sportverein X unterstützt.

Mit Note vom 5. November 1990 habe der Bundesminister für Inneres bekannt gegeben, daß die Bundesregierung mit Ministerratsbeschluß vom 30. Oktober 1990 die Staatsinteressenbescheinigung nach § 10 Abs. 4 StbG für den Beschwerdeführer erteilt habe.

Der Beschwerdeführer sei davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die belangte Behörde mit Beschluß vom 4. Dezember 1990 sein Ansuchen negativ entschieden habe; der Beschwerdeführer sei dazu zur Äußerung aufgefordert worden. In der Stellungnahme vom 3. Jänner 1991 habe der Beschwerdeführer dargelegt, daß der Beschluß der Landesregierung nicht begründet und es ihm daher nicht möglich sei, Stellung zu nehmen.

Rechtlich ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon aus, daß im Hinblick auf die erst 1989 erfolgte Wohnsitznahme des Beschwerdeführers in Österreich die Möglichkeit der Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 StbG ausscheide, jedoch bei Erfüllung der allgemeinen Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 6 und 8 leg. cit. eine Verleihung nicht ausgeschlossen sei, wenn eine Bestätigung der Bundesregierung im Sinne des § 10 Abs. 4 leg. cit. vorliege. Auch bei Vorliegen einer solchen Bestätigung habe sich die Behörde aber bei Ausübung des ihr in § 10 StbG eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen. Aus dem Titel des § 10 Abs. 4 leg. cit. stehe dem Beschwerdeführer kein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft zu.

Unter Hinweis auf das allgemeine Wohl und die öffentlichen Interessen im Sinne des § 11 leg. cit. ging die belangte Behörde davon aus, daß vorzugsweise Behandlungen von Einbürgerungswerbern mit Qualifikationen, wie sie der Beschwerdeführer aufweise, in der Öffentlichkeit auf geringes Verständnis stießen und daß gegenüber Verleihungen der Staatsbürgerschaft an Antragsteller aus anderen Berufssparten durch eine Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer der Gleichheitsgrundsatz durchbrochen würde. Außerdem spielten die Interessen der Sportverbände, bei denen der Beschwerdeführer aktiv mitwirke, eine vordergründige Rolle. Laut eigenen Angaben des Beschwerdeführers ließen sich außer sportlichen Interessen und Tätigkeiten keine anderen Beziehungen zu Österreich nachweisen. Auch habe der Beschwerdeführer infolge seiner kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich aus der Sicht der belangten Behörde derzeit noch keinerlei derartige Leistungen im Handballsport aufzuweisen, die auch künftig für außerordentliche Leistungen auf dem Gebiete dieses Sportes, und zwar für eine längere Zeitspanne, ausschlaggebend sein könnten. Zudem könne nicht einmal mit Bestimmtheit vorausgesagt werden, wie lange der Beschwerdeführer in Österreich weiterhin verbleiben möchte. Bei der Ermessensübung sei das öffentliche Interesse zu berücksichtigen. Die von der Bundesregierung ausgestellte Bestätigung über das Vorliegen des Republiksinteresses stütze sich ausschließlich auf geltend gemachte sportliche Leistungen des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde sei aber der Meinung, daß dem Begriff öffentliches Interesse eine darüber hinausgehende Qualifikation zukomme. Das öffentliche Interesse könne nicht allein darin erblickt werden, daß der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft dem Zwecke diene, die Anzahl von Ausländern in den sportlichen Vereinen auf das zulässige Maß einzuschränken, um damit den Statuten der Sportverbände zu entsprechen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Beschwerdeführer erachtet sich - aus dem Beschwerdeinhalt erkennbar - in seinem Recht auf Verleihung der Österreichischen Staatsbürgerschaft, auf gesetzmäßige Ermessensübung und auf ein einwandfreies Verwaltungsverfahren verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 StbG lautet auszugsweise:

"(1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

1. er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat;

2.

er durch ein inländisches Gericht

a)

weder wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

b)

noch wegen eines Finanzvergehens zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist;

hiebei stehen der Verleihung der Staatsbürgerschaft auch Verurteilungen wegen einer strafbaren Handlung entgegen, die der Fremde vor der Vollendung des 18. Lebensjahres begangen hat;

3.

gegen ihn nicht

a)

wegen des Verdachts einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten bedroht sind, noch

b)

wegen des Verdachts eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens

bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

              4.              er nicht von einem ausländischen Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist, die strafbaren Handlungen auch nach inländischem Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 entsprechenden Verfahren ergangen ist;

5.

gegen ihn kein Aufenthaltsverbot besteht;

6.

er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß

er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet;

              7.              sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder er sich ohne sein Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet und

              8.              er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen oder das Ansehen der Republik schädigen würde ...

(4) (Verfassungsbestimmung) Die Voraussetzungen des Abs. 1 Z. 1 und 7 sowie des Abs. 2 entfallen, wenn die Bundesregierung bestätigt, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der vom Fremden bereits erbrachten oder von ihm noch zu erwartenden außerordentlichen Leistungen, insbesondere auf wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder sportlichen Gebieten, im Interesse der Republik liegt."

§ 11 leg. cit. lautet:

"Die Behörde hat sich bei der Ausübung des ihr ihm § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen. Bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft ist gegebenenfalls besonders auf den Umstand Bedacht zu nehmen, daß der Fremde Flüchtling im Sinne der Konvention vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955 oder des Protokolls BGBl. Nr. 78/1974, über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist."

In seiner Rechtsrüge wendet sich der Beschwerdeführer unter anderem dagegen, daß die belangte Behörde auf Grund seines erst kurzen Aufenthaltes in Österreich ausgesprochen hat, er habe derzeit noch keinerlei Leistungen im Handballsport aufzuweisen, die auch künftig für außerordentliche Leistungen auf diesem Gebiet, und zwar für eine längere Zeitspanne, ausschlaggebend sein könnten.

Dem Beschwerdeführer ist dabei zuzugeben, daß die belangte Behörde in diesem Zusammenhang das Wesen des § 10 Abs. 4 StbG verkannt hat. Das von dieser, im Verfassungsrang stehenden Gesetzesstelle als besondere Verleihungsvoraussetzung geforderte Staatsinteresse ist allein von der dazu berufenen Bundesregierung und nicht von der Verleihungsbehörde zu prüfen (vgl. Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II 215). Damit ist im vorliegenden Fall die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer außerordentliche sportliche Leistungen bereits erbracht hat oder ob solche von ihm noch zu erwarten sind, allein der Bundesregierung zugekommen, die darüber die für das Anliegen des Beschwerdeführers positive Bestätigung vom 5. November 1990 erteilt hat. Die Feststellung, ob die Einbürgerungsbedingungen erfüllt sind oder nicht, liegt nach ständiger hg. Judikatur nicht im freien Ermessen der Behörde; erst die nach deren Bejahung zu treffende Entscheidung über die Einbürgerung liegt im Ermessen der Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. April 1990, Zl. 89/01/0319, und die dort zitierte hg. Vorjudikatur; ähnlich Thienel a.a.O. 216), wobei (gemäß § 11 StbG) auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das gesamte Verhalten der Partei Rücksicht zu nehmen ist.

Bereits dadurch aber, daß die belangte Behörde ihren Zweifel, ob der Beschwerdeführer künftig außerordentliche Leistungen auf dem Gebiete des Handballsportes erwarten läßt, zu einem tragenden Element ihrer Bescheidbegründung gemacht hat und dabei an der für sie insoferne bindenden Bestätigung der Bundesregierung betreffend das Vorliegen des in § 10 Abs. 4 StbG geforderten Staatsinteresses vorbeigegangen ist, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Dazu kommt, daß die Verleihungsbehörde, wenn sie trotz Vorliegens einer Bestätigung im Sinne des § 10 Abs. 4 StbG zu einer Abweisung des Verleihungsansuchens gelangt, ihre Ermessensübung zu begründen hat, und zwar insbesondere zum Zwecke, um den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts die nachprüfende Kontrolle zu ermöglichen, ob die Ermessensübung mit dem Sinn des Gesetzes in Einklang zu bringen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. November 1966, Zl. 1990/64 Slg. NF 7022/A, und vom 25. März 1980, Zl. 3273/78 Slg. NF 10077/A uva.).

Der belangten Behörde ist in diesem Zusammenhang - wie der Beschwerdeführer richtig betont - vorzuwerfen, daß sie ohne jegliche Sachgrundlage in den Verwaltungsakten einerseits einen weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich für die Zukunft in Frage stellt und andererseits ein "geringes Verständnis" der Öffentlichkeit gegenüber Einbürgerungswerbern mit sportlichen Qualifikationen annimmt. Da diese Annahmen der belangten Behörde in Ermangelung ausreichender faktischer Anhaltspunkte der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich sind, leidet der angefochtene Bescheid diesbezüglich an einem wesentlichen Begründungsmangel.

Schließlich hat die belangte Behörde das gemäß § 11 StbG zu berücksichtigende öffentliche Interesse im vorliegenden Fall verneint, weil es ihrer Ansicht nach nicht darin erblickt werden könne, daß durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Zahl der Ausländer in Sportvereinen gesenkt werde, um damit den Statuten der Sportverbände zu entsprechen.

Die belangte Behörde übersieht dabei, daß sich aus dem Schreiben des österreichischen Handball- und Faustballbundes vom 20. Juni 1990 ganz eindeutig nicht ein solches Interesse ergibt, sondern vielmehr das an einem Aufstieg der österreichischen Handballnationalmannschaft in die Gruppe der weltbesten Nationen, wozu gerade die Mitwirkung des Beschwerdeführers offenbar beitragen kann. Auch die Außerachtlassung dieses Umstandes belastet den angefochtenen Bescheid mit einem erheblichen Begründungsmangel. Es ist nicht auszuschließen, daß die belangte Behörde bei Bedachtnahme auf dieses Anliegen zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher bereits aus den dargelegten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (§ 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG), ohne daß auf die übrigen Beschwerdeargumente weiter eingegangen werden mußte.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 5. März 1991, BGBl. Nr. 104, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteBeschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH ErmessensentscheidungenErmessen VwRallg8Begründung von Ermessensentscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991010022.X00

Im RIS seit

17.04.1991

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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