TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/23 90/04/0267

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Veröffentlicht am 23.04.1991
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Index

L82259 Garagen Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §38;
GaragenG Wr 1957 §3 Abs1 lita;
GaragenG Wr 1957 §3 Abs1 litc;
GewO 1973 §74 Abs2 idF 1988/399;
GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §81 Abs1 idF 1988/399;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der N-AG gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 8. Juni 1990, Zl. 312.215/2-III-3/89, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (34 mitbeteiligte Parteien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines in Beschwerde gezogenen Spruchpunktes 1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 20.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. Mai 1989 enthält folgende Einleitung:

    "In der mit dem rechtskräftigen Bescheid des

Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom

27. Jänner 1972 .... und den rechtskräftigen Folgebescheiden,

zuletzt vom 27. Oktober 1981 ...., genehmigten Tankstelle mit

Service-Station .... sind folgende Änderungen geplant:

Beschreibung

I. Auf der dem Stationsgebäude nächstgelegenen Pumpeninsel soll ein Mopedbetankungsgerät der Marke 'Tecalemit', Type 'Beomat' aufgestellt werden, dessen Betrieb im Wege der Selbstbedienung durch die Kunden vorgesehen ist.

Weiters ist beabsichtigt, einen Lagerraum im Keller als Öllagerraum auszugestalten, in dem bis zu 300 l Schmieröl gelagert werden sollen und in dem auch der Kompressor für die betriebseigene Druckluftanlage aufgestellt wird.

Ferner ist geplant, in dem bisher zur Lagerung von Altöl Verwendung findenden 10.000 l fassenden Behälter nunmehr Ofenöl zu lagern. Das im Betrieb anfallende Altöl soll in einem 200 l-Behälter gesammelt und nach Bedarf aus der Betriebsanlage entfernt werden.

II. In dem bisher zur Lagerung von Ofenöl bestimmten Behälter soll künftig Dieseltreibstoff vorrätig gehalten werden. Zur Abgabe dieses Produktes an Kraftfahrer ist beabsichtigt, die Doppelzapfsäule für Superbenzin auf der straßenseitigen Pumpeninsel auf die Abgabe von Superbenzin und Dieseltreibstoff umzurüsten."

Mit Spruchteil I. wurde die in Abschnitt I. beschriebene Änderung gemäß § 81 GewO 1973 unter Vorschreibung von Auflagen genehmigt. Mit Spruchteil II. wurde ausgesprochen, daß die in Abschnitt II. beschriebene Änderung betreffend Zulagerung und Abgabe von Dieseltreibstoff in gewerbepolizeilicher Hinsicht nicht zulässig sei; hiefür wurde gemäß § 81 GewO 1973 die Genehmigung versagt.

Mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 8. Juni 1990 wurde dieser erstbehördliche Bescheid auf Grund von dagegen erhobenen Berufungen gemäß § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 behoben; gleichzeitig wurde das Ansuchen der Beschwerdeführerin vom 28. Jänner 1986, geändert unterm 25. Juli 1986, abgewiesen (Spruchteil 1.; der mit der Beschwerde nicht angefochtene Spruchteil 2. ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens).

Zur Begründung wurde ausgeführt, die gegenständliche Tankstelle sei im "Wohngebiet" gemäß § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung gelegen. Aus dieser Bestimmung ergebe sich, daß die Errichtung einer Tankstelle in einem Wohngebiet im Bereich des Landes Wien unzulässig sei. Dies gelte auch für die Änderung einer bestehenden Tankstelle. Bei § 6 der Wiener Bauordnung handle es sich somit um eine Verbotsnorm im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973, welche auch im Verfahren gemäß § 81 leg. cit. anzuwenden sei. Das Wiener Garagengesetz sei auf das vorliegende Verfahren nicht anzuwenden, da sich dieses Gesetz nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf Neubauten, nicht jedoch auf Vergrößerungen oder sonstige Änderungen einer bestehenden Tankstelle, beziehe. § 6 der Wiener Bauordnung, insbesondere der dort verwendete Begriff der "Errichtung", beziehe sich jedoch auf Vergrößerungen einer Anlage (siehe Hauer, Raumordnungsgesetze der österreichischen Bundesländer, 1984, Anm. 59 auf S. 486). Da nach der seit dem 1. Jänner 1989 geltenden Rechtslage zuerst festzustellen sei, ob das Errichten und Betreiben der (geänderten) Betriebsanlage durch Rechtsvorschriften verboten sei, bevor die Auswirkungen einer (geänderten) Anlage zu untersuchen seien, sei der Berufung der Nachbarn Folge zu geben gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Sie und der Mitbeteiligte K erstatteten eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Ferner erstatteten achtzehn weitere Personen in ihrer Eigenschaft als Nachbarn einen Schriftsatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht auf gewerbebehördliche Genehmigung der den Gegenstand des Genehmigungsansuchens bildenden Änderung ihrer gewerblichen Betriebsanlage verletzt. Sie trägt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes vor, aus § 1 Abs. 1 und 2 und aus § 3 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes ergebe sich zwingend, daß dieses Gesetz gegenüber der Wiener Bauordnung grundsätzlich die speziellere Norm sei, weil die Wiener Bauordnung die Errichtung und Änderung baulicher Anlagen im allgemeinen, zu denen auch Tankstellen gehören könnten, das Wiener Garagengesetz jedoch nur einen Ausschnitt davon, nämlich - abgesehen von Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen - die Errichtung bzw. Vergrößerung von Tankstellen, regle. Die Wiener Bauordnung sei hinsichtlich der Errichtung und Vergrößerung von Tankstellen daher nur eine subsidiäre Rechtsquelle (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1980, Zl. 2767/79). Die Auffassung der belangten Behörde, daß sich das Wiener Garagengesetz zwar auf Neubauten, nicht jedoch auf Vergrößerungen oder sonstige Änderungen einer bestehenden Tankstelle beziehe, stehe in klarem Widerspruch zu § 3 Abs. 1 lit. a des Wiener Garagengesetzes. Richtig sei lediglich, daß jene Bestimmungen des Wiener Garagengesetzes, die ausdrücklich nur von der "Errichtung von Tankstellen" sprächen, den Fall der Vergrößerung bereits auf Grund eines Umkehrschlusses nicht umfaßten. Dies treffe insbesondere auf § 4 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes zu. Ein generelles Verbot der Errichtung von Tankstellen im Wohngebiet könne § 4 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes nicht entnommen werden. Die Errichtung von Tankstellen sei auch im Wohngebiet grundsätzlich möglich, allerdings nur unter bestimmten, durch die zum Wiener Garagengesetz ergangene Novelle von 1975 gegenüber der Stammfassung eingeschränkten Voraussetzungen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1966, Slg. N.F. Nr. 7008/A). Auf die Vergrößerung einer bereits errichteten Tankstelle sei § 4 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes dem klaren Wortlaut der Vorschrift zufolge nicht anwendbar. Dies sei vom Gesetzgeber auch durchaus beabsichtigt und logisch nachvollziehbar, weil andernfalls die Zulässigkeit bloß des Austausches einer Einfachzapfsäule durch eine Doppelzapfsäule

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wie im vorliegenden Fall - an einer vor Inkrafttreten der Novelle zum Wiener Garagengesetz im Wohngebiet zulässig errichteten Tankstelle davon abhängig wäre, daß gleichzeitig mit dem Austausch auf dem gleichen Bauplatz eine Garage mit mindestens 100 Stellplätzen geschaffen werde. Eine derart überschießende und unverhältnismäßige Regelung habe der Wiener Landesgesetzgeber ganz offenkundig vermeiden wollen. Aus der dargestellten Rechtslage dürfe - entgegen der belangten Behörde - aber nicht gefolgert werden, daß für die Vergrößerung von Tankstellen schlechthin die Wiener Bauordnung und insbesondere deren § 6 Abs. 6 anwendbar sei. Die Nichtanwendbarkeit vor allem des § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung folge vielmehr aus mehreren Erwägungen. Zunächst sei davon auszugehen, daß § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung bloß die "Errichtung" von Baulichkeiten in Wohngebieten näher regle, nicht jedoch die Vergrößerung bestehender und zulässig errichteter Baulichkeiten. Weiters könnten Tankstellen durchaus unter die im § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung genannten, auch in Wohngebieten zulässigen und nicht Wohnzwecken dienenden Baulichkeiten, wie insbesondere unter den Begriff der "Büro- und Geschäftshäuser" sowie der "Werkstätten", subsumiert werden. Selbst wenn man aber mit der wohl herrschenden Ansicht (vgl. Hauer, Raumordnungsgesetze der österreichischen Bundesländer, S. 486) davon ausgehe, daß der Begriff der "Errichtung" in § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung auch die

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bewilligungspflichtige - Vergrößerung der genannten Baulichkeiten umfasse, ändere sich an der Unanwendbarkeit des § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung auf den vorliegenden Fall nichts. Gewichtiger als das vorhin gebrachte Argument seien nämlich teleologische Erwägungen. Wenn man, wie die belangte Behörde, § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung auch auf die Vergrößerung von Tankstellen beziehe und der Vorschrift ein generelles Verbot der Vergrößerung von Tankstellen in Wohngebieten entnehme, dann ergebe sich die paradoxe Situation, daß zwar die Errichtung von Tankstellen in Wohngebieten grundsätzlich, d.h. unter bestimmten Voraussetzungen, zulässig, jede Vergrößerung einer im Wohngebiet zulässig errichteten Tankstelle jedoch baurechtlich unzulässig wäre. Nicht statthaft wäre danach auch der bloße Austausch älterer Zapfsäulen durch neuere und leistungsfähigere Zapfsäulen. Interpretiere man überdies § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 so wie die belangte Behörde, dann ergebe sich i.V.m. § 74 Abs. 2 und § 81 Abs. 1 GewO 1973, daß schon der bloße Austausch von Zapfsäulen durch leistungsfähigere Modelle auch gewerbebehördlich in ganz Wien generell unzulässig wäre, weil durch eine größere Zapfsäule

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lege man die Maßstäbe der Judikatur an - eine zumindest potentielle Erhöhung der Gefährdung der in § 74 Abs. 2 Z. 1 bis 5 GewO 1973 genannten Interessen gegeben erscheine. Die unausweichliche Konsequenz der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsmeinung sei daher, daß in ganz Wien in Wohngebieten an allen rechtmäßig errichteten Tankstellen keinerlei - mit einer auch nur geringfügigen Kapazitätsausweitung verbundene - Änderungen vorgenommen werden dürften. Dies bedeute aber auch, daß der technische Standard der in Wohngebieten errichteten Tankstellen praktisch nicht verbessert werden dürfe. Dies würde jedoch den durch die Bewilligungspflicht der Änderung von Baulichkeiten im allgemeinen und von Betriebsanlagen im besonderen zu schützenden Interessen, insbesondere der Anrainer in Wohngebieten, geradezu diametral zuwiderlaufen, weil neue Anlagen in aller Regel geräuschärmer und sauberer seien und damit deren Einbau grundsätzlich auch im Interesse der Wohnanrainer gelegen sei. Selbst wenn man daher der Ansicht sei, daß § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung generell nicht bloß die "Errichtung" der dort angeführten Baulichkeiten, sondern auch deren Vergrößerung regle und daß weiters Tankstellen nicht unter die auch in Wohngebieten zulässigen Baulichkeiten fielen, müsse eine Interpretation der Vorschriften des Wiener Garagengesetzes und der Wiener Bauordnung ergeben, daß § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung auf die Vergrößerung von Tankstellen nicht anzuwenden sei. Einschlägig seien vielmehr die zahlreichen, nicht bloß an die Errichtung anknüpfenden, sondern die Beschaffenheit von Tankstellenanlagen im allgemeinen regelnden Vorschriften des Wiener Garagengesetzes und - nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 des Wiener Garagengesetzes - der Wiener Bauordnung.

Jede andere Auslegung müßte, wie aufgezeigt, zu einer vom Wiener Landesgesetzgeber mit Sicherheit nicht gewollten Kollision der Bestimmungen des Wiener Garagengesetzes und der Wiener Bauordnung betreffend die Vergrößerung von Tankstellen in Wohngebieten führen. Schließlich ergebe sich die Unanwendbarkeit des § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung auf den vorliegenden Fall auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Verstehe man § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 - wie die belangte Behörde - so, daß die Gewerbebehörde nicht bloß bundes-, sondern vielmehr auch landesgesetzliche Vorschriften im Detail zu beachten und, wie dies im vorliegenden Fall ja erforderlich sei, auch die oft schwierige Frage der Auslegung (scheinbar) konkurrierender landesgesetzlicher Vorschriften (hier des Wiener Garagengesetzes und der Wiener Bauordnung) zu beantworten habe, dann sei § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 verfassungswidrig, weil eine Bundesbehörde durch einfaches Gesetz nicht dafür zuständig gemacht werden könne, landesgesetzliche Vorschriften zu vollziehen. Die neueste Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 14. November 1989, Zl. 89/04/0047, und Erkenntnis vom 24. April 1990, Zl. 89/04/0195) gehe offenbar in dieselbe Richtung, wenn gesagt werde, die in § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 genannten "Rechtsvorschriften" seien von der Verwaltungsbehörde (Gewerbebehörde) "nicht zu vollziehen, sondern von ihr im Sachverhaltsbereich zu berücksichtigen". Eine solche "Vollziehung" landesgesetzlicher Vorschriften durch die Gewerbebehörde läge jedoch vor, wenn sie diese Fragen der Abgrenzung des Geltungsbereiches des Wiener Garagengesetzes und der Wiener Bauordnung zu beurteilen hätte. Es könnte in diesem Fall ohne weiteres dazu kommen, daß die Gewerbebehörde, wie dies die belangte Behörde getan habe, die gewerbebehördliche Genehmigung deshalb versage, weil sie landesgesetzliche Vorschriften in einer bestimmten Weise auslege, die für die Vollziehung dieser Vorschriften zuständige Behörde (Baubehörde für Wien) die landesgesetzlichen Bestimmungen jedoch anders, d. h. in einer für den Genehmigungswerber günstigen Weise, interpretiere. Schon daraus ergebe sich, daß für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Vollziehung von landesgesetzlichen Vorschriften durch Bundesbehörden im Rahmen der Vollziehung von Bundesrecht nicht ins Treffen geführt werden könne, daß damit dem Ziel der Verfahrensökonomie und -konzentration gedient wäre. Durch die Schaffung der in den Art. 10 ff B-VG geregelten Kompetenzverteilung habe der Verfassungsgesetzgeber vielmehr ein gewisses Maß an "Verfahrensunökonomie" bewußt in Kauf genommen. Eine verfassungskonforme Interpretation des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 i.V.m. § 81 Abs. 1 GewO 1973 müsse daher ebenfalls zu dem Ergebnis führen, daß § 6 Abs. 6 der Wiener Bauordnung auf die (Errichtung und) Vergrößerung von Tankstellen nicht angewendet werden könne. Sollte der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung sein, daß eine derartige einschränkende Interpretation des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 - etwa im Hinblick auf entgegenstehende Ziele des Gesetzgebers der Gewerberechtsnovelle 1988 - nicht möglich erscheine, dann ergehe die Anregung, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG zu stellen und den Verfassungsgerichtshof zu einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 zu veranlassen.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften trägt die Beschwerdeführerin vor, die belangte Behörde stütze sich allein auf die durch die Gewerberechtsnovelle 1988 geänderte Fassung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973. Diese Änderung der Rechtslage sei während des laufenden Verfahrens eingetreten.

Ausgehend davon hätte die belangte Behörde - entweder durch Ermittlungen nach § 39 Abs. 2 AVG 1950 oder in Form der Gewährung des Parteiengehörs nach § 45 Abs. 3 AVG 1950 - Gelegenheit zur Stellungnahme zu den durch die Gewerberechtsnovelle 1988 veränderten Gegebenheiten einräumen müssen. Im Falle einer während des Verfahrens eingetretenen Änderung der Rechtslage könnten Sachverhaltselemente in den Vordergrund treten und rechtliche Bedeutung erlangen, von denen die Behörde, will sie nicht das Parteiengehör verletzen, nicht von vornherein annehmen dürfe, daß die Parteien des Verfahrens nicht zu ihrer Klärung beitragen könnten. Die belangte Behörde hätte demgemäß klären müssen, ob die geplante Änderung (Erweiterung) der Tankstelle überhaupt baurechtlich bewilligungspflichtig oder ob die Änderung bloß anzeigepflichtig sei. Bejahendenfalls wäre es die Pflicht der belangten Behörde gewesen, darauf aufmerksam zu machen, zunächst um die baurechtliche Bewilligung anzusuchen, bei deren Erteilung die Nichterteilung der gewerbebehördlichen Bewilligung jedenfalls nicht auf baurechtliche Erwägungen hätte gestützt werden können. Wäre die belangte Behörde den dargestellten, verfahrensrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen, hätte sie zu dem Ergebnis gelangen können, daß der gewerbebehördlichen Genehmigung der beantragten Änderung der gegenständlichen Tankstelle keine baurechtlichen Hindernisse entgegenstünden.

Die Beschwerde ist begründet:

Gemäß § 77 Abs. 1 erster Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71 a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Nach dem zweiten Satz darf die Betriebsanlage nicht für einen Standort genehmigt werden, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten ist.

Nach § 81 Abs. 1 GewO 1973, in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, bedarf, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen.

Aus der sich so darstellenden Gesetzeslage folgt aber, daß auch im Falle einer einem Genehmigungsverfahren im Sinne des § 81 Abs. 1 GewO 1973 zu unterziehenden Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage seitens der erkennenden Behörde auf die Bestimmung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 Bedacht zu nehmen ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 14. November 1989, Zl. 89/04/0047, zur Anordnung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 dargetan hat, hat die Gewerbebehörde in Ansehung der konkreten vom Antrag erfaßten Betriebsanlage, und zwar bezogen auf den in Betracht kommenden Standort, zu prüfen, ob sich aus einer Rechtsvorschrift ein Verbot des Errichtens oder Betreibens dieser Anlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag ergibt. Derartige "Rechtsvorschriften", die genereller oder individueller Art (Bescheide) sein können, sind von der Verwaltungsbehörde nicht zu vollziehen, sondern von ihr im Sachverhaltsbereich zu berücksichtigen.

Nach § 1 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes, LGBl. Nr. 22/1957, fallen Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen und Tankanlagen unter die Bestimmungen dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält, gelten gemäß § 1 Abs. 2 leg. cit. für die in Abs. 1 bezeichneten Anlagen die Bestimmungen der Bauordnung für Wien.

Gemäß § 3 Abs. 1 des Wiener Garagengesetzes bedürfen einer behördlichen Bewilligung im Sinne der §§ 60 und 70 oder 71 der Bauordnung für Wien u.a. (lit. a) jegliche Bauführung zur Errichtung oder Vergrößerung von Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen oder von Tankanlagen und (lit. c) bauliche Abänderungen von Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen oder von Tankanlagen, wenn sie von Einfluß auf die Festigkeit, die Feuersicherheit, die Verkehrsverhältnisse oder die Rechte der Nachbarn sind sowie ebensolche Abänderungen bewilligter Bauvorhaben (Planwechsel).

Im Grunde des Abs. 1 des - mit der Überschrift "Städtebauliche Vorschriften" versehenen - § 4 des Wiener Garagengesetzes, in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 7/1975, sind Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen im Bauland grundsätzlich zulässig. Die Errichtung von Tankstellen ist nur im Betriebsbaugebiet sowie im Industriegebiet zulässig; im übrigen Bauland ist die Errichtung von Tankstellen nur dann zulässig, wenn gleichzeitig auf dem gleichen Bauplatz eine Garage zur Errichtung gelangt, in welcher mindestens 300 Stellplätze geschaffen werden.

Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, daß das Wiener Garagengesetz einen sachlichen Anwendungsbereich hat, in den nicht nur die Errichtung von Tankanlagen, sondern auch deren Vergrößerung und bauliche Änderung fallen, wie sich aus § 3 Abs. 1 lit. a und lit. c leg. cit. ergibt. Im Zusammenhang damit ergibt sich unter den städtebaulichen Gesichtspunkten die Abgrenzung von einerseits verbotenen und andererseits zulässigen Maßnahmen aus § 4 des Wiener Garagengesetzes, in der Fassung LGBl. Nr. 7/1975. Indem die belangte Behörde die Anwendbarkeit des Wiener Garagengesetzes - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ohne daß eine solche jedoch in Ansehung der Abgrenzung zwischen dem sachlichen Anwendungsbereich des Wiener Garagengesetzes einerseits und dem nach § 1 Abs. 2 leg. cit. verbleibenden Anwendungsbereich der Wiener Bauordnung zitiert worden wäre - in Ansehung von Vergrößerungen oder sonstigen Änderungen einer bestehenden Tankstelle verneinte, verkannte sie die Rechtslage.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang seines in Beschwerde gezogenen Spruchpunktes 1. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Höhe des für Schriftsatzaufwand vorgesehenen Pauschalbetrages und nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990040267.X00

Im RIS seit

11.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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