TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/23 90/11/0209

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.1991
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §1;
B-VG Art131a;
KFG 1967 §123 Abs1;
KFG 1967 §76 Abs1;
StVO 1960 §94a Abs2;
StVO 1960 §97 Abs1;
StVONov 03te Art3 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des A gegen die Bezirkshauptmannschaft Hartberg wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch vorläufige Abnahme des Führerscheines, zu Recht erkannt:

Spruch

Die am 6. Oktober 1990 um 4.15 Uhr von einem Beamten des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark, Verkehrsabteilung-Außenstelle Hartberg, in St. Johann in der Haide vorgenommene vorläufige Abnahme des Führerscheines des Beschwerdeführers wird für rechtswidrig erklärt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verursachte am Samstag, dem 6. Oktober 1990, um 2.30 Uhr als Lenker eines Pkws auf der Südautobahn (A 2) in Fahrtrichtung Wien bei Straßenkilometer 147,700 im Bezirk Weiz einen Verkehrsunfall. Den einschreitenden Gendarmeriebeamten gegenüber gab er an, er sei während der Fahrt eingeschlafen. Da bei ihm starker Alkoholgeruch und eine leichte Rötung der Bindehäute wahrgenommen wurden, wurde eine Untersuchung des Atemalkohols durchgeführt, die um 4.03 Uhr und 4.04 Uhr Werte von 0,44 und 0,43 mg/l ergab. Die Untersuchung fand in der Außenstelle Hartberg (in St. Johann in der Haide) der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark statt. Ein Beamter dieser Dienststelle erklärte hierauf dem Beschwerdeführer, daß ihm der Führerschein vorläufig abgenommen werde, und stellte eine Bestätigung darüber aus.

In der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer, die vorläufige Führerscheinabnahme kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Zurückweisung, hilfsweise deren Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1 Die belangte Behörde steht auf dem Standpunkt, daß die vorläufige Abnahme des Führerscheines nicht ihr, sondern der Bezirkshauptmannschaft Weiz zuzurechnen sei. Die Bestätigung über die Führerscheinabnahme sei zwar im Dienstgebäude der Außenstelle im Bezirk Hartberg ausgestellt und dem Beschwerdeführer ausgehändigt worden, doch sei dies in Fortsetzung der bereits unmittelbar nach dem Unfall an Ort und Stelle auf der Südautobahn im Bezirk Weiz begonnenen und lediglich zum Zwecke der Durchführung des Alkomattests im Dienstgebäude der Außenstelle unterbrochenen Amtshandlung geschehen. Die Amtshandlung sei auf der Autobahn im Bezirk Weiz eingeleitet worden. Für die örtliche Zuständigkeit sei allein der Anlaß des Einschreitens entscheidend.

1.2 Gemäß § 94 a Abs. 1 StVO 1960 ist Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes, sofern sich nicht eine andere Zuständigkeit ergibt, die Landesregierung. Diese ist jedenfalls für die Handhabung der Verkehrspolizei auf Autobahnen zuständig. Gemäß § 94 a Abs. 2 leg. cit. kann die Landesregierung Organe, die dem Landesgendarmeriekommando oder dem Bezirksgendarmeriekommando angehören oder diesem zugeteilt sind und in Angelegenheiten des Straßenverkehrs besonders geschult sind, zur Handhabung der Verkehrspolizei u.a. auf der Autobahn einsetzen.

Gemäß § 97 Abs. 1 StVO 1960 haben die Organe der Straßenaufsicht, insbesondere der Bundesgendarmerie, der Bundessicherheitswache und im Falle des § 94 c Abs. 1 der Gemeindewachkörper, die Verkehrspolizei (§ 94 b lit a) zu handhaben und bei der Vollziehung dieses Bundesgesetzes durch

a)

Vorbeugungsmaßen gegen drohende Verwaltungsübertretungen,

b)

Maßnahmen, die für die Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren erforderlich sind,

c)

Anwendung körperlichen Zwanges, soweit er gesetzlich vorgesehen ist,

mitzuwirken.

Falls die Landesregierung gemäß § 94 a Abs. 1 und 2 den Einsatz von Organen des Landesgendarmeriekommandos verfügt, haben diese Organe gemäß Art. II der 3. StVO-Nov, BGBl. Nr. 209/1969, neben den im § 97 Abs. 1 angeführten Obliegenheiten auch an der Vollziehung aller

a)

das öffentliche Sicherheitswesen sowie

b)

das Kraftfahrwesen

betreffenden Gesetze und Verordnungen im Umfange des § 97 Abs. 1 mitzuwirken.

Gemäß Art. III Abs. 3 der 3. StVO-Nov sind für die Fälle der Mitwirkung nach Art. II die Organe des Landesgendarmeriekommandos in dieser Hinsicht Organe der jeweils zuständigen Behörde.

Gemäß § 123 Abs. 1 KFG 1967 ist für die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Amtshandlungen, sofern darin nichts anderes bestimmt ist, in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, zuständig.

Gemäß § 123 Abs. 2 KFG 1967 hat an der Vollziehung dieses Bundesgesetzes durch die Bezirksverwaltungsbehörden und den Landeshauptmann die Bundesgendarmerie mitzuwirken. Die Bundesgendarmerie hat

a)

die Einhaltung der kraftfahrrechtlichen Vorschriften auf den Straßen mit öffentlichem Verkehr zu überwachen,

b)

Maßnahmen, die für die Einleitung oder Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren erforderlich sind, zu treffen und

c)

in den in diesem Bundesgesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen einzuschreiten.

1.3 Auf Grund der dargestellten Rechtslage, insbesondere des Art. III Abs. 3 der 3. StVO-Novelle, ist die von Organen des Landesgendarmeriekommandos ausgesprochene vorläufige Abnahme des Führerscheines, bei der es sich um eine zur Hintanhaltung der von einem nicht fahrtüchtigen Kfz-Lenker ausgehenden Unfallgefahr dienende Maßnahme handelt, der jeweils zuständigen Behörde zuzurechnen, gemäß § 123 Abs. 1 KFG 1967 somit der Bezirksverwaltungsbehörde, und zwar jener Bezirksverwaltungsbehörde, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich der Führerschein vorläufig abgenommen wurde. Die vorläufige Abnahme des Führerscheines erfolgt in jenen Fällen, in denen sich der Führerschein bereits aus anderen Gründen in Händen des Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes befindet, mit dem Ausspruch der Abnahme (siehe das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1984, Zl. 83/11/0107). Im Beschwerdefall geschah dies unbestrittenermaßen im Sprengel der belangten Behörde, sodaß ihr diese Maßnahme zuzurechnen ist. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde kommt es nicht darauf an, wann, wo und aus welchen Gründen die Amtshandlung, die schließlich zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines geführt hat, begonnen hat, ebenso auch nicht darauf, welche subjektive Auffassung das betreffende Organ des Landesgendarmeriekommandos diesbezüglich hatte.

Aus den dargelegten Gründen ist der Antrag der belangten Behörde auf Zurückweisung der Beschwerde nicht berechtigt.

2.1 Gemäß § 76 Abs. 1 KFG 1967 haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er insbesondere infolge eines übermäßigen Alkoholgenusses oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen.

2.2 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die vorläufige Abnahme des Führerscheines eine Sicherungsmaßnahme, die im Interesse der Verkehrssicherheit gesetzt wird. Sie soll verhindern, daß eine Person ein Kraftfahrzeug lenkend am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl sie sich in einem Zustand befindet, in dem sie das Kraftfahrzeug nicht zu beherrschen imstande ist. Es muß daher für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Annahme berechtigt sein, die betreffende Person werde in ihrem die Fähigkeit hiezu ausschließenden Zustand ein Kraftfahrzeug lenken. Diese Annahme wird u.a. dann nicht gerechtfertigt sein, wenn die gegebenen Umstände darauf schließen lassen, die betreffende Person habe eine allfällige vorangegangene Lenktätigkeit beendet, und nichts dafür spricht, sie werde ungeachtet ihres Zustandes ein Kraftfahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder versuchen, es in Betrieb zu nehmen (siehe das hg. Erkenntnis vom 6. März 1990, Zl. 89/11/0257, mit weiteren Judikaturhinweisen).

2.3 Der Beschwerdeführer hält die vorläufige Abnahme seines Führerscheines deshalb für rechtswidrig, weil sein Pkw bei dem Verkehrsunfall beschädigt worden und "fahruntüchtig etliche Kilometer vom Abnahmeort entfernt" gestanden sei. Der Beschwerdeführer habe somit zum Abnahmezeitpunkt kein Fahrzeug zur Verfügung gehabt. Dazu komme, daß der Meßwert der Atemluftüberprüfung mit dem nicht geeichten Alkomaten "keinerlei alkoholisierte Fahrzeuglenkung (mehr) in Zukunft befürchten ließ".

2.4 Die belangte Behörde bringt dazu in der Gegenschrift vor, der einschreitende Gendarmeriebeamte habe einem mit dem Beschwerdeführer geführten Gespräch entnehmen können, "daß er allenfalls die Absicht hat, sich anschließend neuerlich zum Unfallsort zurückzubegeben und den dort beschädigt in einer Wiese abgestellten verunfallten Pkw unter Zuhilfenahme des Pkws seines Vaters abzuschleppen. Dies entweder als Lenker des abschleppenden oder der verunfallten Pkws".

2.5 Die belangte Behörde stützt ihre diesbezüglichen Ausführungen auf die Angaben jenes Gendarmeriebeamten, der die vorläufige Abnahme des Führerscheines vorgenommen hat. Aus der mit ihm am 14. Jänner 1991 aufgenommenen Niederschrift geht hervor, daß er mit dem Beschwerdeführer über den Abtransport des neben der Autobahn auf einer Wiese zum Stillstand gekommenen Pkws des Beschwerdeführers gesprochen habe. Dabei habe der Beschwerdeführer erklärt, er werde gemeinsam mit seinem Vater den Pkw dort abschleppen. Aus den Angaben des Gendarmeriebeamten ergibt sich keinerlei Hinweis darauf, daß der Beschwerdeführer die Absicht erkärt hätte, unmittelbar oder kurz nach Beendigung der Amtshandlung mit dem Abschleppen zu beginnen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Abnahme des Führerscheines weder am Unfallsort noch am Wohnort des Beschwerdeführers ausgesprochen wurde, sondern in der Außenstelle Hartberg der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark. Berücksichtigt man zudem die Uhrzeit, zu der die vorläufige Abnahme des Führerscheines ausgesprochen wurde, und die damals herrschende Dunkelheit sowie die Tatsache, daß es nach der Aktenlage keinen Anlaß für besondere Eile in bezug auf das Abschleppen gegeben hat, bestand für den Gendarmeriebeamten kein ausreichender Grund für die Befürchtung, daß der Beschwerdeführer noch während der Dauer seiner Alkoholisierung und seines außergewöhnlichen Ermüdungszustandes ein Kraftfahrzeug lenken werde.

Die Voraussetzung für die vorläufige Abnahme des Führerscheines im oben unter Punkt 2.2 beschriebenen Sinne lagen somit nicht vor, weshalb die angefochtene Maßnahme gemäß § 42 Abs. 4 VwGG für rechtswidrig zu erklären war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Zurechnung von Organhandlungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110209.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten