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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des K gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Oktober 1989, Zl. MA 70-8/575/88, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 27. Jänner 1987 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B vorübergehend für die Zeit von acht Monaten ab Zustellung des Bescheides entzogen. Der dagegen erhobenen Vorstellung wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. Juli 1988 (zugestellt am 15. Juli 1988) keine Folge gegeben und ausgesprochen, daß die Entziehungszeit am 6. Februar 1987 beginnt und am 6. Oktober 1987 endet.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Oktober 1989 wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der Vorstellungsbescheid dahin geändert, daß die Entziehungszeit auf vier Wochen herabgesetzt werde (beginnend mit 9. Jänner 1987, dem Tag der vorläufigen Abnahme des Führerscheines, und endend mit 6. Februar 1987).
Mit Beschluß vom 12. Juni 1990, B 567/90, gab der Verfassungsgerichtshof dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist statt. Mit Beschluß vom 25. September 1990, selbe Zahl, trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Entziehungsmaßnahme liegt zugrunde, daß der Beschwerdeführer am 9. Jänner 1987 eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat und deshalb rechtskräftig bestraft worden ist. Anders als die Erstbehörde ging die belangte Behörde aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Einstellung des diesbezüglichen gerichtlichen Strafverfahrens nicht mehr davon aus, daß der Beschwerdeführer hiebei auch einen Verkehrsunfall verschuldet habe. Nach der durch die 12. Kraftfahrgesetz-Novelle geänderten Rechtslage liege aber dennoch eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vor. Dementsprechend sei die Entziehungszeit auf vier Wochen herabzusetzen und ihr Beginn mit dem Tag der Abnahme des Führerscheins des Beschwerdeführers (am 9. Jänner 1987) festzusetzen gewesen.
Der Beschwerdeführer hält die Anwendung der durch die 12. Kraftfahrgesetz-Novelle geschaffenen Rechtslage auf den vorliegenden Fall für verfehlt. Diese Novelle habe mangels einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung keine rückwirkende Kraft, daher hätte die strafbare Handlung vom 9. Jänner 1987 nicht nach der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage als bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 gewertet werden dürfen.
Bei der Beurteilung dieses Vorbringens ist von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A) auszugehen, wonach (sofern nicht in einer Übergangsbestimmung etwas anderes angeordnet ist) die Kraftfahrbehörden in Verfahren betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung die Rechtslage bei Erlassung ihres Bescheides anzuwenden haben, und daß dies auch für die Berufungsbehörde in Ausübung ihrer reformatorischen Funktion gilt. Hingegen ist für sie bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des unterinstanzlichen Bescheides (Kontrollfunktion) die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung maßgebend.
Art. I Z. 51 der 12. Kraftfahrgesetz-Novelle (BGBl. Nr. 375/1988), mit dem § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 geändert wurde, trat gemäß Art. V Abs. 1 mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung (15. Juli 1988) in Kraft. Daher hatte die belangte Behörde mangels einer gegenteiligen Übergangsbestimmung bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides den § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 bereits in der geänderten Fassung anzuwenden, mithin davon auszugehen, daß als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten hat, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach Art. IX Abs. 1 Z. 3 EGVG 1950 zu beurteilen ist. Die belangte Behörde hat in Ausübung ihrer reformatorischen Funktion die strafbare Handlung vom 9. Jänner 1987 zu Recht als bestimmte Tatsache nach der genannten Gesetzesstelle gewertet. Eine Entziehungsmaßnahme mit Wirkung über die Erlassung des angefochtenen Bescheides hinaus hat die belangte Behörde nicht ausgesprochen, und zwar im Hinblick auf § 73 Abs. 3 KFG 1967 gleichfalls zu Recht, weil es sich um das erste Alkoholdelikt des Beschwerdeführers handelte und hiebei kein Verkehrsunfall verschuldet wurde.
In Ausübung der Kontrollfunktion hatte die belangte Behörde den § 66 Abs. 2 lit. e noch in der Fassung vor der 12. Kraftfahrgesetz-Novelle anzuwenden, da diese Novelle erst am Tag nach der Erlassung des Vorstellungsbescheides (dieser wurde am 15. Juli 1988 zugestellt) in Kraft getreten ist. Nach der damals geltenden Rechtslage bildete die Tat vom 9. Jänner 1987, da es sich um das erste Alkoholdelikt des Beschwerdeführers handelte und er hiebei keinen Verkehrsunfall verschuldete, keine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967, und zwar weder nach der sublit. aa noch nach der sublit. bb. Die gegenteilige Annahme der Erstbehörde war daher verfehlt, ihr Ausspruch über die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers war aus dem genannten Grund rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit hätte die belangte Behörde in Ausübung ihrer Kontrollfunktion zur ersatzlosen Behebung des unterinstanzlichen Bescheides veranlassen müssen. Zu der von ihr statt dessen getroffenen Entscheidung war die belangte Behörde (auch) im Rahmen ihrer Kontrollfunktion nicht berechtigt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten (eingeschränkten) Kostenbegehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Als Ersatz für Stempelgebühren waren dem Beschwerdeführer nur insgesamt S 420,-- zuzusprechen (S 360,-- für die drei Ausfertigungen der Beschwerde, S 60,-- für ein Exemplar des angefochtenen Bescheides).
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990110189.X00Im RIS seit
12.06.2001