Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Ernst N gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 20. November 1990, Zl. Ib-182-74/90, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 20. November 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 21. Oktober 1988 um 10.40 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws bei der Fahrt auf der Arlberg-Bundesstraße B 316 in Innerbraz, auf der Höhe des Gasthauses Engel, in Fahrtrichtung Bludenz, obwohl es die Verkehrssicherheit nicht erfordert habe, jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend abgebremst. Er habe hiedurch eine Übertretung nach § 21 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 begangen; es wurde eine Geldstrafe von S 1.500,-- (Ersatzarreststrafe 72 Stunden) verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde wie folgt erwogen hat:
Gemäß § 21 Abs. 1 StVO darf der Lenker das Fahrzeug nicht jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend abbremsen, wenn andere Straßenbenützer dadurch gefährdet oder behindert werden, es sei denn, daß es die Verkehrssicherheit erfordert.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 23. März 1984, Zl. 83/02/0156) sind die wesentlichen Sachverhaltselemente bei der Übertretung des § 21 Abs. 1 StVO 1) das jähe und für den nachfolgenden Lenker überraschende Abbremsen, 2) die Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer durch dieses Manöver, 3) daß dieses Manöver aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht erforderlich gewesen sei. Diese drei wesentlichen Sachverhaltselemente müßten, so das zitierte Erkenntnis, vorhanden sein, um in Form einer Verfolgungshandlung die Verjährung zu unterbrechen.
Daraus ergibt sich, daß diese drei Sachverhaltselemente auch in den Spruch im Sinne des § 44a lit. a VStG aufzunehmen sind. Dagegen hat die belangte Behörde verstoßen, da im erstinstanzlichen, von ihr schlechthin bestätigten Straferkenntnis der Umstand der Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer durch das Manöver des Beschwerdeführers nicht spruchmäßig festgestellt worden war.
In dieser Unterlassung liegt eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides.
Eine weitere Rechtswidrigkeit in dieser Richtung liegt darin, daß es die belangte Behörde bei der Strafbemessung dem Beschwerdeführer als erschwerend zur Last legte, daß es durch sein Fahrmanöver zu einer Behinderung und Gefährdung des Nachfolgeverkehrs gekommen sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 17. Mai 1955, Slg. N.F. Nr. 3743/A) darf ein Tatbestandsmerkmal bei der Strafbemessung weder als erschwerender noch als mildernder Umstand gewertet werden. Daß es sich bei dem Tatbestand der Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer aber um ein solches Tatbestandsmerkmal handelt, wurde oben ausgeführt. Somit erweist sich auch die Strafbemessung als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie bemerkt der Verwaltungsgerichtshof zunächst, daß das oben erwähnte, in den Bescheidsprüchen fehlende Sachverhaltselement in der Gendarmerieanzeige durch die Worte "daß der Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges beinahe aufgefahren wäre" enthalten war und daß die Anzeige dem Beschwerdeführer am 1. Februar 1989, somit noch innerhalb der Verjährungsfrist, mit der Aufforderung zur Rechtfertigung vorgehalten wurde.
Die belangte Behörde hat zu Recht die in der Berufung des Beschwerdeführers beantragten Beweise nicht durchgeführt. In Anbetracht der von der belangten Behörde in Ausübung ihrer freien Beweiswürdigung (siehe dazu Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) festgestellten Tatsache des jähen und für den nachfolgenden Lenker überraschenden Abbremsens des Fahrzeuges des Beschwerdeführers ist es unentscheidend, von welchem Fahrzeug die Bremsspuren stammten. Es ist ebenfalls unerfindlich, was die neuerliche Vernehmung der Zeugen A und B zur Sachverhaltsklärung hätte bringen sollen; hat doch der Beschwerdeführer (siehe seinen Schriftsatz vom 10. Februar 1989) die Tatsache des Abbremsens seines Fahrzeuges nicht bestritten, sondern nur ein jähes Abbremsen verneint. Gerade darüber hat die belangte Behörde aber ausreichende Feststellungen getroffen. Ob aber durch das jähe Abbremsen eine Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer erfolgte, wird bei der allfälligen Aufnahme der oben erwähnten Sachverhaltselemente in einen Bescheidspruch festzustellen sein, wobei nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auch der ungefähre Abstand des nachfolgenden Fahrzeuges vor dem Abbremsen des Beschwerdeführers und die ungefähre Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeuges festzustellen sein wird, damit beurteilt werden kann, ob das Verhalten des Beschwerdeführers zu einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer führen MUSZTE. Der Umstand, daß sich das nachfolgende Fahrzeug infolge seines Bremsmanövers auf der Straße quergestellt hat, bedeutet an sich noch nicht zwingend, daß die Gefährdung oder Behinderung des nachfolgenden Fahrzeuges durch den Beschwerdeführer herbeigeführt wurde - besteht doch die Möglichkeit, daß trotz genügenden Abstandes zwischen beiden Fahrzeugen der nachfolgende Fahrzeuglenker unaufmerksam war.
Die belangte Behörde konnte ferner in Ausübung ihrer freien Beweiswürdigung feststellen, daß nicht ein Defekt am Fahrzeug des Beschwerdeführers, sondern die von letzterem erkannte Geschwindigkeitskontrolle durch die Gendarmeriebeamten Grund für sein plötzliches Abbremsen war. Fuhr der Beschwerdeführer aber vor diesem Kontrollpunkt mit unzulässig hoher Geschwindigkeit, so konnte er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sein Bremsmanöver aus Gründen der Verkehrssicherheit erforderlich gewesen sei - die Gründe der Verkehrssicherheit lägen nämlich z.B. in unvorhergesehenem Auftauchen von Hindernissen oder solchem Auftreten von technischen Gebrechen. Beides ist aber bei dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt auszuschließen.
In Anbetracht der Vorschrift des § 11 Abs. 1 und 2 StVO und im Hinblick auf den im § 3 StVO ausgesprochenen Vertrauensgrundsatz ist der Verwaltungsgerichtshof nicht der Ansicht, daß die bloße Tatsache, daß ein Gasthaus neben der Straße liegt, die Straßenbenützer schon allein deshalb zu besonders vorsichtigem oder besonders langsamem Fahren verhalten würde.
Der angefochtene Bescheid war aus den weiter oben aufgezeigten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere ihren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Feststellen der GeschwindigkeitErschwerende und mildernde Umstände AllgemeinSituation erhöhter GefahrVorschriftswidriges Verhalten eines anderenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991180008.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
08.02.2010