TE Vfgh Beschluss 1988/9/27 B1221/87

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Veröffentlicht am 27.09.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb

Leitsatz

Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG; das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit erfaßt alle unmittelbaren Freiheitsbeschränkungen, auch wenn diese nicht formell als Verhaftung verfügt worden sind; Mitkommen des Bf. mit den Kriminalbeamten keine Verhaftung; auf seine Initiative zustandegekommenes Geschehen kein tauglicher Beschwerdegegenstand

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Bf. ist schuldig, dem Bund, zu Handen der Finanzprokuratur, die mit 40.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die vorliegende, auf Art144 Abs1 (zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich dagegen, daß der Bf. am 12. Oktober 1987 in Salzburg durch Organe der Bundespolizeidirektion (BPD) Salzburg festgenommen und einige Stunden in Polizeihaft gehalten worden sei. Der Bf. behauptet, durch diese - in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangenen - Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein. Er beantragt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

2. Die BPD Salzburg als bel. Beh. - vertreten durch die Finanzprokuratur - legte den bezughabenden Akt vor und erstattete eine Gegenschrift. Sie begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Der Bf. sei nicht festgenommen worden; er sei den Beamten freiwillig zum Amt gefolgt.

II. 1. Der VfGH hat Beweis erhoben durch die im Rechtshilfeweg erfolgten Einvernahmen der damals einschreitenden Kriminalbeamten (H P, K H P, A A und W S) sowie der Gattin und des Sohnes des Bf. (E A und C A jun.) als Zeugen und des Bf. als Partei, sowie schließlich durch Einsichtnahme in die bezughabenden Akte der BPD Salzburg, Zl. Abt.II-Ref 1 B/1-6949/87 und des Landesgerichtes Salzburg, AZ 27 Vr 2800/87.

2. Aufgrund dieser Beweise stellt der VfGH folgenden hier maßgebenden - Sachverhalt fest:

Kriminalbeamte der BPD Salzburg fahndeten am 12. Oktober 1987 abends nach M A, der des Verbrechens nach §12 Abs1 Suchtgiftgesetz verdächtigt wurde. Die Kriminalbeamten forschten nach ihm auch bei seinem Wohnhaus in Salzburg, Sch... Hauptstraße. Auf der Straße vor diesem Haus sprachen die Kriminalbeamten S und P einen Mann (den Bf.) an, der sich als Vater des M A zu erkennen gab. Nach dessen Verbleib befragt, gab der Bf. an, sein Sohn befinde sich in stationärer Behandlung des Unfallkrankenhauses Salzburg. Eine über Funk veranlaßte Nachfrage ergab, daß diese Auskunft nicht zutreffe. Der Bf. meinte, daß "es das nicht gäbe" und forderte die Beamten eindringlich auf, seine Auskunft nochmals zu überprüfen. Die Beamten luden ihn daraufhin ein, mit ihnen mit einem PKW zum Krankenhaus zu fahren. Dieser - ohne Anwendung oder Androhung von Zwang oder sonstigen Nachteilen vorgebrachten - Einladung kam der Bf. ohne Widerrede nach. Der Kriminalbeamte S erhielt vom Portier des Krankenhauses neuerlich die Auskunft, daß sich M A nicht im Spital aufhalte. Währenddessen warteten der Bf. und der Kriminalbeamte P im PKW. Der Beamte erklärte dem Bf. nun, weshalb nach seinem Sohn gefahndet werde. Der Bf. verlor daraufhin die Fassung, schlug sich die Hände vor das Gesicht, verlangte eine Pistole, um sich zu erschießen und sprach von der Schande, die über die Familie, deren Oberhaupt er sei, komme; er wolle die Sache unbedingt klären und deshalb mit ins Gebäude der BPD Salzburg fahren. Diesem Anliegen kamen die Beamten nach. Im Amtsgebäude wurde er als "Auskunftsperson" vernommen. Kurze Zeit später wurde er von den Kriminalbeamten A und P mit einem PKW in seine Wohnung zurückgebracht.

3. Der VfGH folgt den Aussagen der Kriminalbeamten, die mit ihrem am Tag des Einschreitens verfaßten, im Verwaltungsakt erliegenden Bericht übereinstimmen. Es besteht kein Anlaß, an der Richtigkeit dieser Aussagen zu zweifeln, zumal für die Beamten kein Motiv bestand, den Bf. (zwangsweise) zu verhalten, ihnen ins Amt zu folgen. Im übrigen gab der Bf. bei seiner Einvernahme als Partei an, er hätte ursprünglich nicht die Absicht gehabt "Anzeige" (gemeint wohl: Verfassungsgerichtshofbeschwerde) zu erstatten; diese sei dann über Vorschlag des Rechtsanwaltes eingebracht worden.

III. Der VfGH würdigt diesen Sachverhalt rechtlich wie folgt:

1. Der Bf. behauptet, am 12. Oktober 1987 von Kriminalbeamten der BPD Salzburg festgenommen und dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein.

Der Begriff der Verhaftung iS des - auf Verfassungsstufe stehenden (Art149 Abs1 B-VG) - Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, erfaßt wohl alle unmittelbaren Freiheitsbeschränkungen, auch wenn diese nicht formell als Verhaftung verfügt worden sind (vgl. zB VfSlg. 9494/1982, 10526/1985).

Das in Beschwerde gezogene Verhalten der Kriminalbeamten ist nicht als Verhaftung iS des zitierten Gesetzes zu werten. Der Bf. wurde weder formell festgenommen noch war der Wille der einschreitenden Beamten - objektiv - darauf gerichtet, seine Freiheit zu beschränken. Die Beamten äußerten ihm gegenüber nicht einmal den Wunsch, daß er ihnen folgen möge; vielmehr war er es, von dem die Initiative zum Mitkommen ausging.

Das damit in Beschwerde gezogene Geschehen bildet auch sonst keinen tauglichen Gegenstand für eine Anfechtung iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG. Die Beschwerde war demnach gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen (vgl. zB VfSlg. 8879/1980, 9494/1982, 10526/1985).

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1221.1987

Dokumentnummer

JFT_10119073_87B01221_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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