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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Peter N gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 21. November 1990, Zl. I/7-St-S-89.199, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 21. November 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 21. August 1988 um 2.30 Uhr im Ortsgebiet von Wittau auf der Bundesstraße 3 nächst dem Straßenkilometer 24,9 einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurde eine Geld- und eine Ersatzarreststrafe verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:
Die Verwaltungsbehörden haben frei und unabhängig von den Entscheidungen der Gerichte zu beurteilen, ob eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO vorliegt (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, zitiert im Erkenntnis vom 20. November 1990, Zl. 90/18/0135). Diese Rechtsansicht hat auch in der Literatur Zustimmung erfahren (Gaisbauer, Unterbrechung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 bis zum Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens, ZVR 1989, 304). Dies bedeutet, daß der Freispruch des Beschwerdeführers von der Qualifikation nach § 81 Z. 2 StGB durch das Gericht RECHTLICH kein Hindernis für die Verwaltungsbehörde darstellt, das Vorliegen einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO anzunehmen.
Eine andere, auf der Tatsachenebene liegende Frage ist es, ob ein im gerichtlichen Strafverfahren erstattetes Sachverständigengutachten geeignet ist, das Gutachten eines Amtssachverständigen im Verwaltungsstrafverfahren zu erschüttern. Diese Möglichkeit ist grundsätzlich gegeben, so zum Beispiel, wenn einem Befund und/oder einem Gutachten eines Sachverständigen innere Widersprüche vorgeworfen werden können oder wenn aufgezeigt werden kann, daß die Schlußfolgerungen des Sachverständigen mit jenen der allgemein anerkannten Literatur seines Fachgebietes in Widerspruch stehen. Der bloße Umstand, daß Sachverständige zu verschiedenen Ergebnissen kommen, macht an sich weder das eine noch das andere Sachverständigengutachten unglaubwürdig.
Es liegt allerdings in der Mitwirkungspflicht der Partei im Verwaltungsstrafverfahren (zu dieser siehe die Erkenntnisse vom 26. Juni 1959, Slg. N.F. Nr. 5007/A und vom 17. September 1968, Slg. N.F. Nr. 7400/A; ferner die Ausführungen von Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S. 708/09), vor der Verwaltungsbehörde in bestimmter Weise aufzuzeigen, welche Befundaussagen und welche gutachtlichen Schlußfolgerungen des Sachverständigen aus welchen Gründen unrichtig sein sollen, wobei sich die Partei auch auf ein in einem anderen Verfahren erstattetes Sachverständigengutachten berufen kann. Sofern dem nicht unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, wird es aber Sache der Partei sein, dieses andere Sachverständigengutachten der Verwaltungsbehörde in Urschrift, Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß die Berufung auf einen "Akt, Strafakt" schlechthin - außer wenn es um die Existenz dieses Aktes an sich geht - kein geeignetes Beweismittel darstellt, und zwar wegen der Unbestimmtheit der durch den Akt zu beweisenden Themen.
Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt das Verhalten des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren, so kommt man zu dem Schluß, daß er seiner diesbezüglichen Mitwirkungspflicht nicht in einer Weise nachgekommen ist, die die Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet hätte, auf den Inhalt des - ihr nie vorgelegten - Gutachtens des vom Gericht vernommenen Sachverständigen einzugehen. So sprach der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 10. März 1989 nur von der Tatsache des Freispruchs von der Alkoholqualifikation
"auf Grund des ... gerichtsärztlichen
Sachverständigengutachtens"; ein ähnliches Vorbringen findet sich in der Berufung und in der Stellungnahme vom 5. November 1990.
Der belangten Behörde kann daher kein Verfahrensmangel dahin vorgeworfen werden, wenn sie sich mit nie erhobenen und nie durch Vorlage eines anderen Sachverständigengutachtens unterstützten bestimmten Einwendungen gegen die Schlüssigkeit der Gutachten der Amtssachverständigen im Verwaltungsstrafverfahren nicht auseinandersetzte.
In der Frage des Einflusses eines sogenannten Sturztrunkes auf die Fahrtüchtigkeit eines Lenkers und in der Frage der Bedeutung der sogenannten Anflutungsphase kann auf die ständige Rechtsprechung dieses Gerichtshofes verwiesen werden (vgl. die Erkenntnisse vom 10. März 1987, Zl. 86/18/0206 und vom 20. November 1986, Zl. 86/02/0125, jeweils einschließlich der in diesen Erkenntnissen zitierten Vorjudikatur).
Lag aber, wie der Beschwerdeführer erstmals in der Beschwerde behauptet, gar kein sogenannter Schluß-Sturztrunk vor, so ist sein zeitlich letzter Alkoholkonsum vor Abnahme der Blutprobe dem üblichen Vorgang des Aufbaues und des Abbaues des Blutalkoholgehaltes zuzurechnen.
Nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers wurde seinen Vertreterinnen das Gutachten des Amtssachverständigen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 17. Oktober 1990 am 29. Oktober 1990 zugestellt, er erstattete hiezu "innerhalb offener Frist" eine Stellungnahme, ohne in dieser die Gewährung einer weiteren oder längeren Frist zur Stellungnahme zu begehren. Es ist daher unzulässig, erstmals in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die angeblich zu kurze Frist zur Stellungnahme zu rügen; ferner fehlt in der Beschwerde jedes Vorbringen, was für eine andere Stellungnahme erstattet worden wäre, wäre eine längere Frist von Amts wegen gewährt worden.
Die in der Stellungnahme vom 5. November 1990 aufgestellte Behauptung, die Person des Amtssachverständigen Dr. A sei nicht "vor jedem Zweifel erhaben", läßt jede nähere Begründung, z.B. durch den Hinweis auf eine strafgerichtliche Verurteilung des Amtssachverständigen, vermissen. Nach der Aktenlage war jedenfalls der Genannte zur Zeit der Abgabe seines Gutachtens Amtssachverständiger im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG. Welch anderes Gutachten in dieser Sache von dem Sachverständigen zu erwarten gewesen wäre, wäre er nicht, um mit den Worten des Beschwerdeführers zu sprechen "in eine Affäre um Suchtgiftmißbrauch und illegale Suchtgiftbeschaffung verwickelt" gewesen, vermochte die Beschwerde nicht darzutun.
Es ist demnach auch diese Mängelrüge nicht gerechtfertigt.
Gerechtfertigt erweist sich die andere Mängelrüge, die in der Berufung beantragte Vernehmung der vier Beifahrer des Beschwerdeführers zur Zeit der Tat sei ohne zureichende Gründe abgelehnt worden. Diese vier Personen wurden als Zeugen darüber geführt, daß der Beschwerdeführer zur Tatzeit keine den Vorwurf des § 5 Abs. 1 StVO rechtfertigende Alkoholisierung aufgewiesen habe. Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid auf diesen Beweisantrag überhaupt nicht ein, was bereits einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Der Versuch, in der Gegenschrift eine diesbezügliche Begründung der Übergehung des Beweisantrages zu geben, ist in Anbetracht der diesbezüglichen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 607/3/4 zitierten Entscheidungen) verspätet. Trotzdem sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zur Vermeidung von Mißverständnissen über seine Judikatur zu folgenden Ausführungen veranlaßt:
Wenn in der Rechtsprechung (z.B. Erkenntnis vom 25. Juni 1953, Slg. N.F. Nr. 3046/A, Erkenntnis vom 21. Oktober 1968, Zl. 1285/67) davon die Rede ist, die Behörde sei berechtigt, Beweisanträge abzulehnen, wenn sie sich auf Grund der schon vorliegenden Beweise ein klares Bild über den maßgebenden Sachverhalt machen konnte, so ist darunter nicht zu verstehen, daß im Verwaltungsstrafverfahren nur Belastungsbeweise so lange aufzunehmen seien, bis sich "ein klares Bild" ergibt, während Entlastungsbeweise überhaupt nicht aufzunehmen seien. So eine Vorgangsweise widerspräche kraß der Bestimmung des § 25 Abs. 2 VStG. Die Übergehung von Entlastungsbeweisen wäre nur dann zulässig, wenn sie entweder für rechtlich unentscheidende Umstände geführt wurden oder wenn sie schon nach ihrer Eigenart, ABSTRAKT GENOMMEN, ungeeignet wären, zur Wahrheitsfindung beizutragen.
Ob aber Entlastungsbeweise, KONKRET VERSTANDEN, geeignet sind, zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen, kann grundsätzlich nur nach ihrer Aufnahme beurteilt werden (so die ständige Rechtsprechung dieses Gerichtshofes, z.B. Erkenntnis vom 20. November 1948, Slg. N.F. Nr. 587/A, Erkenntnis vom 23. Mai 1984, Zl. 84/03/0005 und die darin zitierte weitere Judikatur).
Da es einen Rechts- oder Erfahrungssatz dahin, die Ergebnisse einer Blutabnahme und einer darauf folgenden Blutalkoholbestimmung könnten in keinem Fall durch andere Beweismittel widerlegt werden, nicht gibt, hat die belangte Behörde den Beweisantrag auf Vernehmung der Beifahrer des Beschwerdeführers zu Unrecht abgewiesen.
Nur wegen dieses Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das Mehrbegehren nach Zuspruch des Aufwandes an Stempelmarken war abzuweisen, weil die Beschwerde gemäß § 24 Abs. 1 VwGG nur in zweifacher Ausfertigung vorzulegen war.
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ECLI:AT:VWGH:1991:1991180004.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
21.04.2010