TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/30 90/11/0153

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Veröffentlicht am 30.04.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §52;
AVG §59 Abs1;
KDV 1967 §30 Abs1 idF 1988/455;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §31a Abs2 idF 1988/455;
KDV 1967 §31a Abs2;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des R gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 15. Juni 1990, Zl. VerkR-17.141/6-1990-I/Si, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 15. Juni 1990 wurde (in Bestätigung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 22. August 1989) dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer "bis zur Wiedererlangung der geistigen und körperlichen Eignung" keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides besitzt der Beschwerdeführer nicht die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung im Sinne des § 30 Abs. 1 letzter Satz KDV 1967. Diese Annahme stützte die belangte Behörde auf die Gutachten zweier medizinischer Amtssachverständiger (vom 12. Dezember 1989 und vom 8. März 1990), wonach der Beschwerdeführer aus dem angeführten Grund als zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht geeignet anzusehen sei.

Die belangte Behörde hat nicht angenommen, beim Beschwerdeführer sei überdies "Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus" (§ 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967) festgestellt worden. Daher gehen jene Ausführungen in der Beschwerde, in denen der Beschwerdeführer unter diesem Gesichtspunkt Mängel in (von der Erstbehörde eingeholten) Gutachten rügt, von vornherein ins Leere.

Nicht berechtigt ist weiters der Vorwurf, die belangte Behörde habe § 67 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967, wonach das ärztliche Gutachten im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein darf, nicht beachtet. Sowohl die beiden von der belangten Behörde herangezogenen Gutachten medizinischer Amtssachverständiger vom 12. Dezember 1989 bzw. vom 8. März 1990 als auch der ihnen zugrundeliegende Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 12. Dezember 1989 waren bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides (durch Zustellung am 28. Juni 1990) nicht älter als ein Jahr.

Festzuhalten ist weiters, daß die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nicht auch die Verkehrszuverlässigkeit, das ist die charakterliche Eignung einer Person zum Lenken von Kfz, umfaßt; die Feststellung der Verkehrsunzuverlässigkeit bedarf nicht eines verkehrspsychologischen Befundes und eines ärztlichen Gutachtens, sondern hat ausschließlich auf einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 und ihrer Wertung zu beruhen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143, mit weiteren Judikaturhinweisen). In Übereinstimmung damit hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zu Recht betont, es gehe im vorliegenden Fall nicht um die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers, sondern um seine (geistige und körperliche) Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen; dabei handle es sich um eine medizinische Fragestellung.

Im ersten von der belangten Behörde herangezogenen amtsärztlichen Gutachten (vom 12. Dezember 1989) heißt es zur Frage der Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung, diese sei "zur Zeit mit Sicherheit nicht gegeben". Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die Anamnese (wiederholte Entziehung der Lenkerberechtigung aufgrund von Alkoholdelikten; Lenken eines Pkws durch den Beschwerdeführer im September 1988 ohne Lenkerberechtigung) und die vorliegenden "Persönlichkeitsbefunde", und zwar des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. B vom 30. Jänner 1989 und der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 12. Dezember 1989. Auf diese Grundlagen stützt sich auch das weitere amtsärztliche Gutachten (vom 8. März 1990), wobei es in der "Begründung" heißt: "Aus der Vorgeschichte ist ersichtlich, daß es zu mehrmaligen Alkoholdelikten im Straßenverkehr gekommen ist. Es zeigen sich im Persönlichkeitsbefund in der verkehrspsychologischen Untersuchung und im Facharztgutachten von Dr. B Mängel, die sich mit dem hs. Untersuchungsergebnis decken, die nicht auf die notwendige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung schließen lassen". Dr. B führte in seinem Gutachten vom 30. Jänner 1989 unter Hinweis auf die Vielzahl der bisherigen behördlichen Entziehungsmaßnahmen (nach diesem Gutachten wurde dem Beschwerdeführer aus Anlaß von Alkoholdelikten die Lenkerberechtigung "wenigstens siebenmal", nach den amtsärztlichen Gutachten sechsmal, entzogen) aus, es könne deshalb angenommen werden, daß der Beschwerdeführer "zu jenen Persönlichkeiten neigt, die zwar guten Willens sind, diesen guten Willen aber in entsprechend animierenden Situationen vergessen und sich diesbezüglich als eher willensschwach erweisen".

Im Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 12. Dezember 1989 heißt es in der Rubrik "Fahrverhaltensrelevante Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale":

"Verfahren und Befunde: Vorgeschichte, Exploration, Verhaltensbeobachtung, 8-PF-Test, FRR, VIP, ATV;

Der Untersuchte wirkt stark nervös gespannt und motorisch unruhig. Im Persönlichkeitsbefund ist im Vergleich zur Erstuntersuchung keinerlei Besserung feststellbar. Er blieb auch im letzten Jahr nicht unauffällig. Es ist bezeichnend für seine Haltung, daß er knapp vor den Untersuchungen, welche aufgrund des Verfahrens zur eventuellen Wiedererteilung der Lenkerberechtigung notwendig waren, ohne Führerschein einen Pkw lenkte. Selbst wenn man der Meinung sein sollte, daß dies kein sehr schwerwiegendes Delikt ist, so erschreckt doch seine völlig unreflektierte Haltung dazu und die Zufälligkeit, mit der er auch in der Vergangenheit immer wieder in Fehlleistungen geschlittert ist. Zum Fahren ohne Führerschein fällt ihm nur ein, daß man zunächst eben nicht denke und dann sei es zu spät. Überhaupt ist mit ihm auch nicht ansatzweise ein problemorientiertes Gespräch möglich. Die Zufälligkeit und Beliebigkeit seiner Aussagen kommen nicht nur bei der Exploration der Alkoholkonsumgewohnheiten zum Ausdruck. Zuerst gab er an, seit eineinhalb Jahren völlig abstinent zu sein. Erst nach längerer Diskussion gibt er zu, anläßlich des letzten Geburtstages 2 Gläser Bier und 3 Gespritzte getrunken zu haben. Bei der amtsärztlichen Untersuchung hingegen gab er an, zu Weihnachten ein Glas Sekt und beim letzten Geburtstag 2 Gläser Bier und ein Glas Wein konsumiert zu haben.

Im Persönlichkeitsbefund finden sich diesmal Hinweise auf einen sehr stark erhöhten nervösen Spannungszustand. Diesbezüglich kam es zu einer Verschlechterung des Befundes. Die Kontroll- und Steuerungsfaktoren sind eindeutig gemindert. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß seine Aussagen durchwegs recht zufällig und somit wenig glaubhaft wirken. Er gibt immer wieder einander widersprechende Sachverhalte von sich.

Alkoholabstinenz ist offensichtlich nicht gegeben. Aufgrund seiner allgemeinen Labilität und wegen der geringen Einsicht ist er nach wie vor erheblich gefährdet. Der Untersuchte läßt sich eher treiben; die Willenskontrolle ist gemindert."

Die "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten" lautet:

"Im Bereich der funktionalen Leistungsfähigkeit ist gegenüber der Erstuntersuchung wohl eine leichte Leistungssteigerung festzustellen, diese Verbesserung resultiert aber vorwiegend aus Übungseffekten durch die Testwiederholung.

Im intellektuellen Bereich erzielte der Proband diesmal deutlich schlechtere Ergebnisse. Gewisse Abbauerscheinungen sind nicht auszuschließen.

Im Persönlichkeitsbefund ist eher eine Tendenz zur Verschlechterung (stark erhöhter nervöser Spannungszustand) gegeben, jedenfalls aber nicht die geringste Verbesserung. In der Zwischenzeit kam es abermals zu einer Verkehrsauffälligkeit. Alkoholabstinenz liegt nicht vor. Es muß daher nach wie vor ein bedenklicher Mangel an Bereitschaft zur Verkehrsanpassung angenommen werden.

Vom Standpunkt verkehrspsychologischer Begutachtung aus

erscheint Herr R zum Lenken von Kfz der Gruppe B

'nicht geeignet'.

Die Prognose ist ziemlich unsicher. Eine Kontrolluntersuchung könnte grundsätzlich aber nach Ablauf eines Jahres erfolgen."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143, näher dargetan hat, liegt bei der Beurteilung der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung das Hauptgewicht beim (vom Amtssachverständigen seinem Gutachten zugrundezulegenden) verkehrspsychologischen Befund, wobei dieser festzuhalten hat, welche Untersuchungsverfahren tatsächlich angewendet wurden, welche Ergebnisse sie erbracht haben und welche Schlußfolgerungen daraus im einzelnen gezogen wurden. Diesen Anforderungen wird der verkehrspsychologische Befund vom 12. Dezember 1989 nicht gerecht. Es läßt sich ihm nicht entnehmen, welche Ergebnisse die einzelnen Untersuchungsverfahren erbracht haben und welchen Untersuchungsmethoden in Verbindung mit den jeweils ermittelten Ergebnissen welche Aussagekraft zukommt, sodaß nicht nachvollziehbar ist, wie die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle zu dem von ihr angenommenen Ergebnis gelangt ist. Aus diesem Grund mangelt es im vorliegenden Fall an einer entsprechenden Entscheidungsgrundlage für die Annahme, es fehle dem Beschwerdeführer die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung.

Daran vermag der Umstand der häufigen Begehung von Alkoholdelikten durch den Beschwerdeführer - darauf wie auch auf mangelnde Alkoholabstinenz wird insbesondere auch in den Gutachten der ärztlichen Amtssachverständigen hingewiesen - nichts zu ändern. Wie bereits ausgeführt wurde, geht es nämlich im vorliegenden Fall nicht um die Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit aufgrund dieser Straftaten und ihrer Wertung im Sinne des § 66 Abs. 3 KFG 1967, sondern um seine durch die spezifischen Methoden der Verkehrspsychologie zu ermittelnde "Bereitschaft zur Verkehrsanpassung". Den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten kommt dabei lediglich Indizfunktion zu. In Anbetracht der vorrangigen Bedeutung des verkehrspsychologischen Befundes bei der Beurteilung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung und weil es hier nicht um die Verkehrszuverlässigkeit des Betreffenden geht, können Mängel des Befundes, wie sie hier vorliegen, nicht dadurch saniert werden, daß aus den festgestellten Straftaten auf den Mangel der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung geschlossen wird. Würde man dies bejahen, so erübrigte sich in Fällen wie dem vorliegenden von vornherein die Einholung eines verkehrspsychologischen Befundes.

Von dem vorhin aufgezeigten Verfahrensmangel abgesehen ist der angefochtene Bescheid auch noch aus einem weiteren Grund mit Rechtswidrigkeit behaftet. Die belangte Behörde hat gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer bis zur Wiedererlangung der "geistigen und körperlichen Eignung" keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Eignungsvoraussetzungen (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 1985, Zl. 84/11/0269, und vom 22. Oktober 1986, Zl. 86/11/0047). Die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, auf deren Fehlen beim Beschwerdeführer der angefochtene Bescheid beruht, betrifft aber nur die geistige Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143). Dadurch, daß die belangte Behörde dessen ungeachtet ausgesprochen hat, dem Beschwerdeführer dürfe (auch) bis zur Wiedererlangung seiner "körperlichen Eignung" keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden, hat sie in Anbetracht der Bindungswirkung dieses Spruchelementes Rechte des Beschwerdeführers verletzt (vgl. auch dazu das soeben erwähnte Erkenntnis vom 22. Jänner 1991). Die darin gelegene inhaltliche Rechtswidrigkeit betrifft zwar nur den Ausspruch über die Bemessung der Zeit gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967, sie hat aber wegen der Untrennbarkeit dieses Spruchteiles von jenem über die Entziehungsmaßnahme selbst (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. 11237/A) zur Folge, daß der angefochtene Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben ist.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil für den angefochtenen Bescheid Stempelmarken nur im Betrage von S 120,-- zu entrichten waren.

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter AbspruchGutachten Auswertung fremder BefundeAnforderung an ein GutachtenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110153.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

17.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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