TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/14 91/08/0037

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Veröffentlicht am 14.05.1991
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Index

L92609 Blindenbeihilfe Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
BlindenbeihilfenG Wr 1969 §4 Abs4 lita;
BlindenbeihilfenG Wr 1969 §7 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde der Angela A gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 29. Oktober 1990, Zl. MDR - F 19/90, betreffend Einstellung einer Blindenbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der (damals 78jährigen) Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien (Magistratsabteilung 12) vom 9. Juli 1982 ab 1. April 1982 eine Blindenbeihilfe gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 lit. b sowie 4 Abs. 1 des Wiener Blindenbeihilfegesetzes 1969, LGBl. Nr. 14, zuerkannt. Diesem Bescheid lag nach Ausweis der Verwaltungsakten ein augenärztliches Sachverständigengutachten vom 12. Juni 1982 zugrunde, welches einen Befund und die aus diesem Befund gezogenen Schlußfolgerungen enthält, daß die Beschwerdeführerin auf beiden Augen Gesichtsfeldausfälle und ein Sehvermögen von nur 1/20 und darunter aufweise.

Am 2. Februar 1990 stellte die nunmehr (86jährige) Beschwerdeführerin einen "Verschlimmerungsantrag" mit der - im Formular über die darüber aufgenommene Niederschrift schon vorgedruckt enthaltenen - Behauptung, über kein brauchbares Sehvermögen mehr zu verfügen. Das von der belangten Behörde dazu eingeholte augenfachärztliche Sachverständigengutachten vom 9. März 1990 kam zu dem Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin (ergänze: weiterhin) auf beiden Augen Gesichtsfeldausfälle aufweise, verneinte jedoch die Frage, ob die Beschwerdeführerin auf dem den höheren Sehwert aufweisenden Auge ein Sehvermögen von höchstens 1/20 besitze. Nach Vorhalt dieses Ergebnisses der Begutachtung verfügte der Magistrat mit Bescheid vom 12. April 1990 die Einstellung der Blindenbeihilfe mit 31. März 1990.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Daraufhin wurde von der Behörde neuerlich eine Begutachtung der Beschwerdeführerin angeordnet, als deren Ergebnis nunmehr das Vorliegen von Gesichtsfeldausfällen bei der Beschwerdeführerin ebenso verneint wird, wie die Frage, ob die Beschwerdeführerin auf dem den höheren Sehwert aufweisenden Auge ein Sehvermögen von höchstens 1/60 besitze. Nach Vorhalt des Ergebnisses dieser neuerlichen augenärztlichen Begutachtungvom 25. Juni 1990 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme, worin sie (u.a.) unter Hinweis auf die im Jahre 1982 erfolgte Zuerkennung die "Beschaffung der damaligen Begutachtungsergebnisse" beantragte, weil davon auszugehen sei, daß sich das Sehvermögen der Beschwerdeführerin eher verschlechtert, keinesfalls aber verbessert habe. Es sei nicht berücksichtigt worden, daß die Beschwerdeführerin auf einem Auge blind sei und daß auf diesem Auge keine Sehfähigkeit sowie ein vollständiger Gesichtsfeldausfall vorliege. Aufgrund dieser Stellungnahme forderte die Behörde erster Instanz (im Auftrag der belangten Behörde) beim augenfachärztlichen Sachverständigen eine Gutachtensergänzung zu der Frage an, worauf - zusammengefaßt - die Unterschiede in den Begutachtungen zwischen dem 9. März und 25. Juni 1990 zurückzuführen seien. Nach der dazu erstatteten Stellungnahme des Gutachters sei die von ihm festgestellte Verschlechterung des Sehvermögens rechts mit 3/36 (0,1) auf eine Zunahme eines Cataractes zurückzuführen, während für periphere Gesichtsfeldausfälle an diesem Auge keine augenfachärztliche Ursache bestehe.

Bei dieser Sachlage erließ die belangte Behörde - ohne neuerliche Gewährung von Parteiengehör - den angefochtenen Bescheid, worin die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt wurde. Nach Zitierung der von der belangten Behörde angewendeten Rechtsvorschriften wird in diesem Bescheid ausgeführt, daß am linken Auge der Beschwerdeführerin keine Lichtempfindung bestehe, während das Sehvermögen am rechten Auge 3/36 betrage. Die Beschwerdeführerin besitze somit nicht auf beiden Augen ein Sehvermögen von 1/20 und darunter. Dieses Gutachten sei schlüssig und nicht widerlegt worden, weshalb es der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen gewesen sei. Da sohin davon auszugehen sei, daß die Beschwerdeführerin nach diesem Gutachten weder blind noch schwerst sehbehindert im Sinne des § 2 des Wiener Blindenbeihilfegesetzes sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die §§ 1 Abs. 1 und 2 des Wiener

Blindenbeihilfegesetzes 1969, LGBl. Nr. 14, lauten:

"§ 1

(1) Blinden und schwerst Sehbehinderten wird auf Antrag nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes eine Blindenbeihilfe gewährt.

...

§ 2

Im Sinne dieses Gesetzes gelten

a) Personen, die nichts sehen oder die Fähigkeit des Formensehens verloren haben, als Blinde;

b) Personen mit hochgradiger Beeinträchtigung des Sehvermögens, die nur ein Sehvermögen von 1/60 und darunter bei annähernd normalen Gesichtsfeldaußengrenzen oder nur ein Sehvermögen von 1/20 und darunter bei Gesichtsfeldausfällen besitzen, als schwerst Sehbehinderte."

Gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. ist die Blindenbeihilfe auf Antrag oder von Amts wegen neu festzustellen, wenn die maßgebenden Umstände sich so geändert haben, daß die Blindenbehilfe wegfällt oder ihre Höhe sich ändern würde.

Die vorliegende Beschwerde ist schon insoweit berechtigt, als sie geltend macht, daß die belangte Behörde (entgegen dem ausdrücklichen Antrag der - im Verfahren nicht rechtskundig vertretenen - Beschwerdeführerin) die Untersuchungsergebnisse des zur Zuerkennung führenden Gutachtens vom 12. Juni 1982 nicht beachtet hat. Unabhängig von der Frage, ob die Beschwerdeführerin anspruchsberechtigt im Sinne der zitierten Rechtsvorschriften ist, hätte die belangte Behörde nämlich zuvor die Frage klären müssen, ob (im Sinne des § 7 Abs. 2 leg. cit.) bei der Beschwerdeführerin eine ÄNDERUNG der MASSGEBENDEN UMSTÄNDE eingetreten ist, da nur in einem solchen Fall eine neuerliche Feststellung ohne Bindung an den früheren, in Rechtskraft erwachsenen Bescheid zulässig ist. Eine solche Änderung läge nur dann vor, wenn sich die Sehkraft der Beschwerdeführerin gegenüber dem Gewährungsgutachten vom 12. Juni 1982 tatsächlich gebessert hätte. Dies erfordert eine von der belangten Behörde mit Hilfe eines augenärztlichen Sachverständigen anzustellende und im Bescheid nachvollziehbar darzulegende Gegenüberstellung des zur Gewährung führenden Befundes mit dem nunmehr erhobenen Befund und die Erörterung der sich aus diesem Vergleich der Befunde ergebenden Änderungen hinsichtlich der Sehkraft und/oder der Gesichtsfeldausfälle der Beschwerdeführerin. Sollte die von der belangten Behörde angenommene Änderung (im Sinne einer Besserung) im Vergleich der Befunde keinen Niederschlag finden, sondern - allenfalls - nur auf eine unterschiedliche Bewertung dieser Befunde durch den damaligen und den nunmehrigen Sachverständigen zurückzuführen sein, so läge eine Änderung im Sinne des § 7 Abs. 2 leg. cit., welche die Behörde zur Einstellung der Blindenbeihilfe berechtigen würde, nicht vor. Sollte sich aus der Gegenüberstellung der Befunde tatsächlich eine Besserung der Sehkraft der Beschwerdeführerin ableiten lassen, so wäre (insbesondere in Anbetracht des hohen Alters der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zuerkennung) darzulegen, ob ein medizinischer Grund für diese (auf den ersten Blick ungewöhnliche) Bemessung angegeben werden kann (nach der ergänzenden Stellungnahme des augenärztlichen Sachverständigen vom 8. Oktober 1990 scheint zumindest für die Zeit nach Juni 1990 nur eine Verschlechterung der Sehkraft der Beschwerdeführerin feststellbar zu sein). Sollte sich dabei herausstellen, daß für die divergenten Befundergebnisse in Anbetracht der Art der Krankheit der Beschwerdeführerin eine medizinische Erklärung nicht gegeben werden kann, so läge ebenfalls eine Änderung der maßgebenden Umstände nicht vor: In diesem Fall müßte nämlich davon ausgegangen werden, daß nach den Gesetzen der Logik entweder die frühere oder die nunmehrige Befundung (aus welchen Gründen immer) einen Irrtum enthält. Eine nur unter Korrektur der dem letzten rechtskräftigen Zuerkennungsbescheid zugrundegelegten Sachverhaltsirrtümer geänderte Einschätzung ist aber kein für die Gewährung der Blindenbeihilfe maßgebender Umstand im Sinne des § 7 Abs. 2 des Wiener Blindenbeihilfegesetzes (vgl. in diesem Sinne auch die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 1962, Slg. Nr. 5730/A, und vom 26. Februar 1971, Zl. 1532/70, welche zwar zu § 52 KOVG ergangen, jedoch inhaltlich dem hier gegebenen Sachproblem vergleichbar sind).

Da somit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Aus verfahrensökonomischen Gründen weist der Verwaltungsgerichtshof noch auf folgendes hin: Durch den - mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten - erstinstanzlichen Bescheid vom 12. April 1990 wurde die Blindenbeihilfe der Beschwerdeführerin bereits mit 31. März 1990 (also rückwirkend) eingestellt.

Gemäß dem in diesem Zusammenhang maßgebenden § 4 Abs. 4 lit. a des Wiener Blindenbeihilfengesetzes erlischt der Anspruch auf Blindenbeihilfe mit Ablauf des Monats, in dem die Voraussetzungen hiefür weggefallen sind. Da § 7 Abs. 2 leg. cit. im Fall der Änderung der maßgebenden Umstände (im Gegensatz zum Wegfall der österreichischen Staatsbürgerschaft oder der Aufgabe des Wiener Wohnsitzes) eine ausdrückliche Neufeststellung der Blindenbeihilfe anordnet, und davon auszugehen ist, daß bis zu einer solchen Neufeststellung die Blindenbeihilfe aufgrund des rechtskräftigen Zuerkennungsbescheides jedenfalls zu Recht gebührt, kann - bezogen auf den Fall der Änderung der maßgebenden Umstände - unter dem Begriff des Wegfalles der Voraussetzungen im Sinne des § 4 Abs. 4 lit. a des Blindenbeihilfengesetzes nur die Erlassung des Neufeststellungsbescheides im Sinne des § 7 Abs. 2 leg. cit. verstanden werden. Aus dem Sinnzusammenhang dieser Regelungen ergibt sich daher, daß die Blindenbeihilfe frühestens mit Ablauf des Monats eingestellt werden kann, in welchem der Neufeststellungsbescheid über den Wegfall der Blindenbeihilfe im Sinne des § 7 Abs. 2 leg. cit. erlassen wurde. Für eine rückwirkende Einstellung der Blindenbeihilfe aus dem Grund der Änderung der maßgebenden Umstände fehlt im Gesetz hingegen die Rechtsgrundlage (vgl. dazu das

hg. Erkenntnis vom 26. April 1991, 90/19/0286, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991080037.X00

Im RIS seit

14.05.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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