TE Vwgh Beschluss 1991/5/15 91/10/0029

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Veröffentlicht am 15.05.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr.Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Anträge auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Beschwerden des E.U. in Mödling gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 4. Juni 1990, Zl. St-134/89 betreffend Übertretungen nach Art IX Abs 1 EGVG 1950 und gegen die Bescheide der NÖ Landesregierung betreffend Übertretungen nach dem NÖ Polizeistrafgesetz vom 18. Juni 1990, Zl. I/2-St-89102 ff, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

I.

Mit Schriftsätzen vom 12. Februar 1991 beantragte der Beschwerdeführer durch den beigegebenen Verfahrenshelfer in den oben bezeichneten Fällen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist und erhob gleichzeitig Beschwerde gegen die angeführten Bescheide. Zur Begründung seiner Anträge brachte der Beschwerdeführer jeweils vor, er befinde sich seit Kriegsende in einem Zustand geistiger Verwirrung, der nur ab und zu durch lichte Momente unterbrochen werde. Im Sommer 1990 sei er "völlig durcheinander" gewesen und zwischen der Wohnung seiner Tante in Wien und der Wohnung seiner Schwester in Wiener Neudorf umhergeirrt. Er könne sich an die Zustellung der Strafbescheide nicht mehr erinnern. Erst anläßlich der Aufforderung zum Strafantritt sei ihm bewußt geworden, daß ihm ein Nachteil drohe, und erst damit habe das Hindernis geendet. Sein geistiger Zustand sei ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG, an dem ihn keinerlei Verschulden treffe.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat seit dem Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A, in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß als Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen ist. Gehindert wird eine Person durch eine alltägliche Erkrankung ebenso wie durch eine Naturkatastrophe, durch eine eigene menschliche Unzulänglichkeit ebenso wie durch Gewaltanwendung von außen. Wird eine Erkrankung als hinderndes Ereignis geltend gemacht, so kann sie nach ständiger Rechtsprechung nur dann als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden, wenn durch sie die Dispositionsfähigkeit der Partei ausgeschlossen war (vgl. u.a. die Beschlüsse vom 9. Mai 1949, Slg. Nr. 811/A, und vom 27. Juni 1984, Zl. 84/11/0107). Schließlich ist nach gleichfalls ständiger Rechtsprechung das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gesteckt ist (vgl. etwa die Beschlüsse vom 29. Jänner 1987, Zlen. 86/08/0240, 0241, und vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/12/0238 ). Den Antragsteller trifft somit die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat.

Auf dem Boden dieser Rechtslage sind die gegenständlichen, im wesentlichen gleichlautenden Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht geeignet, das Vorliegen eines tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes darzutun. Soweit der Beschwerdeführer darin der Sache nach das Fehlen seiner Handlungsfähigkeit schlechthin geltend zu machen versucht, ist vorweg festzuhalten, daß für den Beschwerdeführer damit schon deshalb nichts zu gewinnen wäre, weil diesfalls seinen Wiedereinsetzungsanträgen mangels Fristversäumung nicht stattgegeben werden könnte. Bei mangelnder Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers wären nämlich die angefochtenen Bescheide durch die Zustellung an ihn nicht rechtswirksam erlassen worden und es hätte jeweils die Beschwerdefrist gar nicht zu laufen begonnen und daher auch nicht versäumt werden können. Davon abgesehen findet aber das in Rede stehende Vorbringen des Beschwerdeführers, hinsichtlich dessen er sich ausdrücklich auf die ihn betreffenden Sachwalterschaftsakten beim Bezirksgericht Mödling und den hg. Verfahrenshilfeakt beruft, darin keine Deckung. Aus den beigeschafften Sachwalterschaftsakten ergibt sich, daß das Bezirksgericht Mödling bereits mit Beschluß vom 3. März 1986, Zl. 1 SW 63/84, von der Bestellung eines Sachwalters für den Beschwerdeführer abgesehen hat. Das Gericht traf damals auf Grund des eingeholten Gutachtens eines Sachverständigen für Psychiatrie die Feststellungen, der Beschwerdeführer sei weder psychisch krank noch geistig behindet, sondern im Gegenteil überdurchschnittlich intelligent und begabt. Er sei Maturant und weise keinerlei Denkstörungen auf. Lediglich seine Kontakte zu anderen Menschen seien beeinträchtigt, ebenso die soziale Eingliederung. Der Beschwerdeführer sei ein schwerer Neurotiker, der an einer Entwicklungsstörung seiner Persönlichkeit, wie sie in bescheideneren Ausmaßen ungemein weit verbreitet sei, leide. In dem anläßlich der gegenständlichen Beschwerdeführung auf Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Sachwalterschaftsverfahren lehnte das Bezirksgericht Mödling mit rechtskräftigem Beschluß vom 31. Jänner 1991, Zl. 1 SW 21/90, die Bestellung eines Sachwalters neuerlich ab. Der Begründung läßt sich kein Hinweis auf eine allfällige Verschlechterung des Geisteszustandes des Beschwerdeführers entnehmen. Auch der Inhalt des hg. Verfahrenshilfeaktes Zlen. VH 90/10/0008 bis 0022 bietet keinen Anlaß für Zweifel an der vollen Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers. Aus dem Gesagten folgt, daß der Beschwerdeführer nicht etwa infolge mangelnder Handlungsfähigkeit an der rechtzeitigen Bekämpfung der angefochtenen Bescheide gehindert war.

Das Vorbringen in den Wiedereinsetzungsanträgen über seinen Zustand im Sommer 1990 enthält keine konkreten Behauptungen, auf Grund welchen Ereignisses bzw. Geschehens der Beschwerdeführer an der fristgerechten Einbringung der Beschwerde oder eines Verfahrenshilfeantrages gehindert gewesen sein soll. Mangels eines konkreten Vorbringens darüber fehlt es an einem Sachverhaltssubstrat, das vom Verwaltungsgerichtshof - allenfalls nach Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Gebiete der Psychiatrie - auf seine Eignung als Wiedereinsetzungsgrund geprüft werden könnte. Im Hinblick darauf erübrigt sich die Einholung eines derartigen Gutachtens. Weiters hat die vom Beschwerdeführer gleichfalls beantragte Vernehmung seiner Person zu unterbleiben. Falls der Beschwerdeführer mit diesem Antrag bezweckt haben sollte, bei der Vernehmung ein erweitertes Sachverhaltsvorbringen zu erstatten, ist er auf die oben angeführte Rechtsprechung hinzuweisen, wonach das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen ist, der durch das Vorbringen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gesteckt ist. Ein allfälliges neues Vorbringen bei seiner Vernehmung wäre, weil erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist erstattet, schon deshalb unbeachtlich.

Aus den dargelegten Gründen kann den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden.

II.

Es steht unbestritten fest, daß in den vorliegenden Fällen die Beschwerdefrist versäumt worden ist. Da die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht bewilligt wurde, sind die Beschwerden gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991100029.X00

Im RIS seit

15.05.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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