TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/15 90/10/0152

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Veröffentlicht am 15.05.1991
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Index

L40016 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung
Polizeistrafen Steiermark;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

PolStG Stmk 1975 §2 Abs1;
PolStG Stmk 1975 §2;
StGB §111 Abs1;
StGB §5 Abs1;
StGB §5;
VStG §5 Abs1;
VStG §7;
VStG §8 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 28. Juni 1990, Zl. 2-387/II H 149-89, betreffend Bestrafung wegen Ehrenkränkung (mitbeteiligte Partei: X), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, Leiterin des Polytechnischen Lehrganges in A, brachte mit Eingabe an die Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld vom 16. Dezember 1988 eine Privatanklage gegen den Mitbeteiligten ein, weil dieser sie im Zuge eines Telefongesprächs, das von Direktor Z am 9. November 1988 von ihrem Büro aus mit dem Mitbeteiligten geführt worden sei, mit dem Ausdruck "spinnende Direktorin" apostrophiert habe. Die Beschwerdeführerin sei neben Z gestanden und habe das Gespräch mithören können.

Mit Bescheid vom 23. Februar 1990 stellte die Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld das Verfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß §§ 45 Abs. 1, 56 VStG 1950 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 3 des Landesgesetzes vom 25. Juni 1975, betreffend die Anstandsverletzung, Lärmerregung und Ehrenkränkung (im folgenden: Landesgesetz), LGBl. für die Steiermark Nr. 158, mit der Begründung ein, es sei im Verfahren nicht hervorgekommen, daß der Mitbeteiligte die Beschwerdeführerin vorsätzlich habe beschimpfen wollen.

Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 28. Juni 1990 unter gleichzeitiger Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung keine Folge gegeben. Die Tat sei nicht öffentlich begangen worden und daher nicht von den Gerichten zu ahnden. Die im § 2 des Landesgesetzes angeführten Tatbestände sähen die vorsätzliche Begehung der jeweiligen Tat vor. Im vorliegenden Fall könne aber Vorsatz nicht erkannt werden. Es könne nämlich nicht geleugnet werden, daß es sich bei der Bemerkung "spinnende Direktorin" um eine im Alltag nicht selten gebrauchte Redensart handle, die aus der Situation, in der sie falle, beurteilt werden müsse. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens kämen derartige Äußerungen der betreffenden Person kaum zu Ohren oder sie würden wegen der Oberflächlichkeit der Bemerkung als unbedeutend abgetan. Daher gehe die Behörde davon aus, daß beim Mitbeteiligten weder vor noch bei der Ausführung der Tat Vorsatz gegeben gewesen sei, daß er nicht im Bewußtsein aller nach dem Gesetz wesentlichen Tatumstände gehandelt, den Taterfolg nicht angestrebt und seinen Eintritt auch nicht für gewiß oder ernstlich für möglich gehalten habe. Deshalb habe im Rahmen der freien Beweiswürdigung die angelastete Verwaltungsübertretung nicht mit der für eine Bestrafung erforderlichen Sicherheit erwiesen werden können und sei in Anwendung des Rechtssatzes "im Zweifel für den Beschuldigten" spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die inkriminierte Äußerung sei keine Beschimpfung im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 3 des Landesgesetzes, sondern eine Schmähung im Sinne des § 111 StGB, brauche bei dieser Sach- und Rechtslage nicht mehr eingegangen zu werden. Festzuhalten sei jedoch, daß diese Auffassung nicht geteilt werde, zumal eine Schmähung, also ein gegen den Charakter des Geschmähten gerichteter Vorwurf, dem das Urteil zugrundeliege, er sei entehrender Handlungen fähig und habe solche begangen, "im Gegenstand" nicht gesehen werden könne.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin dessen kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die belangte Behörde und der Mitbeteiligte haben jeweils eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet. Die Beschwerdeführerin hat in einem weiteren Schriftsatz dazu Stellung genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 2 des Landesgesetzes LGBl. für die Steiermark 1975/158 bestimmt:

(1) Wer vorsätzlich

1. einen anderen einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet wäre, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen;

2.

...

3.

einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper mißhandelt oder mit einer körperlichen Mißhandlung bedroht,

begeht, sofern die Tat nicht nach den §§ 111 bis 117 des Strafgesetzbuches, BGBl. Nr. 60/1974, eine gerichtlich strafbare Handlung darstellt, die Verwaltungsübertretung der Ehrenkränkung.

(2) ...

(3) Ehrenkränkungen sind Privatanklagesachen, auf deren Verfolgung und Bestrafung § 56 VStG 1950, BGBl. Nr. 172, mit der Maßgabe anzuwenden ist, daß dem Privatankläger gegen die Einstellung die Berufung an die Landesregierung zusteht."

Gemäß § 5 Abs. 1 StBG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

2.1. Außer Streit steht, daß sich der Mitbeteiligte in einem Telefongespräch mit Direktor Z auf die bezeichnete Weise über die Beschwerdeführerin geäußert hat, und zwar aus Anlaß ihres Verhaltens in der Frage der Öffnung der Schule vor Beginn der Aufsichtspflicht der Lehrer.

Strittig ist in erster Linie die subjektive Tatseite. Die belangte Behörde ist in freier Beweiswürdigung zu der Auffassung gelangt, der Mitbeteiligte habe nicht vorsätzlich gehandelt.

2.2.1. Die freie Beweiswürdigung der Behörde unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind sie nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemein menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Im vorliegenden Fall sind die Erwägungen der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung schon im Ansatz verfehlt.

2.2.2. Vorsatz wird im Verwaltungsstrafgesetz nicht definiert, er ist nach allgemein herrschender Ansicht in dem in § 5 StGB umschriebenen Sinn zu verstehen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 85/01/0149, Slg. 11.940/A; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts4 Rz 738).

Da § 2 Abs. 1 des Landesgesetzes keine besondere Form des Vorsatzes fordert, genügt für die Begehung einer Ehrenkränkung bedingter Vorsatz (dolus eventualis). Darunter ist zu verstehen, daß der Täter den tatbildmäßigen Erfolg zwar nicht bezweckt, seinen Eintritt auch nicht als gewiß voraussieht, ihn aber ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet (vgl. z. B. Leukauf-Steiniger, Kommentar zum StGB2 Rz 14 zu § 5 StGB; Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1990, Zl. 89/01/0068).

Bei einer Ehrenkränkung muß sich der Vorsatz auf die Verwirklichung des Sachverhaltes beziehen, der einem Tatbild nach § 2 Abs. 1 Z. 1 bis 3 des Landesgesetzes entspricht. All diesen Tatbildern ist das Element der Verletzung der Ehre einer Person gemeinsam. Es muß daher das die Ehre verletzende Verhalten insbesondere auch in seiner Eignung hiezu vom Vorsatz umfaßt sein. Besteht das Verhalten in einer Äußerung, genügt es für die Bejahung des Vorsatzes, wenn der Täter es ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, daß durch die Äußerung die Ehre einer Person verletzt wird.

2.2.3. Unter Ehre wird die Übereinstimmung des Verhaltens eines Menschen mit den an ihn gestellten sittlichen und sozialen Forderungen einerseits in der Meinung seiner Umwelt (objektive Ehre) und andererseits in der eigenen Meinung (Ehrgefühl = subjektive Ehre) verstanden (Foregger in Wiener Kommentar zum StGB, 8. Lieferung, Rz 1 der Vorbem). Leukauf-Steiniger (Kommentar, Rz 3 der Vorbem zu §§ 111 ff) verstehen unter Ehre objektiv die Wertschätzung und Achtung eines Menschen in den Augen der für ihn maßgeblichen Umwelt, subjektiv die Selbsteinschätzung dieses Menschen.

Nach dem Großen Duden, Band 7

(Etymologie - Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Seite 660), steht das umgangssprachliche "er spinnt" für "er ist verrückt". Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch in 6 Bänden, führt als umgangssprachlich abwertende Bedeutung des Wortes "spinnen" an: "dummes Zeug reden, närrische, verrückte Ideen haben, verrückt sein". Im großen österreichischen Schimpfwörterbuch von Jontes (Verlag Podmenik, Seite 303) wird "Spinner/in" als Bezeichnung für eine "skurile, mißmutige, launische, querköpfige" Person angeführt. Im Hinblick auf diese umgangssprachliche Bedeutung von "spinnen" liegt der die Ehre verletzende ("beleidigende") Charakter einer solchen Aussage in bezug auf eine Person auf der Hand.

2.2.4. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann davon ausgegangen werden, daß nicht nur die besagte Bedeutung von "spinnen" jedem mit der deutschen Umgangssprache hinreichend Vertrauten bekannt ist, sondern daß der Gebrauch dieses Ausdrucks im Regelfall auch in Beleidigungsabsicht, mithin vorsätzlich, erfolgt, kommt es dem Betreffenden doch regelmäßig darauf an, solcherart die Ehre des anderen zu verletzen. Das schließt freilich nicht aus, daß sich aus den Umständen des Einzelfalles (vgl. zu ihrer Bedeutung Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts BT I Rz 940, 1083) etwas anderes ergibt.

Daraus folgt, daß es im vorliegenden Fall entgegen der Meinung der belangten Behörde nicht um den Nachweis des Vorsatzes beim Mitbeteiligten ging. Die belangte Behörde hat daher insoweit die Rechtslage verkannt.

Davon abgesehen sind auch die übrigen im angefochtenen Bescheid enthaltenen Erwägungen verfehlt: Es mag zwar zutreffen, daß "nach den Erfahrungen des täglichen Lebens derartige Äußerungen der betreffenden Person kaum zu Ohren kommen". Dies läßt aber nicht den Schluß auf das Fehlen von Vorsatz bei einer derartigen Äußerung zu, sondern besagt nur, daß sie im allgemeinen dem Betreffenden nicht bekannt wird und deshalb auch keine Reaktion darauf zu befürchten ist. Ob eine solche Äußerung erfahrungsgemäß "wegen der Oberflächlichkeit der Bemerkung als unbedeutend abgetan" wird, ist ohne Belang, weil daraus für die Frage des Fehlens von Vorsatz im Einzelfall nichts abgeleitet werden kann.

2.2.5. Mit dem Vorbringen in seiner Gegenschrift, die Beschwerdeführerin habe von seiner Äußerung nur durch deren - nicht von seinem Wissen und Willen umfaßte - Wiederholung durch Direktor Z erfahren, und er habe nicht vermuten können, daß das Telefongespräch in Anwesenheit der Beschwerdeführerin geführt wird, macht der Mitbeteiligte keinen rechtlich relevanten Umstand geltend. Der hier in Betracht kommende Tatbestand des § 2 Abs. 1 Z. 3 des Landesgesetzes setzt nämlich ebensowenig wie der ihm entsprechende Tatbestand des § 115 StGB die Anwesenheit oder zumindest das Mithörenkönnen des durch die wörtliche Äußerung Beleidigten voraus. Dessen Ehre wird auch dann verletzt, wenn die Äußerung in seiner Abwesenheit gegenüber einem Dritten erfolgt. Ob derartige Äußerungen innerhalb der sogenannten "beleidigungsfreien Intimsphäre" (siehe dazu Kienapfel, Rz 952) nicht strafbar sind, braucht im vorliegenden Fall deshalb nicht erörtert zu werden, weil davon jedenfalls bei einem - so wie hier - in Ausübung des Dienstes und über dienstliche Angelegenheiten geführten Telefongespräch keine Rede sein kann.

3. Die Meinung der Beschwerdeführerin, die gegenständliche Äußerung sei als "Schmähung" im Sinne des seinerzeitigen § 491 StG (numehr § 111 Abs. 1 erster Fall StGB bzw. § 2 Abs. 1 Z. 1 des Landesgesetzes - "einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung seien") zu qualifizieren, kann nicht geteilt werden. Denn die Nachrede eines erheblichen Charaktermangels (Kienapfel, Rz 990) bzw. das generelle Urteil, der Betreffende sei entehrender Handlungen fähig (Leukauf-Steininger, Rz 3 zu § 111), kann in der Bezeichnung einer Person als "Spinner" nicht erblickt werden. Davon abgesehen läge bei Zutreffen der Auffassung der Beschwerdeführerin gar keine verwaltungsbehördlich zu ahndende Ehrenkränkung, sondern gerichtlich strafbare "Üble Nachrede" vor, und es wäre daher das Strafverfahren schon aus diesem Grund einzustellen gewesen. Die Äußerung ist nämlich in einem Gespräch mit einem Dritten (Direktor Z) gefallen und daher im Sinne des § 111 StGB "in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise" erfolgt (siehe zum Begriff des "Dritten" das zum vergleichbaren Tatbestand des § 3 lit. a NÖ Polizeistrafgesetz ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. November 1980, Slg. 10.300/A).

4. Aus den unter Punkt 2.2.4. dargelegten Gründen ist der angefochtene Bescheid in Ansehung der für die Einstellung des Strafverfahrens entscheidenden Annahme des Fehlens von Vorsatz beim Mitbeteiligten mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet. Daher ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, die gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwenden ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990100152.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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