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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §63 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Mag. Kirchner, über die Beschwerde der Kongregation XY in G, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W,
gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 17. Mai 1989, Zl. 17.254/36-I C 7/89, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem Marktordnungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Spruch des sowohl an den Milchhof G, registrierte Genossenschaft m.b.H. in G, als auch an die Beschwerdeführerin erlassenen Bescheides des Geschäftsführers des Milchwirtschaftsfonds vom 24. Jänner 1989 lautet wie folgt:
" Bescheid
Gemäß § 71 Abs. 7 Marktordnungsgesetz (MOG, BGBl. Nr. 210/1985 i.d.F. BGBl. Nr. 138/1987) in Verbindung mit §§ 16 Abs. 4 und 6, 71 Abs. 6 sowie 79 MOG wird die Beitragsschuld für die Abhofpauschale für die in der Zeit vom 1. Juli 1987 bis 30. November 1987 von der landwirtschaftlichen Produktionsstätte über die Freimenge hinaus ab Hof abgegebene Menge von 48.050 kg Milch mit S 72.075,-- festgestellt und dem Milchhof G zur Bezahlung an den Milchwirtschaftsfonds vorgeschrieben, wobei der Milchhof G gemäß § 80 Abs. 6 in Verbindung mit § 71 Abs. 7 MOG berechtigt ist, die Kongregation XY als Betriebsführer mit diesem Betrag zu belasten.
Festgestellt wird, daß der Milchhof G den eben erwähnten Betrag gegenüber dem Milchwirtschaftsfonds bereits entrichtet hat."
Die Rechtsmittelbelehrung enthält keinen Hinweis darauf, daß sie nur für den Beitragsschuldner gilt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin sinngemäß mit der Begründung Berufung, die Beitragsschuld bestehe deswegen nicht, weil keine Abhofverkäufe vorlägen, sondern "Eigenverbrauch und Selbstversorgung" im Rahmen der Ordensgemeinschaft.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin "gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 83 Abs. 1 des Marktordnungsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 210, zuletzt geändert durch die Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 330, als unzulässig zurückgewiesen." Dies im wesentlichen mit folgender Begründung:
Aus dem Spruch des mit Berufung bekämpften Bescheides ergebe sich eindeutig und auch von der Beschwerdeführerin unbestritten, daß im vorliegenden Fall das Abhofpauschale dem Milchhof G als Abgabenschuldner vorgeschrieben worden sei. Ebenso unbestritten sei geblieben, daß der Hinweis im angefochtenen Bescheid auf § 80 Abs. 6 MOG 1985 betreffend die Überwälzbarkeit der Beitragsschuld auf den einzelnen Milcherzeuger nur deklaratorische Bedeutung habe. Es stehe somit fest, daß durch den Spruch des Bescheides nicht über Anträge, Rechte oder Verpflichtungen der Beschwerdeführerin abgesprochen worden sei. Daran vermöge auch die Zustellverfügung nichts zu ändern. Aus dem Gesagten folge vielmehr, daß im vorliegenden Fall der mit Berufung bekämpfte Bescheid eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung enthalte. Eine unzulässige Berufung sei auch dann zurückzuweisen, wenn sie auf Grund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung erhoben worden sei. Da bei einer juristischen Person nicht von einem eigenen "Haushalt" im Sinne des § 13 Abs. 2 Z. 1 MOG 1985 gesprochen werden könne, ein "Eigenverbrauch" also allenfalls nur den hauptsächlich im landwirtschaftlichen Betrieb arbeitenden und in dessen unmittelbarer Nähe wohnenden natürlichen Personen zugebilligt werden könne, habe auch kein Anlaß bestanden, den mit Berufung bekämpften Bescheid in Ausübung des Aufsichtsrechtes aufzuheben. Da im vorliegenden Fall auch kein Antrag auf Anerkennung der Selbstversorgung von der Beschwerdeführerin gestellt worden sei und der Bescheid auch eine solche Entscheidung nicht treffe, sei die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid "in ihren Rechten auf ein mangelfreies Verfahren (Parteistellung) sowie auf Eigenverbrauch gemäß § 13 Abs. 2 Z. 1 MOG" verletzt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Mit Beschluß vom 21. Dezember 1990, A 22/91, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt,
1. § 13 Abs. 2, § 16 Abs. 4 und Abs. 6 und § 71 Abs. 6 und Abs. 7 des Marktordnungsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 210, idF der Marktordnungsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 138;
2. Art. II Z. 3 und 5 bis 8 sowie Art. III und IV Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1985, mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1985), BGBl. Nr. 291;
3. Art. II Z. 8 bis 27 sowie Art. III Abs. 3 bis 6 und Art. V bis VIII, jeweils des Abschnittes I des Bundesgesetzes vom 20. März 1986 über Änderungen des Marktordnungsgesetzes 1985 (Marktordnungsgesetz-Novelle 1986) und des Bundesfinanzgesetzes 1986, BGBl. Nr. 183;
4. Art. II Z. 7 bis 9 und 12 bis 27 sowie Art. III mit Ausnahme der Verfassungsbestimmungen, Art. IV mit Ausnahme der Verfassungsbestimmung und Art. V des Bundesgesetzes vom 27. März 1987, mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1987), BGBl. Nr. 138;
5. Art. II Z. 17 und 18 des Abschnittes I des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1987 über Änderungen des Marktordnungsgesetzes 1985 (2. Marktordnungsgesetz-Novelle 1987) und über Maßnahmen betreffend Isoglucose, BGBl. Nr. 324; und
6. Art. II Z. 70 bis 89 sowie Art. V, VI und IX des Bundesgesetzes vom 9. Juni 1988, mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. Nr. 330,
als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit Erkenntnis vom 8. März 1991, G 147/90-11 u.a. (hier: G 116-121/91-7) sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß u.a. § 13 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210 idF BGBl. Nr. 138/1987, als verfassungswidrig aufgehoben werde, daß die Aufhebung mit Ablauf des 29. Februar 1992 in Kraft tritt, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten und daß § 13 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210 idF BGBl. Nr. 138/1987 auch auf jenen Sachverhalt nicht mehr anzuwenden ist, der der beim Verfassungsgerichtshof zu G 116-121/91 anhängigen Rechtssache (Antrag des Verwaltungsgerichtshofes A 22/91) zugrunde liege (Punkt I. des Spruches). Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 1990 zu G 116-121/91 (A 22/91) wurde zurückgewiesen, soweit er § 16 Abs. 4 und Abs. 6 und § 71 Abs. 6 und Abs. 7 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 210 idF BGBl. Nr. 138/1987, betraf (Punkt III. des Spruches).
In den Entscheidungsgründen führte der Verfassungsgerichtshof zur Präjudizialität des § 13 Abs. 2 MOG aus, im Hinblick auf die Ausführungen im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes sei es nicht ausgeschlossen, daß der Verwaltungsgerichtshof in diesem Verfahren die eben zitierte Gesetzesstelle anzuwenden habe. Allerdings sei der Antrag so spät eingelangt, daß die Durchführung eines förmlichen Gesetzesprüfungsverfahrens nicht mehr möglich gewesen sei. Der Verfassungsgerichtshof habe jedoch beschlossen, von der ihm gemäß Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für diese beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdesache herbeizuführen. Damit habe sich insoweit eine weitere Erledigung des vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Gesetzesprüfungsantrages erübrigt. Nicht erkennbar sei es dem Verfassungsgerichtshof, inwieweit sich die gegen § 13 Abs. 2 MOG geäußerten Bedenken auch gegen § 16 Abs. 4 und 6 und § 71 Abs. 6 und 7 MOG 1985 in der Fassung der MOG-Novelle 1987, BGBl. Nr. 138 richten sollen. Diese Bestimmungen knüpften zwar an die - hier allein bedenkliche - Einzugsgebietsregelung des § 13 Abs. 2 MOG an, enthielten aber im übrigen trennbare Bestimmungen über die in solchen Fällen zu entrichtende Abhofpauschale.
Mit dem Erkenntnis vom 8. März 1991, G 227-231/90-9 u.a. (hier: G 116-121/90-9), wies der Verfassungsgerichtshof unter anderem die unter den Punkten 2. bis 6. der im hg. Beschluß vom 21. Dezember 1990 gestellten Anträge zurück (Punkt II. des Spruches), weil keine der Bestimmungen, gegen die sich die Bedenken richteten, präjudiziell sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Da die belangte Behörde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Behörde erster Rechtsstufe ZURÜCK- und nicht ABgewiesen (also keine meritorische Entscheidung getroffen) hat, scheidet eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Recht "auf Eigenverbrauch gemäß § 13 Abs. 2 Z. 1 MOG" durch den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid von vornherein aus. Zu prüfen war daher lediglich, ob die Beschwerdeführerin DURCH DIE ZURÜCKWEISUNG DER BERUFUNG in einem vor dem Verwaltungsgerichtshof verfolgbaren Recht verletzt worden ist.
Dies ist aus den nachfolgend angeführten Gründen zu bejahen:
Gemäß § 80 Abs. 6 MOG ist der Beitragsschuldner berechtigt, die einzelnen Milcherzeuger zu dem im Abs. 1 genannten Termin anteilsmäßig bis zur Höhe der von ihm zu entrichtenden Beiträge entsprechend den von den einzelnen Milcherzeugern übernommenen Mengen an Milch und Erzeugnissen aus Milch zu belasten. Die den Milcherzeugern angelasteten Beiträge sind als durchlaufende Posten im Sinne des § 4 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1972 anzusehen. Führt die Beitragsverrechnung zu einem Guthaben, ist der Beitragsschuldner verpflichtet, dieses dem einzelnen Milcherzeuger unverzüglich zu erstatten.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 7. Dezember 1989, G 237-240/89-7, mit dem § 71 Abs. 5 Marktordnungsgesetz 1985 - MOG, BGBl. Nr. 210 idF der Novellen BGBl. Nr. 291/1985 und 138/1987 mit Ablauf des 30. November 1990 als verfassungswidrig aufgehoben wurde, unter anderem ausgeführt, daß es der Gleichheitssatz gebiete, den Milcherzeugern im Verfahren über die Entrichtung von Absatzförderungsbeiträgen für von den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben von ihnen übernommenen Milch subjektive öffentliche Rechte und damit Parteistellung zu gewähren. Das in den §§ 79 Z. 1, 80 Abs. 6 und 81 Abs. 6 MOG enthaltene Regelungssystem verstieße gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn bloß dem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb, nicht aber dem milcherzeugenden Landwirt Parteistellung und damit Rechtsschutz gewährt würde. Durch die Bestimmungen des MOG werde bei verfassungskonformer Interpretation das wirtschaftliche Interesse der Milcherzeuger auch rechtlich geschützt, durch die Festsetzung eines Absatzförderungsbeitrages gegenüber dem (formellen) Beitragsschuldner werde (auch) in die Rechtssphäre des Milcherzeugers eingegriffen.
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes über die Parteistellung des jeweils betroffenen milcherzeugenden Landwirtes im Abgabenverfahren betreffend die Festsetzung eines Absatzförderungsbeitrages gegenüber dem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb deshalb an, weil § 80 Abs. 6 MOG die Beitragsüberwälzung auf den Milchbauern nicht bloß offen läßt, sondern eine ausdrückliche Ermächtigung hiezu enthält; der Milchbauer hat daher nicht bloß ein WIRTSCHAFTLICHES, sondern ein RECHTLICH GESCHÜTZTES Interesse an der richtigen Festsetzung des Beitrages gegenüber dem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb. Da sich die Festsetzung eines Absatzförderungsbeitrages gegenüber dem Beitragsschuldner durch die Abgabenbehörde solcherart auf ihn bezieht, kommt dem Milchbauern gemäß § 78 Abs. 3 BAO auch Parteistellung zu.
Wie eingangs dargelegt wurde, hat der Geschäftsführer des Milchwirtschaftsfonds den Bescheid vom 24. Jänner 1989 auch gegenüber der Beschwerdeführerin erlassen, was im Hinblick auf die Parteistellung der Beschwerdeführerin dem Gesetz entsprach.
Ausgehend davon war die Beschwerdeführerin gemäß § 246 BAO zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid vom 24. Jänner 1989 berechtigt; dies gilt selbst unter der im Beschwerdefall bestehenden Besonderheit, daß eine für die auf die Beschwerdeführerin überwälzte Abgabenschuld des Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebes bedeutsame Gesetzesstelle - nämlich § 13 Abs. 2 MOG 1985 idF BGBl. Nr. 138/1987 - aus Anlaß des vorliegenden Falles vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben bzw. die Anlaßfallwirkung auch auf diesen Fall erstreckt wurde, weil das Recht zur Erhebung einer Berufung gegen einen erstinstanzlichen Abgabenbescheid nicht an das Vorhandensein einer materiell-rechtlichen Grundlage für den bekämpften Bescheid geknüpft ist, vielmehr ein Rechtsmittel auch dazu dient, bei Fehlen einer solchen Grundlage die Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Bescheides zu erwirken.
Die belangte Behörde hat auf Grund ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, ein von der Beschwerdeführerin bekämpfbarer Bescheid liege nicht vor, deren Berufung als unzulässig zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1989170120.X00Im RIS seit
12.12.2001