TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/17 90/06/0218

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Veröffentlicht am 17.05.1991
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L80006 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Stmk 1968 §3 Abs2;
BauO Stmk 1968 §4 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2 litc;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des N in Graz, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 8. November 1990, Zl. 17-K-6026/1990-2, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben, (mitbeteiligte Partei: Österreichische P-Gesellschaft m.b.H. W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.960,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 1. September 1989 beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung der Baubewilligung für den Zu- und Umbau des Büro- und Geschäftsgebäudes auf dem Grundstück Nr. nn/1, EZ nn, KG G. Die Widmungsbewilligung sei mit Bescheid vom 3. Mai 1978 erteilt worden. Dem Einreichplan ist zu entnehmen, daß ein bestehendes Gebäude der mitbeteiligten Partei aufgestockt und anschließend daran ein dreigeschoßiger, unterkellerter Zubau 2 m von der nördlichen Grundgrenze entfernt, errichtet werden soll. Unmittelbar anschließend an die nördliche Grundgrenze liegt ein 2 m breiter "Radweg" auf Grundflächen, die die mitbeteiligte Partei auf Grund der Widmungsbewilligung vom 3. Mai 1978 in das Eigentum der Landeshauptstadt Graz übertragen hat. Gegenüber dem Bauvorhaben und unmittelbar angrenzend an den "Radweg" liegt die Liegenschaft des Beschwerdeführers, die mit einem ebenerdigen Gebäude, das unmittelbar an der Grundgrenze errichtet wurde, bebaut ist.

Über das Ansuchen der mitbeteiligten Partei wurde am 1. August 1990 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der auch der Beschwerdeführer als Nachbar unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 Abs. 1 AVG 1950 geladen wurde. Während dieser Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, daß der gesetzlich vorgeschriebene Abstand zum Gebäude auf seiner Liegenschaft an keiner Stelle unterschritten werden dürfe.

Mit Bescheid vom 16. August 1990 erteilte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz der Mitbeteiligten die beantragte Baubewilligung. Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde als unzulässig zurückgewiesen.

Der dagegen eingebrachten Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 8. November 1990 keine Folge. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, durch das "Dazwischentreten der öffentlichen Verkehrsflächen" zwischen das Grundstück des Beschwerdeführers und den Bauplatz der mitbeteiligten Partei kämen die Abstandsbestimmungen des § 4 der Steiermärkischen Bauordnung, die sich auf Nachbargrundstücke bzw. auf Gebäude auf Nachbargrund bezögen, nicht zur Anwendung. Mindestabstände zur angrenzenden Verkehrsfläche "Radweg" würden ebenfalls nicht unterschritten, da in der Widmungsbewilligung kein einzuhaltender Mindestabstand vorgeschrieben worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 61 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung (BO) in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 14/1989 kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen. Diese sind in der Folge in den litt. a bis k taxativ aufgezählt. Davon kommen nach den gegebenen Umständen und dem Vorbringen des Beschwerdeführers folgende Bestimmungen in Betracht:

"a) Das Verbot der Erteilung einer Baubewilligung vor Rechtskraft der Widmungsbewilligung (§ 2 Abs. 1 und § 58 Abs. 1 lit. a);

d) die Abstände (§ 4 und § 53);"

Der Beschwerdeführer war zur Verhandlung vom 1. August 1990 unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 Abs. 1 AVG 1950 geladen worden. Da er während dieser Verhandlung nicht darauf hinwies, daß die erteilte Widmungsbewilligung ihm nicht zugestellt wurde und ihm gegenüber daher nicht in Rechtskraft erwachsen konnte, ist er mit diesem, erstmals in der Beschwerde erhobenen Vorbringen präkludiert. Daraus ist aber nicht abzuleiten, daß die Widmungsbewilligung nun als dem Beschwerdeführer gegenüber in Rechtskraft erwachsen anzusehen sei; der Beschwerdeführer hat sich lediglich des Rechtes begeben, diese Einwendung im Sinne des § 61 Abs. 2 lit. a BO zu erheben.

Eine eindeutige, auf einem subjektiv-öffentlichen Nachbarrecht beruhende Einwendung hat der Beschwerdeführer aber rechtzeitig hinsichtlich der Einhaltung des Abstandes gemacht.

Die hier maßgebliche Bestimmung lautet:

§ 4 Abs. 1 BO

"(1) Gebäude müssen entweder unmittelbar aneinander gebaut werden oder voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinander gebaut, muß ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt. Eine Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrundgrenze errichtet wird, muß von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, als die Anzahl der Geschoße, vermehrt um 2, ergibt. Bei Gebäuden ohne die übliche Geschoßeinteilung errechnet sich die Geschoßanzahl aus der Gebäudehöhe in Metern, geteilt durch 3."

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 21. Juni 1990, Zlen. 89/06/0175, 0176, AW 89/06/0068, 0069, ausgesprochen, daß sich die Abstandsvorschrift des § 4 Abs. 1 BO ausschließlich auf den Seitenabstand bezieht, nicht aber auf einen Abstand zu einer gegenüberliegenden, durch eine öffentliche Straße getrennte Grundfläche. Im vorliegenden Fall sind, wie bereits in der Sachverhaltsdarstellung geschildert wurde, die Liegenschaften der mitbeteiligten Partei und des Beschwerdeführers durch einen zwei Meter breiten "Radweg" getrennt. Diese Fläche steht auf Grund der Abtretung der mitbeteiligten Partei nunmehr im Eigentum der Landeshauptstadt Graz.

Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich bei dem "Radweg" um eine öffentliche Verkehrsfläche handelt oder nicht, ist nicht ausschlaggebend, in wessen Eigentum sich die betreffende Grundfläche befindet. Die Widmung einer Fläche zu einer öffentlichen Verkehrsfläche kann lediglich auf einer generellen Norm (z.B. Flächenwidmungs- oder Bebauungsplan) beruhen. Die Breite einer solchen öffentlichen Verkehrsfläche hat durch die entsprechende Festsetzung von Baugrenzlinien zu erfolgen. Bei der (nicht durch einen Bebauungsplan erfolgten) Festsetzung von Baugrenzlinien steht dem Nachbar ein Mitspracherecht gemäß § 61 Abs. 2 lit. c BO zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1990, Zlen. 89/06/0175, 0176, AW 89/06/0068, 0069). In dem von der belangten Behörde vorgelegten Flächenwidmungsplan 1982 der Landeshauptstadt Graz scheint der gegenständliche "Radweg" nicht als öffentliche Verkehrsfläche auf; auch ein Bebauungsplan besteht insowewit nicht, vielmehr wurde nach dem Bericht der belangten Behörde der "Radweg" durch Bescheid als solcher festgesetzt. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde liegt daher zwischen den Liegenschaften des Beschwerdeführers und der mitbeteiligten Partei keine öffentliche Verkehrsfläche, sodaß die Bestimmung des § 4 Abs. 1 BO jedenfalls zur Anwendung gelangt. Die Festsetzung von Baugrenzlinien in der Widmungsbewilligung vom 3. Mai 1978 konnte dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rechtswirkung entfalten, weil dieser Bescheid weder ihm noch seinem Rechtsvorgänger zugestellt wurde und daher dem Beschwerdeführer gegenüber nicht in Rechtskraft erwachsen konnte.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde war daher bei der Ermittlung des Abstandes die Bestimmung des § 4 Abs. 1 BO anzuwenden. Da das eingereichte Projekt die in dieser Bestimmung festgelegten Abstände nicht einhält und der Beschwerdeführer seine diesbezüglichen, in der Bauordnung festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte rechtzeitig geltend gemacht hat, ist er durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990060218.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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