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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Art83 Abs2 B-VG; gesetzwidrige Verweigerung der Sachentscheidung mangels Legitimation des Berufungswerbers; Beschwerdeführer als Adressat des auf §6 VersammlungsG iVm. §3 VerbotsG gestützten Untersagungsbescheides anzusehen; Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Am 19. März 1986 wurde über den "Tonbanddienst der Nationaldemokratischen Partei" folgende Mitteilung verbreitet:
"Hier ist das Bundesbüro der NDP. Wir geben bekannt: Das Personenkomitee zur Unterstützung des nationalfreiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Primarius Dr. O S veranstaltet am Mittwoch, dem 19. März 1986, um 19,30 Uhr, im Deutschen Haus am Landstraßer Gürtel 19, eine Wahlkundgebung. Es spricht der Kandidat der Bundespräsidentenwahl 1980, Dr. N B ...".
b) Die BPD Wien erlangte aufgrund dieser telefonischen Durchsage von der beabsichtigten Versammlung Kenntnis. Sie untersagte daraufhin mit Bescheid vom 19. März 1986 gemäß §6 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) iVm §3 Verbotsgestz und Art4 und 9 des Staatsvertrages von Wien die Abhaltung der Versammlung.
Der Bescheid führt im Betreff das "Personenkomitee zur Unterstützung des nationalfreiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Primarius Dr. O S" (im folgenden kurz: Personenkomitee) an; ein Adressat wird formell nicht genannt. Eine Ausfertigung des Bescheides wurde am 19. März 1986 am vorgesehenen Versammlungsort von einem Beamten der BPD Wien Dr. N B gegen Empfangsbestätigung zugestellt, nachdem sich dieser als Verantwortlicher des Personenkomitees deklariert hatte.
c) Gegen diesen Bescheid erhob "Dr. N B, Vorsitzender des Personenkomitees ...." Berufung. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wies dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom 22. Juli 1986 als unzulässig zurück. Die Sicherheitsdirektion nahm an, die Berufung sei von Dr. B namens des Personenkomitees erhoben worden; das Personenkomitee habe aber keine Rechtspersönlichkeit.
d) "Dr. N B, Vorsitzender des Personenkomitees ..."
brachte gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Berufung an den Bundesminister für Inneres (BMI) ein, der mit Bescheid vom 6. April 1988 dem Rechtsmittel keine Folge gab und den Bescheid der Sicherheitsdirektion bestätigte. Der Bescheid des BMI ist an "Herrn Dr. N B als Vertreter des Personenkomitees ..."
adressiert.
Der BMI begründete seine Entscheidung - nach einer Schilderung des Verwaltungsgeschehens - wie folgt:
"Nach dem dargelegten Sachverhalt steht für das Bundesministerium für Inneres fest, daß als Veranstalter der untersagten Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes 1953 ein 'Personenkomitee zur Unterstützung des nationalfreiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Primarius Dr. O S' anzusehen ist, das somit auch durch den Untersagungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien in der Ausübung des Versammlungsrechtes beeinträchtigt war. Eindeutig als Vertreter dieses unbestrittenermaßen als Rechtssubjekt nicht existenten Zusammenschlusses von Personen und nicht als Privatperson trat Dr. B auf. Hätte Dr. B gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien im eigenen Namen Berufung erhoben, so wäre sie von vornherein wegen Fehlens seiner Legitimation hiefür unzulässig und deshalb zurückzuweisen gewesen.
Das Personenkomitee als Versammlungsveranstalter wäre an und für sich berufungsberechtigt, dies allerdings nur unter der Voraussetzung seiner rechtlichen Existenz. Daß dieses Komitee keine Rechtspersönlichkeit besitzt, wird auch vom Berufungswerber nicht in Frage gestellt. Ein rechtlich nicht existentes Gebilde kann am Rechtsleben nicht teilnehmen, also etwa auch nicht gegen einen Bescheid deswegen Berufung erheben, weil ihm die Abhaltung einer Versammlung untersagt worden ist (vgl. Erkenntnis des VfGH B682/86-10).
Gegenstand der Berufungsentscheidung des Bundesministeriums für Inneres konnte somit nur noch die Prüfung sein, ob die Zurückweisung der Berufung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wegen Fehlen der Rechts- und daher auch der Parteifähigkeit des Berufungswerbers, d. h. des Personenkomitees ....... zu Recht erfolgt ist. Dies ist zu bejahen."
2. Gegen den Bescheid des BMI (I.1.d) erhebt "Dr. N B, ehem. Vorsitzender des Personenkomitees ..." die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der er die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
3. Der BMI als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Es steht fest (und ist auch unbestritten), daß dem Personenkomitee keine Rechtspersönlichkeit zukommt. Anders als in dem mit hg. Erkenntnis vom 3. März 1987, B682/86 abgeschlossenen Fall (bei dem gerade die Frage, ob die als Versammlungsveranstalterin auftretende NDP Rechtspersönlichkeit besitze oder nicht, das strittige Problem war) gingen hier alle einschreitenden Behörden und der Bf. von allem Anfang an stets davon aus, daß das Personenkomitee keine juristische Person sei.
Daraus folgt, daß Adressat des von der BPD Wien erlassenen Untersagungsbescheides der Bf. als Veranstalter war, und nicht etwa das Personenkomitee. Wäre dies
anders, so wäre der Untersagungsbescheid mangels eines Adressaten ein rechtliches Nichts; es kann aber nicht angenommen werden, daß der Wille der BPD Wien darauf gerichtet gewesen wäre, einen rechtlich unerheblichen Akt zu setzen.
Als Adressat des Untersagungsbescheides war der Bf. zu dessen Anfechtung legitimiert. Nach der Textierung der Berufung und aufgrund der soeben geschilderten Umstände ist die Berufung so zu deuten, daß der Bf. (und nicht etwa das Personenkomitee) als Rechtsmittelwerber auftrat. Gleiches gilt für die gegen den Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion an den BMI gerichtete Berufung.
Der drittinstanzliche Bescheid ist gleichfalls an den Bf. gerichtet. Nach dem Gesagten ist dieser legitimiert, beim VfGH Beschwerde zu führen.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2.a) Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985).
b) Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, daß die Sicherheitsdirektion verpflichtet gewesen wäre, über die (gegen den an den Bf. gerichteten Untersagungsbescheid gerichtete) Berufung meritorisch zu entscheiden. Der BMI hat dadurch, daß er die Fehlentscheidung der Sicherheitsdirektion bestätigt hat, den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Der angefochtene Bescheid war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Legitimation, Verwaltungsverfahren, Parteistellung, Rechtspersönlichkeit, Bescheidbegriff, Berufung, Auslegung eines Antrages, Auslegung eines BescheidesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1107.1988Dokumentnummer
JFT_10118997_88B01107_00