TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/27 91/19/0024

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Veröffentlicht am 27.05.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
21/03 GesmbH-Recht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;
60/02 Arbeitnehmerschutz;
95/05 Normen Zeitzählung;

Norm

BArbSchV §71 Abs3;
BArbSchV §71 Abs4;
BArbSchV §71 Abs6;
GmbHG §18;
NormenG 1971 §5;
ÖNORM B 2456;
VStG §44a lita;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Jänner 1991, Zl. MA 63-Z 7/90/Str, betreffend Bestrafung wegen Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften,

Spruch

I. den Beschluß gefaßt:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche zu den Ziffern 1, 2 und 5 richtet;

II. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Ziffern 6, 7 und 8 seines Spruches wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen - und zwar hinsichtlich der Ziffern 3 und 4 des Spruches des angefochtenen Bescheides zur Gänze sowie hinsichtlich der Ziffern 1, 2, 5, 9 und 10 im Umfang des jeweiligen Strafausspruches einschließlich der damit verbundenen Vorschreibung von Kosten des Strafverfahrens - wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.460,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Jänner 1991 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen Berufener der P.-Ges.m.b.H. zu verantworten, daß diese Gesellschaft als Arbeitgeber am 17. Oktober 1988 auf einer näher angeführten Baustelle in Wien den zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Arbeitnehmern erlassenen Gesetzen und Verordnungen insoferne zuwidergehandelt habe, als folgende gesetzlichen Bestimmungen nicht eingehalten wurden:

"1) Die untere Ladestelle des Bauaufzuges im Innenhof war nicht abgeschrankt.

2) Der Fahrbahnzugang im Dachgeschoß war nicht mit einer nicht wegnehmbaren Absperrung, wie z.B. einem Schranken, gesichert.

3) Über dem Triebwerk und dem Bedienungsstand dieses Bauaufzuges war kein Schutzdach errichtet.

4) Beim Bedienungsstand und der Ladestelle im Dachgeschoß war keine Signaleinrichtung angebracht.

5) Die Lade- und Entladestelle im Dachgeschoß bzw. das Fördergerät besaß keine Einrichtung, mit der sich das Fördergerät dort hätte sicher aufsetzen lassen.

6) Das Fördergerät besaß an der Ladeseite keine Umwehrung, die das Abstürzen von Ladegut hätte verhindern sollen.

7) An der untersten und der im Dachgeschoß befindlichen Ladestelle fehlte eine Warntafel gemäß ÖNORM B 2456 Punkt 11.3.

8) Auf der Baustelle fehlt ein Vormerk über die nach jeder neuerlichen Aufstellung vor der Inbetriebnahme des Bauaufzuges durchzuführende Prüfung. Es konnte daher nicht festgestellt werden, ob dieser Aufzug überhaupt einer Prüfung unterzogen wurde.

9) Die Öffnung eines Stiegenlaufes vom Dachgeschoß zum obersten Wohngeschoß, der im Zuge der Bauarbeiten unbenützbar wurde, war nicht abgedeckt. Diese Öffnung lag neben einem Verkehrsweg.

10) Die Balkonfläche des Dachgeschosses war nicht gegen Absturz in den Innenhof (Absturzhöhe ca. 15 m) gesichert. Diese Balkonfläche war nicht gegen Betreten durch die dort beschäftigten Arbeitnehmer abgeschrankt gewesen."

Der Beschwerdeführer habe dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt: "§ 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. Nr. 234/1972, in Verbindung mit § 33 Abs. 7 und § 33 Abs. 1 Z. 12 sowie § 33 Abs. 2 Z. 9 Arbeitnehmerschutzgesetz in Verbindung mit ad 1) § 71 Abs. 1 des BGBl. Nr. 267/54, ad 2) § 71 Abs. 2 leg. cit., ad 3) § 71 Abs. 3 leg. cit., ad 4) § 71 Abs. 4 leg. cit., ad 5) § 71 Abs. 5 leg. cit., ad 6) § 71 Abs. 6 leg. cit., ad 7) § 33 Abs. 2 Punkt 9, BGBl. Nr. 234/1972, und § 4 Abs. 1 der Vdg. RMBL. 1943, S. 46 vom 15. Juni 1943 (Aufzugsverordnung) und ÖNORM B 2456 Punkt 11.3., ad 8) § 71 Abs. 8, BGBl. Nr. 267/1954, in Verbindung mit § 33 Abs. 2 Punkt 9 des BGBl. Nr. 234/1972 und § 13 Abs. II d. RMBL. S 46 vom 15. Juni 1943, ad 9) § 18 Abs. 1 BGBl. Nr. 218/1983 und ad 10) § 18 Abs. 2 BGBl. Nr. 218/1983."

Unter Hinweis auf § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz (im folgenden: ANSchG) wurden über den Beschwerdeführer zu den Z. 1 bis 7, 9 und 10 Geldstrafen in der Höhe von je S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 36 Stunden), sowie zur Z. 8 eine Geldstrafe in der Höhe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 12 Stunden) verhängt. Weiters wurden Kostenbeiträge für das Strafverfahren erster Instanz vorgeschrieben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende

Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

ZU DEN Z. 1, 2 UND 5 DES SPRUCHES DES ANGEFOCHTENEN

BESCHEIDES:

Soweit sich die Beschwerde gegen diese Schuldsprüche richtet, ist darauf hinzuweisen, daß das erstinstanzliche Straferkenntnis - wie sich aus der diesbezüglichen Berufung zweifelsfrei ergibt - lediglich hinsichtlich der Schuldsprüche zu den Z. 3, 4 und 6 bis 8 sowie hinsichtlich der gesamten Strafbemessung bekämpft wurde. Da somit die Schuldsprüche zu den Z. 1, 2 und 5 in Rechtskraft erwachsen sind, war die Beschwerde insoweit, ohne daß auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen einzugehen war, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. April 1991, Zl. 90/19/0583). Hinsichtlich der Strafbemessung wird auf unten stehende Ausführungen verwiesen.

ZU DEN Z. 3 UND 4 DES SPRUCHES:

Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, die belangte Behörde habe zu Unrecht sein Verschulden angenommen, zumal der in Rede stehende Aufzug von einer verläßlichen Person gemietet worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich darauf verlassen können, daß ihm diese Person nur ein vorschriftsgemäßes Gerät vermiete.

Dazu ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, daß es sich bei den hier in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen nach § 71 Abs. 3 und 4 der Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 267/1954, (im folgenden: BauVO) um sogenannte Ungehorsamsdelikte gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG 1950 handelt, sodaß es ihm oblag, sein mangelndes Verschulden glaubhaft zu machen. Für die Annahme, daß der Beschwerdeführer auch bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit nicht in der Lage gewesen wäre, den gesetzwidrigen Erfolg zu verhindern, bietet der Sachverhalt keine Grundlage, zumal selbst der Beschwerdeführer nicht behauptet, daß er nicht imstande gewesen sei, die Vorschriftsmäßigkeit des Aufzuges vor der Inbetriebnahme zu überprüfen. Die belangte Behörde handelte daher nicht rechtswidrig, wenn sie auch die subjektive Tatseite als gegeben erachtete. Diese Schuldsprüche sind somit frei von Rechtsirrtum. Hinsichtlich der Strafbemessung wird auch hier auf die unten stehenden Ausführungen verwiesen.

ZU Z. 6 DES SPRUCHES:

Hier bringt der Beschwerdeführer zum Schuldspruch vor, die belangte Behörde habe nicht darauf Bedacht genommen, daß die als übertreten angesehene Vorschrift des § 71 Abs. 6 BauVO nur für Aufzüge ohne Schachtverschalung gelte. Die Behörde habe es unterlassen, die konkrete Beschaffenheit des Aufzuges festzustellen.

Dieses Vorbringen führt im Ergebnis zum Erfolg: Gemäß § 71 Abs. 6 (erster Satz) BauVO müssen Fördergeräte von Aufzügen ohne Schachtverschalung so umwehrt sein, daß das Ladegut nicht abstürzen kann. Da diese Vorschrift sohin nur für Aufzüge "ohne Schachtverschalung" gilt, handelt es sich hiebei um ein wesentliches Tatbestandselement, welches im Sinne der ständigen hg. Rechtsprechung entsprechend dem Gebot des § 44a lit. a VStG 1950 in den Spruch aufzunehmen gewesen wäre, was jedoch unterblieb. Dies belastet den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Z. 6 des Spruches mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu deren Aufhebung führt.

ZU Z. 7 DES SPRUCHES:

Auch hier ist die Rechtsrüge des Beschwerdeführers im Ergebnis berechtigt: Mit dem spruchgemäßen bloßen Verweis auf eine (näher zitierte) Stelle einer nicht für verbindlich erklärten ÖNORM (vgl. dazu § 5 des Normengesetzes 1971, BGBl. Nr. 240) wird nämlich dem Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG 1950 (vgl dazu das Erkenntnis eines hg. verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. Nr 11.894/A) nicht Genüge getan. Dies führt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Aufhebung der Z. 7 des Spruches des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, ohne daß auf das weitere diesbezügliche Beschwerdevorbringen einzugehen war.

ZU Z. 8 DES SPRUCHES:

§ 71 Abs. 8 und 9 BauVO lauten:

(8) Bauaufzüge sind nach jeder neuerlichen Aufstellung vor ihrer Inbetriebnahme vom Dienstgeber durch eine fachkundige Person auf ihren betriebssicheren Zustand prüfen zu lassen, wobei auch die Bremse mit der Nutzlast zu erproben ist. Wird der Aufzug an einer Stelle länger als ein Jahr verwendet, ist die Prüfung zu wiederholen. Über das Ergebnis dieser Prüfung sind Vormerke zu führen.

(9) Sonstige gesetzliche Vorschriften, die sich auf Bauaufzüge beziehen, werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt.

§ 13 Z. I und II der Aufzugsverordnung vom 15. Juni 1943, RMinBl. S. 46 (vgl. dazu § 33 Abs. 2 Z. 9 ANschG) lauten:

I. Die nachstehend aufgeführten Aufzugsarten sind von dem Sachverständigen innerhalb der angegebenen Fristen regelmäßig zu untersuchen:

a) die im § 2 Nrn. 1 bis 4 genannten Personenaufzüge in längstens zweijährigen Fristen,

b) die im § 2 Nr. 5 genannten Lastenaufzüge in längstens vierjährigen Fristen,

c) die im § 2 Nrn. 6, 7 und 9 genannten Aufzüge in längstens sechsjährigen Fristen.

Bei diesen regelmäßigen Untersuchungen ist die Anlage in derselben Weise zu prüfen wie bei der Abnahme (§ 12 Abschnitt II).

Zwischen zwei regelmäßigen Untersuchungen sind die unter a und b genannten Aufzüge einer unvermuteten Besichtigung zu unterziehen, die sich auf den allgemeinen Zustand der Anlage, insbesondere der Tragmittel und der Tür- und Steuersicherungen, erstreckt.

Einer gleichen unvermuteten Untersuchung können die Sachverständigen die unter c aufgeführten Aufzüge zwischen je zwei regelmäßigen Prüfungen unterziehen.

II. Der Befund der Untersuchung ist von dem Sachverständigen in das Untersuchungsbuch einzutragen. Das Untersuchungsbuch ist von dem Aufzugsbesitzer unmittelbar am Betriebsort aufzubewahren und den zuständigen technischen Aufsichtsstellen jederzeit auf Verlangen vorzulegen.

Zunächst ist festzuhalten, daß die von der belangten Behörde im Spruch zitierte Vorschrift des § 71 Abs. 8 BauVO eine Aufbewahrung des Prüfungsergebnisses "auf der Baustelle" nicht verlangt. Die Bezugnahme auf diese Vorschrift war daher insoweit verfehlt. Aber auch die weitere, von der belangten Behörde zitierte Bestimmung des § 13 Z. II der Aufzugsverordnung vom 15. Juni 1943 vermag den spruchgemäßen Vorwurf nicht zu stützen. Diese Bestimmung umfaßt - wie sich aus dem Zusammenhang ergibt - nur solche Aufzüge, die in § 13 Z. I leg. cit. angeführt sind. Die in § 2 lit. c Z. 8 leg. cit. genannten "Bauaufzüge" sind aber von § 13 Z. I der Aufzugsverordnung nicht erfaßt. Daraus folgt, daß sich die belangte Behörde für den in Z. 8 des Spruches des angefochtenen Bescheides enthaltenen Vorwurf rechtens nicht auf die von ihr angeführten Bestimmungen zu stützen vermochte. Dies führt auch hinsichtlich der Z. 8 des Spruches gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

ZUR STRAFBEMESSUNG (hinsichtlich sämtlicher verbleibender Schuldsprüche):

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde seine Einkommens- und Familienverhältnisse in ausreichendem Maße berücksichtigt und ohnedies auf seine Unbescholtenheit Bedacht genommen. Der Umstand, daß der erwähnte Aufzug von einem "seriösen und verläßlichen" Unternehmer gemietet worden war, war allerdings schon im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer insoweit offenbar vernachlässigte Aufmerksamkeit (vgl. die obigen Ausführungen zu den Z. 3 und 4 des Schuldspruches) nicht als strafmildernd zu werten. Ein Überschreiten des Ermessensspielraumes durch die belangte Behörde bei der Strafbemessung ist nicht erkennbar. Die Beschwerde erweist sich sohin bezüglich der Strafbemessung (soweit die Schuldsprüche nicht aufzuheben waren) als unbegründet und war insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Artikel III Absatz 2.

Schlagworte

Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Arbeitsrecht Arbeiterschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991190024.X00

Im RIS seit

01.02.2001

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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