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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Jänner 1991, Zl. VII/2a-V-1452/1/3-91, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid (Spruchpunkt I) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Waidhofen an der Ybbs vom 19. Dezember 1990 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 6. Dezember 1990 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen das Straferkenntnis vom 2. November 1990 (betreffend Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften) gemäß den §§ 71 und 72 AVG 1950 abgewiesen.
Auf Grund der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung änderte die belangten Behörde mit Bescheid vom 16. Jänner 1991 den Spruch des erwähnten erstinstanzlichen Bescheides vom 19. Dezember 1990 dahin, daß der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG 1950 als verspätet eingebracht zurückgewiesen werde (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das zitierte Straferkenntnis vom 2. November 1990 als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II).
In der Begründung zu Spruchpunkt I wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nach gültiger Zustellung des Straferkenntnisses (7. November 1990) die Berufung erst am 22. November und somit verspätet zur Post gegeben. Mit diesem Umstand durch das Schreiben der Behörde vom 27. November 1990, zugestellt am 4. Dezember 1990, konfrontiert, habe der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 6. Dezember 1990 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Selbst wenn man aber den Standpunkt des Beschwerdeführers, es liege ein Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 vor, teilen sollte, ergebe sich folgendes: Das Hindernis zur rechtzeitigen Einbringung der Berufung gegen das Straferkenntnis habe in einem behaupteten Fehler einer Kanzleikraft, die die Berufung erst mit 22. November 1990 zur Post gegeben habe, bestanden. Ab diesem Zeitpunkt beginne allerdings die Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages zu laufen, woraus sich ergebe, daß der Antrag vom 6. Dezember 1990 verspätet sei. Daß der Beschwerdeführer auf diese Verspätung erst mit dem erwähnten Schreiben vom 27. November 1990 hingewiesen worden sei, vermöge daran nichts zu ändern. Selbst wenn man davon ausgehe, daß dem Beschwerdeführer die Tatsache der verspäteten Aufgabe der Berufung zuvor nicht bekannt gewesen sei, würde dieser Umstand kein Hindernis an der rechtzeitigen Wahrnehmung der bereits verflossenen Berufungsfrist, sondern allenfalls ein Hindernis an der rechtzeitigen Stellung des Wiedereinsetzungsantrages darstellen. Gegen die Versäumung dieser Frist - aus welchen Gründen und Hemmnissen auch immer - sei aber eine neuerliche Wiedereinsetzung unzulässig, was auch nicht beantragt worden sei. Da die Berufung "eingeschrieben" aufgegeben worden sei und der Parteienvertreter somit über einen Einschreibnachweis mit Aufgabedatum verfügen müsse, sei aber sogar davon auszugehen, daß ihm die verspätete Postaufgabe bekannt sein hätte müssen, falls er sich - was sicherlich zumutbar sei - zumindest im Rahmen einer "Nachkontrolle" von der rechtzeitigen Aufgabe wichtiger fristgebundener Schriftstücke überzeuge. Sei eine solche Kontrolltätigkeit nicht erfolgt, wäre ihm ein Verschulden anzulasten, welches ausschließe, daß weiterhin ein Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 anzunehmen sei, sodaß die Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages zu laufen beginne.
Gegen diesen Bescheid, und zwar - wie sich aus dem Beschwerdepunkt und dem übrigen Beschwerdevorbringen eindeutig ergibt - allein gegen dessen Spruchpunkt I, richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 2 (erster Fall) AVG 1950 muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses gestellt werden. Diese Frist ist bei verspäteter Einbringung eines Rechtsmittels ab Kenntnis der Verspätung zu berechnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1983, Slg. Nr. 11 109/A, nur Rechtsatz). Von einer solchen "Kenntnis" ist allerdings bereits dann auszugehen, sobald die Partei (bzw. deren Vertreter) die Verspätung des Rechtsmittels bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen konnte und mußte (vgl. zu § 71 Abs. 2 AVG 1950 das hg. Erkenntnis vom 7. März 1990, Zl. 90/03/0030, und zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 46 Abs. 3 VwGG 1965 die hg. Beschlüsse vom 30. März 1979, Zlen. 635, 636/79, und vom 15. April 1980, Zl. 652/80).
Ausgehend von dieser Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes kann der offenbaren Ansicht der belangten Behörde, die Frist für die Stellung des gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrages habe bereits zu jenem Zeitpunkt begonnen, an welchem es der Vertreter des Beschwerdeführers unterlassen habe, die Postaufgabe einer "Nachkontrolle" zu unterziehen, nicht beigepflichtet werden. Es hieße nämlich das Maß der insoweit dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers obliegenden "gehörigen Aufmerksamkeit" zu überspannen, wollte man ihm abverlangen, anhand des Postaufgabescheines nachträglich die rechtzeitige Aufgabe der Sendung zu überprüfen. So hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. September 1990, Zl. 89/03/0213) zum Ausdruck gebracht, daß der Rechtsvertreter "rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken" ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen darf.
Die belangte Behörde hat daher mit ihrer Rechtsanschauung, der Beschwerdeführer habe aus den von ihr dargelegten Gründen den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verspätet eingebracht, die Rechtslage verkannt. Dies führt - da die belangte Behörde keine anderen Umstände für die Kenntnisnahme der Verspätung der Berufung durch den Beschwerdeführer vor der einwöchigen Frist des § 71 Abs. 2 AVG 1950 ins Treffen zu führen vermag - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Aufhebung des Spruchpunktes I des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, hinsichtlich des Schriftsatzaufwandersatzes beschränkt durch den Umfang des Antrages.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190084.X00Im RIS seit
27.05.1991Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010