TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/27 91/19/0030

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Veröffentlicht am 27.05.1991
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

AAV §29 Abs2;
AAV §35 Abs1;
Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche §2 Abs2;
Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche §8 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Kral, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. Dezember 1990, Zl. MA 63 - R 5/90/Str., betreffend Übertretungen von Arbeitnehmerschutzbestimmungen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretungen nach

1. § 35 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung AAV und 2. § 8 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 der Verordnung vom 2. Oktober 1981 über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl. Nr. 527, (VO) bestraft, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen Berufener einer näher bezeichneten Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Arbeitgeberin zu verantworten habe, "daß am 3. Mai 1989, ca. 16.45 Uhr in Wien,

1. ein bewegter Teil einer Betriebseinrichtung, die der Bearbeitung von Stoffen bzw. Werkstücken diente, nämlich der Umsetzer an der Tubenlackiermaschine TMC 150, Baujahr 1988, Band 4, Abteilung Metalltubenproduktion, der durch Bewegung der Umsetzvorrichtung zum Wendebolzen und die Drehbewegung der Wendeeinrichtung eine Gefahrenstelle bildet, nicht durch eine Schutzvorrichtung gegen gefahrbringendes Berühren gesichert war, und

2. die Jugendliche A, geb. 21. Juli 1971, bei dieser Tubenlackiermaschine TMC 150, bei der durch den motorischen Antrieb und durch eine Drehbewegung der Wendeeinrichtung sowie eine horizontale Hubbewegung (hin und her) des Umsetzers und fehlende Sicherung des Umsetzers gegen gefahrbringendes Berühren eine besondere Gefahr von Verletzungen gegeben war, beschäftigt wurde."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 29 Abs. 1 erster Satz AAV dürfen Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel nur zu dem Zweck verwendet werden, für den sie nach Angabe des Erzeugers oder des Vertreibers geeignet sind oder der sich aus ihrer Bauart, Ausführung und Funktion als üblich ergibt.

Gefahrenstellen an Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmittel müssen gemäß § 29 Abs. 2 AAV durch Schutzvorrichtungen oder Schutzmaßnahmen anderer Art so gesichert sein, daß bei umsichtiger Verrichtung der Arbeit ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht wird.

§ 35 Abs. 1 AAV sieht vor, daß bewegte Teile von Betriebseinrichtungen, die der Bearbeitung, Verarbeitung, Herstellung oder Zuführung von Stoffen oder Werkstücken dienen, wie Werkzeuge, sowie bewegte Werkstücke, die Quetsch-, Scher-, Schneid-, Stich-, Fang-, Einzugs- oder andere Gefahrenstellen bilden, durch Schutzvorrichtungen gegen gefahrbringendes Berühren gesichert sein müssen, soweit dies der jeweilige Arbeitsvorgang zuläßt. Dies gilt auch bei Einstell- und Nachstellarbeiten, die an in Gang befindlichen Betriebseinrichtungen durchgeführt werden müssen.

Sofern Gefahrenstellen nach § 35 Abs. 1 AAV nicht durch Schutzvorrichtungen gesichert sind, müssen nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung Schutzmaßnahmen anderer Art getroffen sein, die ein gefahrbringendes Ingangsetzen oder Berühren bewegter Teile verhindern oder deren Stillsetzen bewirken, wie Sicherungen mit Annäherungsreaktion, abweisende Einrichtungen, Schalteinrichtungen ohne Selbsthaltung oder selbsttätig und sofort wirkende Notausschaltvorrichtungen.

Gemäß § 2 Abs. 2 erster Satz VO dürfen Jugendliche unter anderem mit den oder bei den in den §§ 4 bis 9 angeführten Arbeiten nicht beschäftigt werden, sofern nicht anderes bestimmt wird. Gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 VO gehört die Bedienung von motorisch betriebenen Maschinen, an denen durch Werkzeuge, durch rotierende, auf und ab oder hin und her bewegte Teile sowie durch einlaufende Rollen, Walzen, Schnecken, Zahnräder oder ähnliche Teile eine besondere Gefahr von Verletzungen gegeben ist, unbeschadet einer allfälligen bescheidmäßigen Verfügung gemäß § 10 Abs. 1 dieser Verordnung, zu den Arbeiten nach § 2 Abs. 2.

Gemäß § 8 Abs. 2 VO gelten die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen nach Abs. 1 nicht, wenn durch geeignete Maßnahmen die an den Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmitteln bestehenden typischen Unfallgefahren beseitigt sind.

Die dem Beschwerdeführer im Punkt 1. des mit dem angefochtenen Bescheid übernommenen Spruches des erstinstanzlichen Straferkenntnisses angelastete Verwaltungsübertretung nach § 35 Abs. 1 AAV setzt voraus, daß die in dieser Bestimmung umschriebenen Gefahrenstellen nicht durch Schutzvorrichtungen gegen gefahrbringendes Berühren gesichert sind. Bei den abzusichernden Gefahrenstellen muß es sich um solche handeln, die bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der jeweiligen Betriebseinrichtung im Sinne des § 29 Abs. 1 erster Satz AAV gegeben sind, wozu gemäß § 35 Abs. 1 zweiter Satz AAV auch Einstell- und Nachstellarbeiten gehören, die an in Gang befindlichen Betriebseinrichtungen durchgeführt werden müssen. Bei REPARATUREN an einer Betriebseinrichtung, die nicht den in der letztgenannten Bestimmung angeführten Einstell- und Nachstellarbeiten zugeordnet werden können, sind nach § 35 Abs. 1 AAV keine Schutzvorrichtungen erforderlich. Der gegenteiligen, in der Gegenschrift aus dem "Sinn und Zweck" der AAV abgeleiteten Auffassung der belangten Behörde steht nicht nur der Wortlaut des § 35 Abs. 1 AAV, sondern auch die grundsätzliche Bestimmung des § 29 Abs. 2 AAV entgegen, der zufolge ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch Schutzvorrichtungen oder Schutzmaßnahmen anderer Art BEI UMSICHTIGER VERRICHTUNG DER ARBEIT zu erreichen ist.

Auf dem Boden dieser Rechtslage ist es für die Frage, ob im Beschwerdefall ein Verstoß gegen § 35 Abs. 1 AAV vorlag, entscheidend, ob die im angefochtenen Bescheid umschriebene Gefahrenstelle als eine solche - ohne Absicherung durch Schutzvorrichtungen gegen gefahrbringendes Berühren - bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Betriebseinrichtung oder bei Einstell- und Nachstellarbeiten, die an der in Gang befindlichen Betriebseinrichtung durchgeführt werden müssen, in Erscheinung getreten ist. Ob dies zum Tatzeitpunkt der Fall war, läßt sich der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnehmen. Darin wurde dem in der Berufung erhobenen Einwand des Beschwerdeführers, daß die Schutzvorrichtung wegen einer Maschinenstörung habe entfernt werden müssen und daß statt dessen ein Warnzeichen ertönt sei, entgegengehalten, daß dann, wenn die an sich vorhandene Schutzvorrichtung wegen einer Maschinenstörung entfernt werden mußte, im Sinne des § 35 Abs. 2 AAV Schutzmaßnahmen anderer Art hätten getroffen werden müssen, wobei ein akustisches Warnzeichen allein nicht genügt hätte. Dieses Argument geht an der Sache vorbei, weil dem Beschwerdeführer ein Verstoß gegen § 35 Abs. 2 AAV nicht zur Last gelegt worden war; die oben aufgeworfene, für die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes wesentliche Frage bleibt damit offen.

Gleiches gilt für die dem Beschwerdeführer im Punkt 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vorgeworfene Verwaltungsübertretung. Auch hier kommt es für ein Beschäftigungsverbot gemäß § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Z. 1 VO darauf an, ob die besondere Verletzungsgefahr im Sinne der letztgenannten Bestimmung bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Maschine gegeben ist, wobei das Beschäftigungsverbot gemäß § 8 Abs. 2 VO nicht gilt, wenn durch geeignete Maßnahmen die an der Maschine bestehende typische Unfallgefahr beseitigt ist. Auch diese Fragen lassen sich aufgrund der von der belangten Behörde getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht eindeutig beurteilen.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das auf den Ersatz nicht erforderlicher Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen. Für die Äußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde gebührt kein Schriftsatzaufwand.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991190030.X00

Im RIS seit

27.05.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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