TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/4 90/11/0206

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Veröffentlicht am 04.06.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1 idF 1988/455;
KDV 1967 §31 Abs2;
KDV 1967 §31a Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des X gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 19. September 1990, Zl. 11-39 Schi 4-89, betreffend Erteilung einer Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 19. September 1990 wurde der (mit 12. September 1989 datierte und bei der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung am 13. September 1989 eingelangte) Antrag des Beschwerdeführers auf "Verlängerung der Gültigkeit des Führerscheines" (gemeint seiner bis 11. Oktober 1989 befristeten Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B) abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

    Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hat sich

die belangte Behörde bei Beurteilung der Berechtigung des

zugrundeliegenden Antrages des Beschwerdeführers - bei dem es

sich um einen solchen auf Erteilung der Lenkerberechtigung für

die Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der befristeten

Lenkerberechtigung handelte (vgl. das Erkenntnis des

Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 1990, Zl. 90/11/0173,

mit weiteren Judikaturhinweisen) - dem amtsärztlichen Gutachten

vom 20. Juni 1990 vollinhaltlich angeschlossen und

dementsprechend die Auffassung vertreten, daß der

Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A

und B "geistig und körperlich" nicht geeignet sei. Im

Befundteil dieses Gutachtens wurde, soweit dies für den

vorliegenden Beschwerdefall von Bedeutung sein kann, vorerst

folgendes festgehalten: ".......... Alkohol nach eigenen

Angaben 'gelegentlich' ......... Leber am Rippenbogen

vergrößert tastbar ....... Finger-Zeigeversuche unsicher und

tremorbetont; auffällig erscheinen Liderzittern,

Conjunctivitis, Handschweiß und feinschlägiger

Fingerspitzentremor. Parany-Bewegungsabläufe sind ausfahrend

und schwankend. In der Exploration unruhig und zunehmend

nervös, unsicher und ausfahrend, hinsichtlich einer

Alkoholkarenz völlig realitätsfremd und wenig kooperativ. Nach

den Blutbefunden vom 24.1.1990 erscheinen die Leberwerte im

Normbereich, jedoch kann von keiner dauerhaften Stabilisierung

gesprochen werden, da Harnsäure und Triglyceride im

pathologischen Stoffwechselbereich liegen. ...... Mit Eingang

am 29.5.1990 sind Leberkontrollwerte eingelangt, die für den 18.5.1990 im Normalbereich zu liegen scheinen. Nach einer aktuellen verkehrspsychologischen Untersuchung vom 21.5.1990, eingelangt am 1.6.1990, zeigt sich hinsichtlich der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen folgendes Bild:

Beim Test der Beobachtungsfähigkeit zeigen sich im Linienlabyrinthtest keine Normalabweichungen, die Ergebnisse des Tachistokoptests sind mit 45:32 normgerecht. Die Reaktionszeit im Reaktionsverhaltenstest zeigt signifikant verlängerte mittlere Reaktionszeiten, wobei nur die mittlere Entscheidungszeit im Normbereich liegt. Die Reaktionssicherheit zeigt nach dem Test mit dem Wr. ERM-Gerät mit einem Entscheidungsfehler keine Normabweichungen, so auch beim Test der Konzentrationsfähigkeit mit Meili und Q1 Test. Die Koordination der Muskelbewegungen ist 'weitgehend unauffällig'. Deshalb wird das Ergebnis der Barany-Bewegungsabläufe besonders zu beachten sein. Der Belastbarkeitstest hat sich gegenüber dem Vorbefund vom 6.10.1989 gebessert, doch hinsichtlich seiner unkritischen Selbstwahrnehmung, erhöhten Tendenz zu aggressiver Interaktion im Straßenverkehr, erhöhter psychischer Alkoholgefährdung sowie Selbstbewußtsein und reduziertem sozialen Verantwortungsbewußtsein ist dieses Ergebnis der fahrverhaltensrelevanten Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen im Verein mit dem Ergebnis der durchgeführten Exploration besonders zu beachten. Wenn der Berufungswerber auch vor Jahren ein Einstellungs- und Verhaltenstraining für alkoholauffällige Kraftfahrer genossen hat, so war dies von geringer Wirkung, wie dies durch die Äußerungen des Berufungswerbers in der Exploration zu erkennen war. Dies bestätigt auch die gutächtliche Zusammenfassung des Verkehrspsychologen, welcher dem Berufungswerber keine Eignung aus verkehrspsychologischer Sicht bescheinigt. Wenn auch die Leberwerte vom 18.5.1990 eine Günstigkeit ausweisen, ist in der Gesamtschau keine positive Beurteilung zu erwarten."

Abschließend heißt es darin: "Zustand nach Alkoholmißbrauch mit fallweisen Abstinenzbemühungen. Nach den Ergebnissen der Untersuchung, Exploration und den Teilbefunden einer verkehrspsychologischen Untersuchung vom 21.5.1990 erscheint der Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B körperlich und geistig derzeit 'nicht geeignet'".

Demnach kann nicht davon ausgegangen werden, daß die belangte Behörde die Annahme der mangelnden Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der betreffenden Gruppen darauf gestützt hat, es liege bei ihm gemäß § 34 Abs. 1 lit. d KDV 1967 "Alkoholabhängigkeit oder chronischer Alkoholismus" vor und er besitze daher nicht die für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften nötige Gesundheit im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 2 lit. c dieser Verordnung; diesbezüglich hätte es im Hinblick auf die Bestimmung des § 34 Abs. 3 dieser Verordnung auch der Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt bedurft. Es ergibt sich daraus vielmehr, daß diese Annahme ausschließlich auf Umständen beruht, die gemäß § 67 Abs. 2 letzter Satz KFG 1967 in Verbindung mit den §§ 30 Abs. 1 zweiter Satz, 31a KDV 1967 in den Bereich der Verkehrspsychologie fallen, also mit der Beurteilung der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit bzw. Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zu tun haben (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143). Was allerdings die Beurteilung der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers anlangt, so läßt der angefochtene Bescheid nicht hinreichend erkennen, ob dem Beschwerdeführer auch aus diesem Grunde die neuerliche Erteilung einer Lenkerberechtigung versagt wurde. Es fehlt hiefür auch eine entsprechende Begründung, weil in diesem Zusammenhang lediglich ein Mangel hinsichtlich der Reaktionszeit festgestellt wurde, wobei aber "die mittlere Entscheidungszeit im Normbereich liegt", sodaß daraus noch nicht zwangsläufig abzuleiten ist, daß dieser Mangel eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens im Sinne des § 30 Abs. 1 KDV 1967 und damit eine Gefährdung der Verkehrssicherheit erwarten läßt. Auch der (im amtsärztlichen Gutachten verwertete) verkehrspsychologische Befund vom 29. Mai 1990 konstatiert dazu lediglich, daß dieses Ergebnis "gegenüber der letzten verkehrspsychologischen Untersuchung" des Beschwerdeführers (der Aktenlage nach am 6. Oktober 1989) "eine Verbesserung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit" bedeute, kam jedoch zum Ergebnis, daß aus den weiters angeführten Gründen eine "ausreichende Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nach wie vor zur Zeit nicht angenommen werden kann".

Hinsichtlich der Beurteilung der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, die lediglich die geistige (nicht aber auch die körperliche) Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgeführt, daß - wie dies ebenso bei Beurteilung der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit zutrifft - der verkehrspsychologische Befund, bei dem das Hauptgewicht einer solchen Beurteilung liegt, festzuhalten hat, welche Untersuchungsverfahren tatsächlich angewendet wurden, welche Ergebnisse sie erbracht haben und welche Schlußfolgerungen daraus im einzelnen gezogen wurden. Wenn sich daher dem verkehrspsychologischen Befund nicht entnehmen läßt, welche Ergebnisse die einzelnen Untersuchungsverfahren erbracht haben und welchen Untersuchungsmethoden in Verbindung mit den jeweils ermittelten Ergebnissen welche Aussagekraft zukommt, sodaß nicht nachvollziehbar ist, wie die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle zu dem von ihr angenommenen Ergebnis gelangt ist, so mangelt es an einer entsprechenden Entscheidungsgrundlage für die Annahme, der betreffenden Person fehle die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (vgl. u.a. außer dem bereits erwähnten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143, noch jenes vom 30. April 1991, Zl. 90/11/0153). Mit eben diesem Verfahrensmangel ist auch der angefochtene Bescheid belastet. Der ihm (mittelbar durch Aufnahme in das amtsärztliche Gutachten) zugrundeliegende verkehrspsychologische Befund vom 29. Mai 1990 hält zwar in dem betreffenden Abschnitt folgendes fest:

"F-R-F keine eignungsausschließenden Befunde

V-I-P erhöhte Werte in den Skalen US und AI

KFP 30 Prozentwert: 51

ATV A = 14 von 24 Punkten

    L =  7 von 17 Punkten

8 PF-Test verminderte Werte in den Faktoren G und O

Unkritische Selbstwahrnehmung, erhöhte Tendenz zu aggressiver

Interaktion im Straßenverkehr, erhöhte psychische

Alkoholgefährdung, reduziertes soziales

Verantwortungsbewußtsein, erhöhte Selbstsicherheit".

Es werden überdies in der Zusammenfassung abschließend den einzelnen Untersuchungsergebnissen, soweit sie zu seinen Lasten gehen, gewisse Schlußfolgerungen in Ansehung der "fahrverhaltensrelevanten Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale" des Beschwerdeführers zugeordnet. Abgesehen davon, daß nicht dargetan wird, welche Aussagekraft dem Umstand zukommt, daß das Verfahren F-R-F "keine eignungsausschließenden Befunde" und das Verfahren KFP 30 einen "Prozentwert: 51" erbracht haben, scheinen aber (auch im übrigen) entweder überhaupt nicht die konkret erzielten Untersuchungsergebnisse auf, sondern ist nur die Rede von "erhöhten" bzw. "verminderten Werten" in bestimmten "Skalen" bzw. "Faktoren", oder es wurden zumindest solche Ergebnisse (beim Verfahren ATV) näher anzugebenden Normwerten (mit der Erklärung, worauf diese beruhen) nicht gegenübergestellt. Es können daher die darin getroffenen Schlußfolgerungen objektiv nicht nachvollzogen werden.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch weiters auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten Auswertung fremder Befunde Gutachten Beweiswürdigung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110206.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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