TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/5 91/18/0027

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Veröffentlicht am 05.06.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

VwGG §48 Abs1 lita;
VwGG §48 Abs1 Z1 impl;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):91/18/0028

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Christoph N gegen die Bescheide je vom 24. Juli 1990, 1) des Landeshauptmannes von Wien, Zl. MA 70-10/1887/89/Str, betreffend Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967, 2) der Wiener Landesregierung, Zl. MA 70-10/1888/89/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Es haben dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der folgenden Höhe binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen:

Der Bund S 5.560,--,

die Bundeshauptstadt (Land) Wien S 5.560,--.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit den gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheiden des Landeshauptmannes von Wien und der Wiener Landesregierung je vom 24. Juli 1990 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 6. Jänner 1988 um 17.55 Uhr in Wien 14, Hauptstraße, Höhe Albert Schweitzer-Gasse, Richtung Linzer Straße 1) ein als Kleinmotorrad anzusehendes Kraftfahrzeug mit bestimmtem Kennzeichen gelenkt, obwohl es bloß als Motorfahrrad zugelassen und haftpflichtversichert gewesen sei, 2) dieses Kraftfahrzeug gelenkt, ohne im Besitze einer gültigen Lenkerberechtigung gewesen zu sein, 3) als Lenker dieses Kraftfahrzeuges die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten. Er habe hiedurch folgende Verwaltungsübertretungen begangen: Zu 1) jene nach § 36 lit. a des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG), zu 2) jene nach § 64 Abs. 1 KFG (hinsichtlich dieser beiden Übertretungen erging die Berufungsentscheidung des Landeshauptmannes), zu

3) jene nach § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) (hinsichtlich dieser Übertretung erging die Berufungsentscheidung der Landesregierung). Es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt.

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluß vom 27. November 1990, Zl. B 1133, 1134/90 die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die beiden belangten Behörden haben in Gegenschriften die Abweisung der Beschwerde beantragt; die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens wurden vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Berufungsbehörden hatten die Tatfrage zu lösen, ob der Beschwerdeführer mit dem Kraftfahrzeug zur Tatzeit am Tatort die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit (gemäß § 20 Abs. 2 StVO 50 km/h, wenn nicht anderes verordnet) überschritten habe, weil sich aus einer solchen Feststellung notwendigerweise ergeben hätte, daß das Kraftfahrzeug nicht mehr der Definition des § 2 Z. 14 KFG (Motorfahrrad mit einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 40 km/h bei einer Belastung von 75 kg) entsprochen hätte. Der Beschwerdeführer wirft den beiden belangten Behörden mit Recht Verletzung von Verfahrensvorschriften vor.

Die belangten Behörden gehen einerseits (je Seite 4 der angefochtenen Bescheide) von der Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers aus, eine technische Überprüfung des Fahrzeuges durch den ÖAMTC und durch die Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge (Gutachten der letzteren Anstalt vom 9. Februar 1988) hätten ergeben, daß das Fahrzeug bei der Überprüfung eine Höchstgeschwindigkeit von lediglich 42 km/h hätte erreichen können. Andererseits lassen sie dahingestellt, daß das Kraftfahrzeug, vor dem Tattag 6. Jänner 1988 von drei vom Beschwerdeführer verschiedenen Personen gelenkt, jeweils nicht schneller als mit 40 km/h gefahren sei. Die belangten Behörden stellen in den Vordergrund ihrer Erwägungen zur Tatfrage, daß technische Veränderungen am Kraftfahrzeug jeweils "in kürzester Zeit" (so je Seite 4 der angefochtenen Bescheide) hätten stattfinden können. Über die Dauer dieses Begriffes "in kürzester Zeit" schweigen die beiden Bescheide. Ferner gehen die belangten Behörden (je Seite 5 der angefochtenen Bescheide) davon aus, es könnte kein Zeuge zuverlässig bestätigen, daß nach dem Vorfall keine technischen Veränderungen am Fahrzeug vorgenommen worden seien (Rückgängigmachen des Auffrisierens), da solche Veränderungen eben binnen kürzester Zeit hätten durchgeführt werden können, und zwar auch noch auf der Straße, bevor also das Fahrzeug, wie der Beschwerdeführer behauptete, in einer Garage versperrt worden sei. Es sei nicht anzunehmen, so die beiden angefochtenen Bescheide, daß die vom Beschwerdeführer geführten Zeugen das Fahrzeug vom Tatzeitpunkt an über die ganze Nacht und am Vormittag des nächsten Tages ununterbrochen beobachtet hätten.

Den belangten Behörden ist zunächst vorzuwerfen, daß sie - ohne ihre eigene diesbezügliche technische Fachkenntnis darzutun, da zu diesen Fragen kein Amtsachverständiger gehört wurde - einerseits annahmen, die technischen Veränderungen hätten in "kürzester Zeit" stattfinden können, andererseits, diese Veränderungen hätten auf einer Straße - also nicht notwendigerweise in einer Werkstatt - durchgeführt werden können. Mangels Darlegung des diesbezüglichen technischen Fachwissens, dessen es zur Aufstellung dieser Behauptungen bedurft hätte, konnten die belangten Behörden solche Feststellungen ohne Anhörung eines Amtssachverständigen nicht treffen.

Der Beschwerdeführer führte in seinem Schriftsatz vom 17. August 1989 für die Behauptung, nach dem Tatzeitpunkt - und offenbar bis zur technischen Überprüfung des Fahrzeuges - hätten keine Veränderungen am Fahrzeug stattgefunden, die Zeugen Robert D, Dr. Walter N und Theresia N. Die beiden letztgenannten Zeugen sollten auch Angaben über die bestimmte Art der versperrten Verwahrung des Fahrzeuges nach dem Tatzeitpunkt machen. Die belangten Behörden taten diesen Beweisantrag mit der Wendung ab, "es sei nicht anzunehmen", daß die Zeugen das Fahrzeug vom Tatzeitpunkt an bis zur Verbringung zum ÖAMTC ununterbrochen beobachtet hätten. Diese Annahme stellt aber einen Akt vorwegnehmender Beweiswürdigung dar (zur Unzulässigkeit dieser vergleiche die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. Erkenntnis vom 23. Mai 1984, Zl. 84/03/0005, und die dort genannte weitere Judikatur). Es steht den belangten Behörden zufolge des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung frei, diesen vom Beschwerdeführer geführten Zeugen die Glaubwürdigkeit abzusprechen, aber wohl nur erst dann, wenn sie als Zeugen gehört worden sind.

Durch die Unterlassung der genannten Beweisaufnahmen haben die belangten Behörden Vorschriften des Verwaltungsverfahrens verletzt, bei deren Einhaltung sie zu anderen Bescheiden hätten kommen können.

Zum Hinweis der belangten Behörden auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. März 1989, Zl. 88/11/0036, ist zu sagen, daß dieses Erkenntnis und das nunmehr zu fällende nicht dieselbe Rechtssache betreffen und daß im zeitlich früheren Erkenntnis keine Rechtssätze ausgesprochen wurden, die für den erkennenden Senat bindend im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG wären. Dies deshalb, weil im zeitlich ersten Verfahren der Verwaltungsgerichtshof gemäß dem damals noch anzuwendenden § 41 Abs. 2 VwGG aus eigenem den Sachverhalt unter Bedachtnahme auf § 36 Abs. 9 VwGG festzustellen hatte. Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsgerichtshof keine eigenen Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, sondern die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der belangten Behörden, insbesondere im Hinblick auf die behaupteten Verfahrensverletzungen, zu prüfen.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers war aus folgenden Gründen abzuweisen: Die Umsatzsteuer ist im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits enthalten (siehe die Entscheidungen bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 697/3); Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne des § 48 Abs. 1 Z. 1 VwGG sind nicht entstanden, so daß der Beschwerdeführer für solche auch nicht aufzukommen hatte (vgl. die bei Dolp, a.a.O. S 683/6 genannten Entscheidungen; schließlich waren über den Schriftsatzaufwand für die Beschwerde hinaus für weitere Schriftsätze des Beschwerdeführers kein weiterer Aufwandersatz zuzuerkennen, weil § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG nur von jenem Aufwand spricht, der mit der Einbringung der Beschwerde selbst verbunden war.

Schlagworte

Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Barauslagen des VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991180027.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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