TE Vfgh Erkenntnis 1988/10/6 B911/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.1988
beobachten
merken

Index

L1 Gemeinderecht
L1030 Gemeindestruktur

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
Nö KStrVG 1971 §3 Abs6 Z5
Nö GdO 1973 §9

Leitsatz

NÖ KommunalstrukturverbesserungsG 1971; keine Bedenken gegen §3 Abs6 Z5 betreffend die Vereinigung der Gemeinden St. Martin und der Kleingemeinde Harmanschlag zur Gemeinde St. Martin im Hinblick auf das Gleichheitsgebot; sachlich vertretbare Prognoseentscheidung des Gesetzgebers im Zeitpunkt der Erlassung des Gesetzes

Spruch

1. Die von K P, H M und K H erhobenen Beschwerden werden zurückwiesen.

2. Die übrigen Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Bf. durch den bekämpften Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt wurden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) §3 Abs6 Z5 des Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes 1971, Nö. LGBl. 264 (im folgenden kurz: KStrVG), verfügt die Vereinigung der im politischen Bezirk Gmünd gelegenen Gemeinden St. Martin und Harmanschlag zur Gemeinde St. Martin. Die von der Vereinigung betroffenen Gemeinden haben gemäß §5 Abs1 KStrVG mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes - das ist seinem §9 zufolge der 1. Jänner 1972 - als eigene Gemeinden zu bestehen aufgehört.

b) Unter dem Datum 14. Dezember 1971 hat die Nö. Landesregierung den Bescheid Zl. II/1-285-1971, erlassen, dessen Spruch lautet:

"Gemäß §3 Abs6 Ziffer 5 des Kommunalstrukturverbesserungsgesetzes 1971, LGBl. Nr. 264, wurden die Gemeinden St. Martin und Harmanschlag zur Gemeinde St. Martin vereinigt.

Gemäß §6 Abs2 leg.cit. werden bis zur Angelobung des neu gewählten Bürgermeisters zur Besorgung der unaufschiebbaren

Geschäfte dieser Gemeinde bestellt:

         Zum Regierungskommissär: .......

         Zu Beiräten: ..... (es folgen sechs Namen)

         Das Beiratsmitglied ..... wird zum Stellvertreter des

Regierungskommissärs bestimmt.

         Die von der Gemeinde zu tragende Entschädigung des

Regierungskommissärs wird mit .... festgesetzt."

Von den Bf. wurden mit dem erwähnten Bescheid lediglich K P und H M zu Beiräten bestellt.

Mit Ausnahme des Bf. K H waren alle Bf. seinerzeit Mitglieder des Gemeinderates der Gemeinde Harmanschlag. K H war lediglich zweiter Ersatzmann auf der Parteiliste der SPÖ und ist auch nicht nachträglich gemäß §58 der NÖ Gemeindewahlordnung als Gemeinderat einberufen worden.

2.a) Gegen diesen Bescheid der Nö. Landesregierung vom 14. Dezember 1971 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte, am 20. April 1988 zur Post gegebene Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

b) Die Bf. begründen ihre Behauptung, im Gleichheitsrecht verletzt zu sein, ausschließlich damit, daß ihrer Meinung nach die im angefochtenen Bescheid angewendeten Bestimmungen des KStrVG gleichheitswidrig seien.

Sie regen an, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des den angefochtenen Bescheid materiell tragenden §3 Abs6 Z5 KStrVG sowie des §1 des Gesetzes über die Gliederung des Landes Niederösterreich in Gemeinden, LGBl. 1030-9, einzuleiten; die zuletzt genannte Gesetzesbestimmung habe den (durch die erstgenannte Vorschrift geschaffenen) - wie die Bf. meinen: verfassungswidrigen - Zustand "perpetuiert".

Unter Hinweis auf Vorjudikatur des VfGH bringen die Bf. vor, daß keine sachlichen Gründe für die verfügte Vereinigung von St. Martin und Harmanschlag vorgelegen seien. Wohl hätte Harmanschlag vor der Zusammenlegung unter 1.000 Einwohner gehabt. Dennoch sei die Vereinigung nicht erforderlich gewesen. Andere ebenso kleine Gemeinden seien selbständig gelassen worden. Die Zusammenlegung habe für die Harmanschlager keinerlei Vorteile, sondern nur Nachteile gebracht.

Die Entfernung zwischen den ehemaligen Gemeinden St. Martin und Harmanschlag betrage etwa 12 km. Um von einer Ortschaft zur anderen zu gelangen, müßten beachtliche Höhenunterschiede überwunden werden. Die Verkehrsverbindungen zwischen den zur neuen Gemeinde St. Martin zusammengeschlossenen Ortsteilen seien ungünstig. Die Gemeinde Harmanschlag sei durchaus lebensfähig gewesen; es habe vor der Zusammenlegung eine ordnungsgemäße Infrastruktur bestanden; insbesondere habe sie über gute Fremdenverkehrseinrichtungen verfügt; die Gemeinde sei finanziell leistungsfähig gewesen.

Diese Infrastruktur Harmanschlags habe sich nach der Gemeindezusammenlegung verschlechtert. Die Gemeindepolitik werde von St. Martin dominiert und zum Nachteil des Ortsteiles Harmanschlag betrieben. Dadurch sei die zukünftige Entwicklung Harmanschlags gefährdet. Es sei beabsichtigt, im Ortsteil St. Martin ein neues Volksschulgebäude zu errichten; nach dessen Vollendung sei damit zu rechnen, daß die in Harmanschlag bestehende Volksschule, die dzt. von insgesamt 25 Schülern besucht werde, geschlossen werde; dies wäre für die Harmanschlager Kinder sehr nachteilig. Die Situierung des Gendarmeriepostens, der Post und des Gemeindearztes habe sich für die Harmanschlager durch die Gemeindezusammenlegung nicht verbessert, sondern teilweise verschlechtert. Nach der sogenannten "Hauptdorfkarte" hätten seinerzeit keinerlei Beziehungen zwischen St. Martin und Harmanschlag bestanden. Die Gemeindezusammenlegung sei gegen den Willen der Bevölkerung erfolgt; die vor der Zusammenlegung getroffenen Vereinbarungen seien nicht eingehalten worden.

3.a) Die NÖ Landesregierung als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der begehrt wird, die Beschwerde - soweit sie nicht zurückgewiesen wird - als unbegründet abzuweisen.

Sie legt - ausführlich begründet - dar, daß im Jahr 1971 auch aufgrund internationaler Erfahrungen allgemein die Meinung vertreten wurde, die Kleingemeinden würden künftig nicht mehr in der Lage sein, den an sie gestellten Anforderungen zu genügen. Die bel. Beh. verweist darauf, daß dieses Thema bei dem im Jahre 1967 in Stockholm abgehaltenen Kongreß des Internationalen Gemeindeverbandes behandelt wurde (vgl. Schütz; Vereinigung oder Zusammenarbeit der Gemeinden; ÖGZ 22/1967, S 525 ff.).

Die bel. Beh. nimmt auch zum Tatsachenvorbringen der Bf. (s.o. I.2.b) Stellung und bestreitet es zum Teil.

b) Die Bf. replizierten darauf; sie bekräftigten darin ihre Meinung.

II. Der VfGH hat über die Zulässigkeit der Beschwerde erwogen:

1.a) Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, daß der angefochtene Bescheid vom 14. Dezember 1971 den Bf. K P und H M am 3. Jänner 1972 gültig zugestellt wurde. Die sechswöchige Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) war daher im Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung längst abgelaufen.

Die von ihnen erhobene Beschwerde war daher als verspätet zurückzuweisen.

b) Der Bf. K H war zum Zeitpunkt der Gemeindevereinigung nicht Mitglied des Gemeinderates, sondern schien lediglich als zweiter Ersatzmann auf der Liste der wahlwerbenden Partei SPÖ auf. Er hat durch die Auflösung des Gemeinderates der Gemeinde Harmanschlag also keine Funktion in der Gemeinde Harmanschlag verloren; in seine Rechtssphäre wurde durch den angefochtenen Bescheid also - anders als bei den Bf. die damals eine Gemeindefunktion bekleideten (s. den folgenden Pkt. 2) - nicht eingegriffen.

Die von ihm eingebrachte Beschwerde war sohin mangels Legitimation zurückzuweisen.

2. Die übrigen Bf. waren zum Zeitpunkt der Gemeindevereinigung Gemeinderäte der Gemeinde Harmanschlag. Ihnen war der angefochtene Bescheid niemals gültig zugestellt worden.

Die von ihnen erhobene Beschwerde ist zulässig (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des VfGH, zB VfSlg. 11372/1987, S 4 bis 6, und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

III. Der VfGH hat in der Sache selbst erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid wird vor allem auf die Bestimmung des §3 Abs6 Z5 KStrVG gegründet, von der die Bf. behaupten, sie sei gleichheitswidrig.

Auch der VfGH hat diese Vorschrift bei Beurteilung der vorliegenden Beschwerde anzuwenden. Daran ändert auch das nach Erlassung des Bescheides mit 1. Dezember 1978 in Kraft getretene Landesgesetz über die Gliederung des Landes NÖ in Gemeinden (Stammfassung: LGBl. 1030-0) nichts, in dem - anknüpfend an die bestehende Gemeindestruktur - festgestellt wird, in welche Gemeinden sich das Land NÖ gliedert. Ebensowenig ändert daran etwas der ArtII Z18 des Nö. Landesgesetzes vom 9. Juli 1981 (ausgegeben am 8. Oktober 1981, Jahrgang 1981, 119. Stück), LGBl. 1030-7, womit das Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetz 1971, LGBl. Nr. 264, idF LGBl. 1450-2, 1450-3, 1450-4 und 1450-5 aufgehoben wird. Für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides ist im gegebenen Zusammenhang nur wesentlich, ob die ihn tragende Bestimmung des KStrVG verfassungsmäßig war, nicht etwa auch (wie die Bf. meinen), ob das zitierte Gliederungsgesetz verfassungsmäßig ist (vgl. zB VfSlg. 10637/1985, S 471). Es kommt nämlich auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides an.

2. Bei Untersuchung der Frage, ob das KStrVG 1971 verfassungsmäßig war, ist ausschließlich der Zeitpunkt seiner Erlassung maßgebend, dies deshalb, weil dieses Gesetz eine einmalige Maßnahme zum Inhalt hat, nämlich die Vereinigung von Gemeinden zu verfügen (vgl. zB VfSlg. 8108/1977, S 527; 10637/1985, S 471). Der VfGH hat also auch heute nur zu untersuchen, ob die im Jahre 1971 vom Gesetzgeber angeordnete Gemeindezusammenlegung sachlich gerechtfertigt war. Der Gesetzgeber mußte damals die zukünftige Entwicklung, so insbesondere die Folgen der Gemeindevereinigung abschätzen. Bei Beurteilung durch den VfGH, ob diese Prognoseentscheidung vor dem Gleichheitsgebot bestehen kann, ist also auf das Jahr 1971 zurückzublicken, sohin nur auf jene Auswirkungen der Gemeindevereinigung abzustellen, die seinerzeit vom Gesetzgeber bei Abwägung aller maßgebenden Umstände erwartet werden durften. Die tatsächliche Entwicklung kann allenfalls eines der Hilfskriterien bei Lösung der Frage sein, ob die damals getroffene Prognose vertretbar war oder nicht.

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine gesetzlich angeordnete Änderung der Gemeindestruktur vor dem Gleichheitsgrundsatz bestehen kann, hat der VfGH in der erwähnten bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich ausgeführt, daß die Zusammenlegung einer Kleingemeinde von weniger als 1.000 Einwohnern mit einer anderen Gemeinde in der Regel sachlich ist. Die Prognose, daß durch Schaffung größerer Gemeinden im allgemeinen die Gemeindestruktur in Zukunft verbessert wird, ist jedenfalls im Jahre 1971 begründet gewesen. Ob dies auch heute noch (uneingeschränkt) zutrifft, muß nach dem vorhin Gesagten unerörtert bleiben.

Ausnahmen vom Grundsatz, daß die Auflösung einer Kleingemeinde sachlich begründet war, haben sich in jenen Fällen ergeben, in denen die Zusammenlegung einer Kleingemeinde - mit welcher anderen Gemeinde immer - auf Grund ganz besonderer Umstände vorhersehbarerweise völlig untauglich war, das angestrebte Ziel einer Kommunalstrukturverbesserung zu erreichen (wie etwa im Fall Alberndorf - VfSlg. 8108/1977, S 526 f., im Fall Hirschbach - VfSlg. 9793/1983, S 112 ff., im Fall Raach VfSlg. 9819/1983, S 215 ff. und im Fall Kasten/Stössing - VfSlg. 11372/1987); ferner in einem Fall, in dem eine Gemeinde mit räumlich nicht geschlossenem Gemeindegebiet neu geschaffen wurde, obgleich nicht ganz besondere Umstände dazu zwangen (siehe VfSlg. 9814/1983, S 194; Fall Hollern) und in einem Fall, in dem die Zusammenlegung der Kleingemeinde mit einer bestimmten anderen Gemeinde oder ihre Aufteilung auf mehrere bestimmte andere Gemeinden (siehe VfSlg. 9068/1981, Fall Gerersdorf) beispielsweise aus geographischen Gründen unter Bedachtnahme auf das Bestehen öffentlicher Verkehrsverbindungen voraussehbarerweise extrem unzweckmäßiger war als eine andere denkbare Zusammenlegung oder Aufteilung oder auch das Belassen der Gemeinde.

Die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit von Strukturänderungsmaßnahmen jeder Art ist von einer Vielzahl von Umständen abhängig. So gut wie niemals ist eine Situation so beschaffen, daß ausnahmslos alle in Ansehung einer bestimmten Maßnahme erheblichen Umstände für diese Maßnahme sprechen; immer liegen im Einzelfall auch Umstände vor, an denen gemessen sie nicht erforderlich, ja vielleicht sogar unzweckmäßig ist. Auch jede Änderung der Gemeindestruktur bewirkt deshalb - und zwar besonders für die unmittelbar davon Betroffenen - nicht nur Vorteile; es wird sich manches überhaupt nicht und manches sogar zum Nachteil ändern, dies oft allerdings nur vorübergehend. Das ist unvermeidlich und macht deshalb eine solche Maßnahme an sich noch nicht unsachlich. Strittig kann nur die Frage der (bloßen) Zweckmäßigkeit der getroffenen Regelung sein (vgl. zB VfSlg. 10637/1985, 11372/1987 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

3. Vor dem Hintergrund dieser ständigen Rechtsprechung des VfGH - gegen die die Verfahrensparteien im übrigen nichts einwenden - erweist sich das Vorbringen der Bf. als nicht zielführend:

Die Gemeinde St. Martin hatte im Jahre 1971 bloß 1055, die Gemeinde Harmanschlag 366 Einwohner. Harmanschlag war daher eine Kleingemeinde, gegen deren Auflösung nach dem Gesagten von Verfassungs wegen grundsätzlich nichts einzuwenden war.

Der Bevölkerungsstand war lange Zeit rückläufig.

Ganz besondere Umstände, die im Jahre 1971 trotz der geringen Einwohnerzahl für das Bestehenbleiben von Harmanschlag sprachen, hat das Verfahren nicht erbracht.

Ebensowenig hat sich ergeben, daß irgendwelche Umstände, mit denen der Gesetzgeber des Jahres 1971 rechnen mußte, dagegen sprachen, Harmanschlag gerade mit St. Martin zu vereinigen. Die Kerne der Ortschaften Harmanschlag und St. Martin liegen über Rörndlwies etwa 5 Straßenkilometer, über das Lainsitztal ca. 8 Straßenkilometer voneinander entfernt. Eine solche Distanz machte aber die Vereinigung noch nicht unsachlich; der Gesetzgeber konnte von der Erfahrung ausgehen, daß aufgrund der technischen Entwicklung (insbesondere wegen der vermehrten Verwendung von Autos oder anderen Verkehrsmitteln und Telephon auch im ländlichen Raum) die Kommunikation in den letzten Jahrzehnten wesentlich verbessert wurde und daher Entfernungen eine bedeutend geringere Rolle als bisher spielten. Die Nö. Landesregierung führt hiezu konkretisierend aus, daß es im Verwaltungsbezirk Gmünd pro 1000 Haushalte im Jahre 1961 148 PKW, 1971 491 PKW und 1981 815 PKW gab; diese Zahlen wurden nicht bestritten. Jedenfalls war es im Jahre 1971 durchaus vernünftig, diese Entwicklungstendenzen für die absehbare Zukunft fortzuschreiben (vgl. zB VfSlg. 9655/1983, 11629/1988).

Die Höhenunterschiede, die überwunden werden müssen, um von einer Stelle des Gebietes der neuen Gemeinde zu einer anderen Stelle zu gelangen, sind mit jenen nicht zu vergleichen, die im Gebirgsdorf Otterthal bestanden (vgl. VfSlg. 9819/1983, S 215 f.; 11629/1988).

Wenn sich die öffentlichen Verkehrsverbindungen nicht auf befriedigende Weise entwickelt haben, so hätte das der Gesetzgeber des Jahres 1971 zwar allenfalls vorhersehen können. Im Hinblick auf das oben Gesagte kommt aber diesem Umstand (der nur eines von vielen Elementen ist, die der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hatte) keine solche Bedeutung zu, daß deshalb die Gemeindezusammenlegung überhaupt zu unterlassen gewesen wäre.

Die Bf. weisen darauf hin, daß die Schulsituation eine von ihnen abgelehnte Entwicklung zu nehmen drohe. Auch wenn diese Bedenken zutreffen sollten, träfen sie nicht den Gesetzgeber des Jahres 1971; die verfügte Gemeindezusammenlegung zwingt zu der von den Bf. befürchteten Entwicklung nicht (vgl. auch hiezu VfSlg. 11229/1988).

Die sogenannte "Hauptdorfkarte" (die eine Entscheidungshilfe für den Gemeindestruktur-Gesetzgeber 1971 war) weist für Harmanschlag überhaupt keine "mäßig starke oder überwiegende Zuordnung" zu einer Gemeinde mit überörtlicher DG_2011ng aus. Eine - allerdings bloß "schwache" - Zuordnung zu einem höherrangigen Ort ist nur zu Großpertholz zu erkennen. Wie die Beschwerde selbst ausführt, erschien aber der Bevölkerung von Harmanschlag damals eine Vereinigung dieser Gemeinde mit Großpertholz noch nachteiliger als eine solche mit St. Martin. Wenn der Gesetzgeber 1971 die Gemeinde Harmanschlag auflösen wollte, hatte er also kaum eine andere Wahl, als sie mit St. Martin zusammenzulegen, das von Harmanschlag ungefähr gleich weit entfernt wie Großpertholz liegt.

Wenngleich Harmanschlag im Jahre 1971 eine an sich lebensfähige Gemeinde war, konnte der Nö. Landesgesetzgeber im Jahre 1971 begründet annehmen, daß die Vereinigung der Kleingemeinde Harmanschlag mit der Gemeinde St. Martin (die neue, vereinigte Gemeinde zählte dann nicht ganz 1.500 Einwohner) ein (noch) leistungsfähigeres Kommunalwesen als bisher gewährleisten werde.

Aus dem von der NÖ. Landesregierung vorgelegten Akt geht hervor, daß der Gemeinderat von Harmanschlag am 29. November 1970 mit Zweidrittelmehrheit beschlossen hat, sich (freiwillig) mit der Gemeinde St. Martin zu vereinigen. Zu diesem freiwilligen Gemeindezusammenschluß kam es allerdings nicht. Vielmehr wurde durch den wiederholt zitierten §3 Abs6 Z5 KStrVG 1971 mit 1. Jänner 1972 die ursprünglich beabsichtigte freiwillige Gemeindevereinigung kraft Gesetzes verfügt. Der erwähnte Gemeinderatsbeschluß kam offenkundig nur deshalb zustande, weil die Auflösung der Gemeinde Harmanschlag als unvermeidlich betrachtet wurde. Dieser Beschluß kann daher nicht dahin gedeutet werden, daß die demokratisch legitimierte Gemeindevertretung damals die Auflösung der Gemeinde Harmanschlag befürwortete, sondern nur dahin, daß - wenn schon eine Zusammenlegung der Gemeinde Harmanschlag mit einer anderen Gemeinde unvermeidlich sein sollte - jene mit St. Martin noch die erträglichste Lösung wäre.

Wenn die Harmanschlager Bevölkerung in der Folge in ihren in die Politik des Gemeinderates der neuen Gemeinde St. Martin gesetzten Erwartungen subjektiv enttäuscht worden sein sollte und selbst wenn sich diese Politik objektiv zum Nachteil des Ortsteiles Harmanschlag auswirken sollte (wie dies die Beschwerde behauptet), so könnte das allenfalls Anlaß für gemeindeaufsichtsbehördliche Maßnahmen sein; es könnte dies allenfalls auch dem Landesgesetzgeber oder dem Verordnungsgeber (§9 der Nö. Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-5) Anlaß bieten, die Kommunalstruktur neuerlich zu ändern; nicht aber würde dies bedeuten, daß die Prognoseentscheidung des Jahres 1971 als unsachlich zu bezeichnen wäre.

Diese Unzufriedenheit der Harmanschlager Bevölkerung mit der von ihr als für ihren Ortsteil als sehr nachteilig empfundenen Politik, wie sie von den Organen der neuen Gemeinde St. Martin seit 1971 geführt wurde, war offenbar auch die wesentlichste Ursache für den Ausgang einer im Jahre 1988 durchgeführten (inoffiziellen) Befragung der Harmanschlager Bevölkerung, bei der sich etwa 94 % für eine Trennung Harmanschlags von St. Martin aussprachen. Dem Gesetzgeber des Jahres 1971 kann aber - und nur darauf kommt es im gegebenen Zusammenhang an - nicht vorgeworfen werden, daß er diese Entwicklung der Gemeindepolitik hätte voraussehen müssen.

Im übrigen kommt es nur darauf an, daß der Gesetzgeber 1971 erwarten konnte, es würden sich aufgrund der Gemeindezusammenlegung für die Kommunalstruktur als Komplex betrachtet (also nicht bloß auf die Belange von Harmanschlag bezogen) Vorteile ergeben (vgl. zB VfSlg. 10637/1985; VfSlg. 11629/1988).

Als wesentliches Argument gegen die erfolgte Gemeindezusammenlegung bringen die Bf. vor, Harmanschlag sei eine Fremdenverkehrsgemeinde, St. Martin hingegen nicht; es seien also Gemeinden mit völlig unterschiedlicher Struktur vereinigt worden. Das Verfahren hat ergeben, daß Harmanschlag kein Ort ist, der über eine für eine typische Fremdenverkehrsgemeinde übliche bedeutende Hotelerie und Infrastruktur verfügt. Sollten die Bf. mit ihrem Vorbringen zum Ausdruck bringen wollen, daß eine finanziell stärkere und eine finanziell schwächere Gemeinde zusammengelegt worden seien, so sind sie auf die ständige Judikatur des VfGH (VfSlg. 9655/1983, S 198 und 10637/1985, S 474) zu verweisen, wonach dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

Zusammenfassend ergibt sich, daß der VfGH unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles weder gegen §3 Abs6 Z5 KStrVG noch gegen die anderen bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften verfassungsrechtliche Bedenken - etwa im Hinblick auf den Gleichheitssatz - hat.

4. Die Bf. behaupten nicht, daß bei Vollziehung des Gesetzes Fehler unterlaufen seien. Anhaltspunkte dafür hat das Verfahren auch sonst nicht ergeben.

Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht nicht verletzt worden.

5. Sie sind auch nicht in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war infolgedessen abzuweisen.

Sie war jedoch antragsgemäß nach Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abzutreten.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Gemeinderecht Zusammenlegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B911.1988

Dokumentnummer

JFT_10118994_88B00911_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten