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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art138 Abs1 litaLeitsatz
Art138 Abs1 lita B-VG; VerfGG §51; Zurückweisung eines Antrages auf Haftprüfung nach Art5 Abs4 MRK durch ein Gericht; Bestätigung der Zurückweisung der Berufung gegen die Anordnung des Strafvollzuges durch den BMJ - kein verneinender Kompetenzkonflikt mangels Identität des EntscheidungsgegenstandesSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1. Dr. F W K wurde mit Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Korneuburg vom 18. Dezember 1984, Z10 Vr 949/82, in Verbindung mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986, Z9 Os 76/85, wegen des Verbrechens des Mordes nach §75 StGB und wegen des Vergehens nach dem §36 Abs2 lita Waffengesetz schuldig erkannt und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
2. Wegen dieser Verurteilung brachte der Antragsteller bei der Europäischen Menschenrechtskommission eine Beschwerde nach Art25 MRK ein.
3.1. In Ansehung der über den Antragsteller verhängten Freiheitsstrafe ordnete das Kreisgericht Korneuburg am 8. Juli 1986 den Strafvollzug an.
Gegen die Strafvollzugsanordnung erhob der Antragsteller am 2. Juli 1987 Berufung, in der er geltend machte, er habe inzwischen eine Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission eingebracht; da diese Beschwerde aufschiebende Wirkung besitze, sei die Vollstreckung des Strafurteiles unzulässig, sodaß der Strafvollzug nicht angeordnet hätte werden dürfen. Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Juli 1987 wurde diese Berufung zurückgewiesen, weil es sich bei einer Strafvollzugsanordnung um keine Entscheidung handle, die materiell-rechtliche Wirkungen entfalte, sondern um eine bloße Mitteilung, die dazu diene, der Vollzugsanstalt amtlich die Daten zur Kenntnis zu bringen, welche für den Strafvollzug Bedeutung besitzen.
Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 11. Jänner 1988 keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Auch der Bundesminister für Justiz vertrat die Auffassung, daß es sich bei einer Strafvollzugsanordnung lediglich um eine Mitteilung des Gerichts an die Strafvollzugsanstalt handle, der jede normative Kraft fehle, sodaß die Berufung des Antragstellers zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden sei; das bedeute freilich nicht, daß die Erlassung der Strafvollzugsanordnung kein einer nachprüfenden Kontrolle nach §33 Abs2 StPO unterliegender Vorgang sei, denn das Gesetz könne unter Umständen schon durch die Mitteilung einer noch gar nicht vollstreckbaren Strafe unrichtig angewendet oder verletzt worden sein. In materiell-rechtlicher Hinsicht berufe sich der Antragsteller jedoch lediglich darauf - und das zu Unrecht -, daß einer Individualbeschwerde nach Art25 MRK aufschiebende Wirkung zukomme. Da entgegen der Auffassung des Antragstellers Beschwerden nach Art25 MRK nicht geeignet seien, die Vollstreckung eines damit bekämpften Strafurteiles aufzuschieben, sei der Berufung des Antragstellers der Erfolg zu versagen gewesen.
3.2. Mit Eingabe vom 12. Jänner 1988 stellte der Antragsteller des weiteren an das Kreisgericht Korneuburg den Antrag auf Einleitung eines Verfahrens nach Art5 Abs4 MRK und auf (vorläufige) Entlassung aus der Strafhaft bis zur Erledigung des von ihm eingeleiteten Beschwerdeverfahrens nach Art25 MRK.
Mit Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom 19. Feber 1988, Z10 Vr 949/82 Hv 5/84-1115, wurden diese Anträge zurückgewiesen.
Begründend wurde ausgeführt, schon aus dem Wortlaut des Art5 MRK ergebe sich, daß diese Bestimmung für den Fall anzuwenden sei, daß noch kein ordentliches Gericht mit der Sache befaßt gewesen sei. Das Verfahren, das der Antragsteller beantrage, habe er jedoch durch sein ordentliches Gerichtsverfahren bereits gehabt. Weder die Strafprozeßordnung noch das Strafvollzugsgesetz kenne eine Regelung, wonach aufgrund einer nach Art25 MRK erhobenen Beschwerde mit einer Enthaftung eines in Strafhaft Befindlichen vorgegangen werden könnte.
Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 30. März 1988 zurückgewiesen, da die Beschlüsse der Gerichtshöfe erster Instanz nur in den vom Gesetz angeführten Fällen anfechtbar seien und für den vorliegenden Fall eine Beschwerdelegitimation nicht vorgesehen sei.
4.1. Mit dem vorliegenden Antrag auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes wird unter Hinweis auf den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 11. Jänner 1988 und den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom 19. Feber 1988 geltend gemacht, daß beide beteiligten Behörden über den gleichen Verfahrensgegenstand, nämlich über ein auf Art5 Abs4 MRK gestütztes Begehren, den Antragsteller bis zur Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte aus der Strafhaft zu entlassen, eine Sachentscheidung abgelehnt hätten, woraus sich das Vorliegen eines verneinenden Kompetenzkonfliktes im Sinne des §46 Abs1 VerfGG ergebe. Aus den Gründen der Entscheidungen des Kreisgerichtes Korneuburg und des Bundesministers für Justiz ergebe sich aber, daß sich beide Behörden mit dem Sachantrag des Antragstellers meritorisch auseinandergesetzt und somit in Wahrheit eine Sachentscheidung getroffen hätten. Sollte aus diesem Grunde das Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes zu verneinen sein, so läge ein bejahender Kompetenzkonflikt im Sinne des §43 Abs1 VerfGG vor; für diesen Fall rege der Antragsteller - eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 11. Jänner 1988 sei beim VfGH anhängig - das amtswegige Einschreiten an.
Da die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für ein Verfahren nach Art5 Abs4 MRK bestehe, beantrage er auszusprechen, daß zur Entscheidung über seinen Antrag, ihn unter Anwendung des Art5 Abs4 MRK bis zur Entscheidung der bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte zu Appl. Nr. 12.350/86 eingebrachten Beschwerde nach Art25 MRK aus der Strafhaft zu entlassen, das Kreisgericht Korneuburg in erster Instanz zuständig sei; weiters begehre er, "die diesem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akte, nämlich den Beschluß des Kreisgerichtes KORNEUBURG vom 19. Februar 1988 und den Bescheid des Bundesministers für Jusitz vom 11. Jänner 1988 aufzuheben."
4.2. Das Kreisgericht Korneuburg und der Bundesminister für Justiz haben die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
5. Der Antrag ist nicht zulässig.
Ein verneinender Kompetenzkonflikt liegt nur dann vor, wenn zwei Behörden in derselben Sache angerufen wurden, beide Behörden die Entscheidung der Sache abgelehnt haben, aber eine zu Unrecht (vgl. VfSlg. 4554/1963). Dies kommt auch in der Bestimmung des §51 VerfGG dadurch zum Ausdruck, daß das Erkenntnis des VfGH über die Kompetenzfrage die Aufhebung der diesem Erkenntnis entgegenstehenden behördlichen Akte auszusprechen hat.
Voraussetzung eines negativen Kompetenzkonfliktes ist somit die Identität des Entscheidungsgegenstandes. Eine solche liegt in diesem Fall jedoch nicht vor. Mit Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom 19. Feber 1988 wurde ein Antrag auf Haftprüfung nach Art5 Abs4 MRK zurückgewiesen; mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 11. Jänner 1988 wurde der Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Juli 1987 bestätigt, mit der die Berufung des Antragstellers gegen eine Strafvollzugsanordnung zurückgewiesen wurde. Damit liegen den genannten Entscheidungen offensichtlich unterschiedliche Entscheidungsgegenstände zugrunde.
Da demnach mangels Identität des Entscheidungsgegenstandes ein verneinender Kompetenzkonflikt nicht vorliegt, war der Antrag gemäß §19 Abs3 Z1 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Schlagworte
VfGH / KompetenzkonfliktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:KI1.1988Dokumentnummer
JFT_10118994_88K00I01_00