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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §68 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des Yusuf N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19. November 1990, Zl. I/7-St-B-90279, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beging am 23. November 1988 als Lenker eines Kraftfahrzeuges eine Übertretung gemäß § 5 Abs. 1 (in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a) StVO 1960. Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 30. November 1988 wurde ihm gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B vorübergehend für die Dauer von vier Wochen entzogen.
Am 5. April 1990 beging der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges neuerlich eine Übertretung nach § 5 Abs. 1 (in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a) StVO 1960. Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 25. April 1990 wurde ihm deshalb gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B vorübergehend bis 5. Oktober 1990 entzogen.
Am 12. Juni 1990 beging der Beschwerdeführer als Lenker eines Motorfahrrades eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960. Mit Mandatsbescheid vom 9. Juli 1990 verbot ihm die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung gemäß § 75a lit. a KFG 1967 für die Zeit bis einschließlich 5. Oktober 1991 das Lenken von Motorfahrrädern.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19. November 1990 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm bis einschließlich 5. Oktober 1991 keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Ausgehend von dem oben dargestellten Sachverhalt vertrat die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, die am 12. Juni 1990 begangene Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 stelle eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 dar, auf Grund deren Wertung die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers anzunehmen sei. Auf Grund dieser Wertung sei die "Verlängerung der mit Bescheid vom 25. April 1990 ausgesprochenen Entzugszeit um zwölf Monate (bis einschließlich 5. Oktober 1991)" erforderlich. Nach Ablauf dieser Zeit erscheine die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers "sowohl im Hinblick auf das Lenken von Motorfahrrädern als auch im Hinblick auf das Lenken von Motorrädern und Kraftfahrzeugen der Gruppe B wieder gegeben".
Der Beschwerdeführer meint, dem angefochtenen Bescheid stehe die Rechtskraft des Mandatsbescheides vom 9. Juli 1990 entgegen, mit dem ihm die erstinstanzliche Behörde auf Grund der am 12. Juni 1990 begangenen Übertretung gemäß § 75a KFG 1967 das Lenken eines Motorfahrrades verboten habe.
Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß die das Lenken von Motorfahrrädern betreffenden Verfügungen im Sinne des § 75a lit. a bis c KFG 1967 eine erteilte Lenkerberechtigung nicht berühren. Es kann daher nicht gesagt werden, daß das Lenkverbot gemäß § 75a lit. a KFG 1967 eine Maßnahme im Sinne des § 73 Abs. 1 leg. cit. darstellt. Nur dann, wenn dies zu bejahen gewesen wäre, wäre der Einwand des Beschwerdeführers stichhaltig, weil die wiederholte Ergreifung von Maßnahmen im Sinne des § 73 Abs. 1 leg. cit auf Grund ein und desselben Sachverhaltes gegen die Rechtskraft des die erste Entziehungsmaßnahme aussprechenden Bescheides verstoßen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 1990, Zl. 89/11/0224).
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die belangte Behörde hätte ihm die Lenkerberechtigung gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 nur vorübergehend entziehen dürfen, weil die Entziehungszeit nicht mehr als 18 Monate betrage und die belangte Behörde ausdrücklich erklärt habe, daß nach Ablauf der Entziehungszeit die Verkehrszuverlässigkeit wieder gegeben sei.
Der Beschwerdeführer ist damit im Recht. Gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 ist die Lenkerberechtigung vorübergehend zu entziehen, wenn ihr Besitzer nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig, nicht mehr geistig oder körperlich geeignet oder nicht mehr fachlich befähigt ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken, und anzunehmen ist, daß nach Ablauf von nicht mehr als 18 Monaten die Gründe für die Entziehung nicht mehr gegeben sind. Hiebei finden die Bestimmungen des § 73 sinngemäß Anwendung.
Die §§ 73 Abs. 1 und 74 Abs. 1 KFG 1967 unterscheiden sich in den Voraussetzungen für die Entziehung lediglich durch das im § 74 Abs. 1 normierte zusätzliche Tatbestandsmerkmal, ob nämlich anzunehmen ist, daß nach Ablauf von nicht mehr als 18 Monaten die Gründe für die Entziehung nicht mehr gegeben sind. Gelangt die Behörde auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides) zu dieser Annahme, so hat sie eine vorübergehende Entziehung anzuordnen. Kommt die Behörde hingegen nicht zu dieser Annahme, sondern zur Auffassung, es sei nach Ablauf der von ihr gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 festzusetzenden Zeit nicht schon das Wiedervorliegen der Verkehrszuverlässigkeit anzunehmen, es bedürfe vielmehr nach Ablauf dieser Zeit eines neuerlichen Ermittlungsverfahrens zur Feststellung des Wiedervorliegens der Verkehrszuverlässigkeit, so hat sie die Entziehung gemäß § 73 Abs. 1 leg. cit. auszusprechen (siehe das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1985, Zl. 83/11/0307).
Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausdrücklich erklärt, daß nach Ablauf der festgesetzten Zeit - die 18 Monate nicht übersteigt - die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers wieder gegeben erscheine. Sie ist somit ausdrücklich von der im § 74 Abs. 1 KFG 1967 beschriebenen Annahme ausgegangen, weshalb die Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 rechtswidrig ist. Das von der belangten Behörde für die Entziehung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 ins Treffen geführte Argument, daß im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides (durch seine Zustellung am 5. Oktober 1990) die Lenkerberechtigung (noch) vorübergehend entzogen war, überzeugt nicht, weil die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung nicht ausschließt, daß die Lenkerberechtigung für die Zeit nach Ablauf der zunächst festgesetzten Zeit neuerlich vorübergehend entzogen wird. Maßgebend sind ausschließlich die oben dargestellten Voraussetzungen für die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. An Stempelgebührenersatz konnten nur S 540,-- (S 360,-- für die Beschwerde, S 120,-- für die Vollmacht und S 60,-- für eine Kopie des angefochtenen Bescheides) zuerkannt werden.
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991110002.X00Im RIS seit
19.03.2001