TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/19 91/02/0026

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Veröffentlicht am 19.06.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AtemalkoholmeßgeräteV §1;
AtemalkoholmeßgeräteV 1961 §1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2a litb;
StVO 1960 §5 Abs4 lita;
Verwendungsrichtlinien Atemalkoholanalysegeräte BMI 1988;
VStG §25 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Gartner, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 18. Jänner 1991, Zl. Ib-182-64/90, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 18. Jänner 1991 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 25. November 1989 um 1.30 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw in Lustenau auf der Hohenemserstraße - B 203 in Höhe km 7,1 in nördlicher Richtung in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist klarzustellen, daß sich das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. März 1991, Zlen. G 274 bis 283/90 u.a., womit Teile der Absätze 4a und 4b des § 5 StVO 1960 als verfassungswidrig aufgehoben wurden, im vorliegenden Beschwerdefall - ungeachtet des Umstandes, daß die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe zur Tatzeit am Tatort ein Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt, auf dem Ergebnis einer mittels eines Atemalkoholmeßgerätes gemäß § 5 Abs. 2a lit. b StVO 1960 vorgenommenen Untersuchung seiner Atemluft von mehr als 0,5 mg/l beruht - zufolge Einbringung der Beschwerde erst nach dem 27. Februar 1991 nicht auswirkt. Es ist daher von der insofern noch nicht bereinigten Rechtslage auszugehen.

Der Beschwerdeführer hat schon im Verwaltungsstrafverfahren geltend gemacht, daß er (in seiner Wohnung in Höchst) "rund" 5 Minuten vor der Untersuchung mit dem Atemalkoholmeßgerät (am Gendarmerieposten Höchst) erbrochen habe, wodurch sich im Zeitpunkt der Untersuchung in der Mundhöhle noch Alkohol befunden habe, welcher das (um 1.53 Uhr mit 0,87 mg/l und um 1.55 Uhr mit 0,80 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft) festgestellte Meßergebnis in einer Weise verfälscht habe, daß es unverwertbar sei. Die belangte Behörde hat dazu in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, daß das vom Beschwerdeführer zum Beweis seines Vorbringens vorgelegte Privatgutachten eines Gerichtsmediziners (vom 14. März 1990) einerseits und die amtsärztlichen Gutachten (der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 1. März 1990 und vom 26. März 1990 sowie der belangten Behörde vom 17. August 1990 und vom 12. November 1990) andererseits "in Summe von verschiedenen Sachverhalten" ausgingen, "welche der Behörde die unterschiedlichen Schlüsse der Sachverständigen plausibel machen". Zwischen dem Unfall um 1.30 Uhr und der Untersuchung sei jedenfalls ein Zeitraum von über 20 Minuten verstrichen gewesen, sodaß "aus dieser Sicht die Bedienungsanleitung für das Meßgerät der Herstellerfirma eingehalten und somit der festgestellte Wert verwertbar" sei. Im erwähnten Privatgutachten sei von der Verantwortung des Beschwerdeführers hinsichtlich des zwischen dem Erbrechen und der Untersuchung liegenden Zeitraumes von lediglich 5 Minuten ausgegangen worden. Die darin "getroffenen Schlüsse" könnten aber der Entscheidung nicht zugrundegelegt werden, weil nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers "das Erbrechen vor dem Abholen des Beschuldigten durch die einschreitenden Gendarmeriebeamten geschehen" sei und "es den Erfahrungen des täglichen Lebens und auch der von den Gendarmeriebeamten auf Grund der oben beschriebenen Schulungen eingehaltenen Vorgangsweise entspricht, daß vom Zeitpunkt des Abholens des Berufungswerbers zu Hause bis zur Durchführung des Tests auf dem Gendarmerieposten inklusive der Erklärung des Gerätes und dessen Bedienung ein größerer Zeitraum verstrichen sein muß". Nach den Informationen über das Meßgerät, welche der Hersteller zur Verfügung stelle, sei sogar ein Alkoholgenuß vor dem Test dann unbedenklich, wenn er mindestens 15 Minuten vor Durchführung des Tests stattfindet. "Da im maßgeblichen Sachverhalt dem Berufungswerber nicht die auf Grund der Messung festgestellte Alkoholisierung von 0,8 mg/l Atemluftalkohol vorgeworfen wird und die Zeit zwischen dem Erbrechen und der Durchführung des Tests annähernd diese 15 Minuten betragen haben muß", erscheine "die Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Lenkens des Kraftfahrzeuges bewiesen". Es müsse "den durchaus nachvollziehbaren und schlüssigen Argumentationen des medizinischen Amtssachverständigen gefolgt werden", wobei "die Richtigkeit der Vorgangsweise der Berufungsbehörde, den in diesem Zusammenhang sehr hohen Wert von 0,3 Promille bzw. 0,15 mg/l zugunsten der Verantwortung des Berufungsbewerbers als erwiesen anzunehmen" (und daher im Sinne des Gutachtens ihres Amtssachverständigen vom gemessenen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,8 mg/l in Abzug zu bringen) dadurch erhärtet werde, "daß auf Grund der zeitlich absteigenden Tendenz des Atemalkoholwertes die Resorptionsphase des vor dem Unfall getrunkenen Schnapses bereits abgeschlossen gewesen sein muß, das scheinbar kein Alkohol mehr zwischen diesen beiden Messungen resorbiert wurde". Es sei demnach "die erforderliche Wartezeit" bis zur Untersuchung eingehalten worden und liege der festgestellte Atemluftalkoholgehalt des Beschwerdeführers jedenfalls über der im Gesetz normierten Grenze von 0,4 mg/l.

Die belangte Behörde hat an sich richtig erkannt, daß von einem Ergebnis einer Untersuchung der Atemluft im Sinne des § 5 Abs. 4a StVO 1960, welches nach dieser Gesetzesstelle grundsätzlich als Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung gilt, nur dann gesprochen werden kann, wenn die für die ordentliche Funktionsweise des Gerätes maßgebliche Betriebsanleitung des Herstellers beachtet worden ist, und die Behörde dann, wenn sich ein Beschuldigter konkret damit rechtfertigt, daß dies in einem bestimmten Punkt nicht geschehen sei, verpflichtet ist, sich mit einem derartigen Einwand auseinanderzusetzen. Unbestritten ist, daß es demnach für das Zustandekommen eines gültigen Meßergebnisses erforderlich ist, daß mit dem Beginn der Untersuchung mindestens 15 Minuten nach dem letzten Alkoholkonsum zuzuwarten ist (siehe dazu auch die Verwendungsrichtlinien für Atemalkoholanalysegeräte des Bundesministers für Inneres vom 11. Februar 1988, Zl. 19.725/64-GD/88), wobei der Zweck erkennbar darin liegt, eine Verfälschung des Untersuchungsergebnisses durch (noch) vorhandenen Alkohol in der Mundhöhle des Probanden zu verhindern, und es kann daher in diesem Zusammenhang ein sachlicher Unterschied dafür, daß dies nicht in gleicher Weise zutrifft, wenn (auch nach länger zurückliegendem Alkoholkonsum) vor der Untersuchung erbrochen worden ist, nicht erblickt werden, weshalb in beiden genannten Fällen auf eine entsprechende Behauptung des Beschuldigten eingegangen werden muß (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 1990, Zl. 89/03/0262, und vom 10. Oktober 1990, Zl. 89/03/0321). Bei einer solchen Beurteilung handelt es sich um eine Frage der Beweiswürdigung, die der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nur in der Richtung unterliegt, ob der maßgebende Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die diesbezüglich angestellten Erwägungen schlüssig sind (vgl. insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053). Unter diesem Gesichtspunkt hält aber der angefochtene Bescheid einer Überprüfung auf seine Rechtmäßigkeit nicht stand.

Der Beschwerdeführer rügt, daß die Annahme der belangten Behörde, daß "zwischen dem behaupteten Erbrechen und der Alkomatuntersuchung 15 Minuten vergangen sind", mit den Denkgesetzen unvereinbar sei. Ob dies der Fall ist, kann dahingestellt bleiben, fehlt doch der hiefür gegebenen Begründung der belangten Behörde jedenfalls die notwendige Schlüssigkeit, wenn man bedenkt, daß sich der Unfall (der angenommenen Tatzeit entsprechend) um 1.30 Uhr zugetragen hat, und zwar nicht in Höchst, sondern (dem angenommenen Tatort entsprechend) in Lustenau, sodaß der Beschwerdeführer zunächst die Wegstrecke von dort nach Hause zurücklegen mußte, und anläßlich der Untersuchung seiner Atemluft am Gendarmerieposten Höchst das erste Meßergebnis um 1.53 Uhr zustande kam, hätte doch der Beschwerdeführer demnach für den Weg vom Tatort, wo sein verunfallter Pkw der Aktenlage nach mit den Rädern nach oben liegend verblieb, nach Hause höchstens 8 Minuten benötigt. Der Beschwerdeführer, der allerdings von einem anderen Tatort auszugehen scheint ("B 203 von Hohenems Richtung Lustenau"), bringt in der Beschwerde vor, daß er unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse für die Strecke von der Unfallstelle bis zu seiner Wohnung "mindestens zwölf bis fünfzehn Minuten brauche" und die Strecke von seiner Wohnung bis zum Gendarmerieposten in "maximal zwei bis drei Minuten" zu bewältigen sei. Damit hat der Beschwerdeführer die Wesentlichkeit des vorliegenden Verfahrensmangels im oben dargestellten Sinne, dessen Vermeidung weitere Ermittlungen der belangten Behörde, unter anderem durch zeugenschaftliche Vernehmung der einschreitenden Beamten des Gendarmerieposten Höchst erfordert hätte, dargetan. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift dazu meint, daß der Beschwerdeführer lediglich Behauptungen aufstelle, "die durch das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens widerlegt sind, wobei er weitere Beweise für die Richtigkeit seiner Behauptungen gar nicht angeboten hat", so ist ihr zu entgegnen, daß diesbezüglich kein geeignetes Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde, das der Verantwortung des Beschwerdeführers entgegenstehen würde, und die Behörde gemäß § 39 Abs. 2 AVG bei Durchführung des Ermittlungsverfahrens von Amts wegen vorzugehen hat, wobei gemäß § 25 Abs. 2 VStG die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen sind wie die belastenden. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde stellt das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde keine unzulässige Neuerung dar. Zwar heißt es im amtsärztlichen Gutachten vom 17. August 1990 (Seiten 10 unten, 11 oben) im Zusammenhang damit, daß "durch das Erbrechen von alkoholhältigem Mageninhalt eine Verfälschungsmöglichkeit des Atemalkohol-Meßergebnisses von 0,3 mg/l veranschlagt" werde, daß dieser Wert "zugunsten des Beschuldigten sicherlich hoch genug gegriffen ist, wenn man berücksichtigt, daß zwischen Erbrechen und Atemalkohol-Untersuchung nicht fünf Minuten vergangen sind, sondern mindestens 15 Minuten", und "sich diese Zeit aus einer Mitteilung" des Beamten, welcher die Untersuchung vorgenommen hat, auf Grund näher angeführter Umstände ergebe. Der Beschwerdeführer hat aber in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 12. September 1990 das genannte Gutachten auch in diesem Punkt bekämpft, wobei er beanstandet hat, daß ihm "eine Vernehmung des untersuchenden Gendarmeriebeamten bisher nicht zur Stellungnahme vorgelegt wurde", und seine bisherige Verantwortung wiederholt. Er war nicht gehalten, darüber hinaus von sich aus Argumente vorzubringen, die gegen die Annahme des Sachverständigen, es seien "zwischen Erbrechen und Atemalkohol-Untersuchung nicht fünf Minuten vergangen, sondern mindestens 15 Minuten", sprechen. Das Beschwerdevorbringen ist überdies nicht - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift weiters der Auffassung ist - als "Verletzung des Grundsatzes, daß der Berufungswerber als Partei an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes entsprechend mitzuwirken hat", anzusehen, wäre es doch der belangten Behörde auch ohne entsprechende Mitwirkung des Beschwerdeführers, zu der er im übrigen gar nicht aufgefordert worden war, möglich gewesen, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln.

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war. Der Beschwerdeführer wird allerdings im Hinblick auf den von ihm behaupteten letzten Alkoholkonsum vor dem Unfall und seine daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufmerksam gemacht, wonach die schädlichen Wirkungen des Alkohols auf die Fahrtüchtigkeit unabhängig vom Grad der Alkoholresorption sofort, also bereits in der Anflutungsphase eintreten (vgl. u. a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 1991, Zl. 91/02/0014, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits in dem (nunmehr mit S 11.120,-- festgelegten) Schriftsatzaufwand enthalten ist, die Beschwerde lediglich zweifach einzubringen war und sich das Schreiben der Firma Siemens vom 13. August 1990 samt Untersuchungsergebnissen anläßlich einer anderen Messung - wie dem Beschwerdeführer bekannt sein mußte - ohnehin in den Verwaltungsstrafakten befindet.

Schlagworte

Beweismittel Beschuldigtenverantwortung Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung Alkomat Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991020026.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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