TE Vfgh Erkenntnis 1988/10/14 B1225/87

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Veröffentlicht am 14.10.1988
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

FremdenpolizeiG §13

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; FremdenpolizeiG §13; keine wirksame Zustellung des Schubhaftbescheides durch Ausfolgung einer Ausfertigung an den - rechtsfreundlich vertretenen - Bf.; Verletzung des Rechtes auf persönliche Freiheit durch Festnahme und nachfolgende Anhaltung

Spruch

Der Bf. ist durch die am 5. Oktober 1987 um etwa 09,00 Uhr von Gendarmeriebeamten in Frastanz/Bezirk Feldkirch/Vorarlberg vorgenommene Festnahme und die folgende Anhaltung, soweit sie bis 09,35 Uhr währte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg verhängte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 1. September 1986 gemäß §3 Abs1 und 2 lita iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, (FrPG) über den Bf. einen türkischen Staatsangehörigen - ein bis 31. Dezember 1991 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet.

Der Bf. verblieb dennoch weiterhin in Österreich. Die Bezirkshauptmannschaft (BH) Feldkirch ordnete daraufhin mit Bescheid vom 5. Oktober 1987 gemäß §5 Abs1 FrPG zur Sicherung der Abschiebung die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) an. Einer allfälligen Berufung wurde gemäß §64 Abs2 AVG 1950 die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Über Auftrag der BH Feldkirch nahmen Gendarmeriebeamte den Bf. am 5. Oktober 1987 um 09,00 Uhr in seiner Wohnung in Frastanz fest und lieferten ihn in den Landesarrest Bludenz ein. Am 30. Oktober 1987 wurde er mit einem Flugzeug in die Türkei abgeschoben.

Anläßlich der Festnahme folgten ihm die Beamten eine Ausfertigung des erwähnten Schubhaftbescheides aus. Eine weitere Ausfertigung wurde im Wege der Post dem Rechtsanwalt des Bf. am 5. Oktober 1987 um 09,35 Uhr zugestellt.

2. Die vorliegende, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 5. Oktober 1987 um 09,00 Uhr erfolgte Festnahme des Bf. und seine Anhaltung bis 09,35 Uhr desselben Tages (Zeitpunkt der Zustellung des Schubhaftbescheides an den Rechtsvertreter des Bf.).

Der Bf. behauptet, durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein. Er beantragt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

3. Die BH Feldkirch als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Die BH Feldkirch rechtfertigt die am 5. Oktober 1987 um 09,00 Uhr erfolgte Festnahme des Bf. mit dem Hinweis auf §13 FrPG.

Diese Bestimmung lautet:

"Abschiebung.

§13. Fremde, gegen die ein Aufenthaltsverbot erlassen oder mit gerichtlichem Urteil auf Landesverweisung oder Abschaffung erkannt worden ist, können durch zwangsweise Beförderung unter Begleitung von Sicherheitsorganen abgeschoben werden (Schub), wenn sie das Gebiet, in dem ihnen der Aufenthalt verboten ist, nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist verlassen oder wenn eine Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit notwendig erscheint."

Die zwangsweise Abschiebung setzt voraus, daß der Fremde zuvor in Schubhaft (§5 Abs1 FrPG) genommen wurde.

Gemäß §5 Abs1 FrPG kann ein Fremder unter anderem zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grunde notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern. Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, darf also nur erfolgen, wenn sie durch einen Bescheid verfügt worden ist. Ein schriftlicher Bescheid gilt erst dann als erlassen, wenn er wirksam zugestellt wurde.

b) Diese Voraussetzung wurde hier nicht erfüllt: Der Bf. wurde am 5. Oktober 1987 um 09,00 Uhr von Gendarmeriebeamten festgenommen, ohne daß zuvor ein Schubhaftbescheid erlassen worden wäre. Der Schubhaftbescheid wurde zwar dem Bf. persönlich anläßlich der Festnahme ausgefolgt. Er war - wie sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt und von der Behörde in der Gegenschrift auch zugestanden wird - in dieser Sache rechtsfreundlich vertreten. Das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses im fremdenpolizeilichen Verfahren hatte aber zur Folge, daß die Übergabe einer Ausfertigung des Schubhaftbescheides an den Bf. selbst keine wirksame Zustellung bewirkte (siehe §9 Abs1 Zustellgesetz; vgl. VfSlg. 10978/1986 und die dort zitierte Judikatur und Literatur). Vielmehr wurde der Schubhaftbescheid erst am 5. Oktober 1987, 09,35 Uhr, dadurch erlassen, daß er dem Rechtsvertreter des Bf. zugestellt wurde (vgl. VfSlg. 10978/1986, 11431/1987; diesen Erkenntnissen liegen ähnliche Sachverhalte zugrunde).

c) Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Ein solcher Fall lag hier nicht vor: Wie in der vorstehenden litb dargetan wurde, konnte die Festnahme des Bf. mangels eines vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides nicht auf das FrPG gestützt werden (vgl. zB VfSlg. 9323/1982, 10978/1986 und die zuletzt zit. weitere hg. Judikatur); gleiches gilt für die weitere Anhaltung bis zur wirksamen Zustellung des Schubhaftbescheides an den Rechtsvertreter des Bf.

Eine andere gesetzliche Grundlage war nicht gegeben; insbesondere deckt - wie dargetan - §13 FrPG allein die Festnahme und Anhaltung nicht.

3. Es war sohin festzustellen, daß der Bf. durch die am 5. Oktober 1987, 09,00 Uhr, vorgenommene Festnahme und durch die darauf folgende Anhaltung bis 5. Oktober 1987, 09,35 Uhr (durch Maßnahmen, die als in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte individuelle Verwaltungsakte iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG zu qualifizieren sind) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen.

4. Diese Feststellung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.

Schlagworte

Fremdenpolizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1225.1987

Dokumentnummer

JFT_10118986_87B01225_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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