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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art89 Abs2Leitsatz
Art140 Abs1 B-VG; Individualantrag auf Aufhebung des §45 Abs1 UrheberrechtsG; Beschreitung des zivilgerichtlichen Rechtsweges grundsätzlich zumutbar - Subsidiarität des Individualantrages; Verpflichtung des Gerichtes zur Antragstellung nach Art89 Abs2 B-VG; keine Gefährdung der Effektivität des Grundrechtsschutzes durch Mediatisierung der Initiative zur Prüfung genereller NormenSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1.1. Die Verlassenschaft nach Ch M D, vertreten durch F R und J H, und die O M Verlag Kommanditgesellschaft stellten mit Schriftsatz vom 15. April 1988 gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG den Antrag, der VfGH möge aus näher geschilderten Gründen die (sie unmittelbar in ihren Rechten verletzende) Norm des §45 Abs1 UrheberrechtsG, BGBl. 111/1936 idgF, als verfassungswidrig aufheben.
1.1.2. Die zur Äußerung eingeladene Bundesregierung trat dafür ein, diesen (Individual-)Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu die angefochtene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. §45 Abs1 UrheberrechtsG, BGBl. 111/1936, hat folgenden Wortlaut:
"Einzelne Sprachwerke oder Werke der im §2 Z. 3 bezeichneten Art dürfen nach ihrem Erscheinen in einem durch den Zweck gerechtfertigten Umfang in einer Sammlung vervielfältigt und verbreitet werden, die Werke mehrerer Urheber enthält und ihrer Beschaffenheit und Bezeichnung nach zum Kirchen-, Schuloder Unterrichtsgebrauch bestimmt ist; ein Werk der im §2 Z. 3 bezeichneten Art darf bloß zur Erläuterung des Inhaltes aufgenommen werden."
2. Über den Antrag wurde erwogen:
2.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG idF BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides (für diese Person) wirksam wurde. Dazu vertritt der VfGH seit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen müsse und daß der durch Art140 Abs1 B-VG eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt sei, dem einzelnen Rechtsunterworfenen Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 9062/1981, 9685/1983 uvam.).
In Beurteilung der Antragslegitimation ist weiters lediglich zu untersuchen, ob das angefochtene Gesetz für den Antragsteller die im Antrag ins Treffen geführten (nachteiligen) Wirkungen hat und ob diese Wirkungen den Anforderungen des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG genügen. Nicht zu untersuchen ist hingegen, ob die besagten Gesetzesstellen für den Antragsteller sonstige (unmittelbare) Wirkungen entfalten. Es kommt nämlich im vorliegenden Zusammenhang ausschließlich auf die Behauptungen des Antragstellers an, in welcher Hinsicht das bekämpfte Gesetz seine Rechtssphäre berührt und - im Fall der Verfassungswidrigkeit - verletzt (vgl. zB VfSlg. 9185/1981, 10353/1985).
2.2.1. Die Antragstellerinnen machen nun, sinngemäß zusammengefaßt, geltend, daß ihre Verwertungsrechte als Urheber bzw. Werknutzungsberechtigte verschiedener Schöpfungen auf dem Gebiet der Literatur verfassungswidrig geschmälert seien, weil der Österreichische Bundesverlag (und teils auch der Residenzverlag Salzburg) ihre Werke unter Berufung auf §45 Abs1 UrheberrechtsG in für den Schulgebrauch bestimmte Sammlungen (Lesebücher) aufgenommen und verbreitet habe. Sie meinen, daß ihnen eine Klagsführung vor den ordentlichen Gerichten mit dem Ziel, dort ihre Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §45 Abs1 UrheberrechtsG darzulegen und die Stellung eines Antrags nach Art140 B-VG zu erwirken, keinesfalls zumutbar sei. Denn der Geltendmachung etwa eines Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs nach §§81 und 82 UrheberrechtsG und eines Anspruchs auf angemessenes Entgelt nach §86 UrheberrechtsG stehe die - verfassungsrechtlich bedenklich erachtete - Bestimmung des §45 Abs1 UrheberrechtsG entgegen, die eine solche Verbreitung - gegen den Willen der Urheber und Werknutzungsberechtigten - ausdrücklich zulasse.
2.2.2. Der Rechtsansicht, daß ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit iS des Abschnitts 2.1. fehle, kann nicht beigepflichtet werden. Denn es ist nach der Judikatur des VfGH grundsätzlich (vgl. zB VfSlg. 8979/1980, 9394/1982, 9685/1983, 9926/1984, 10445/1985, 10785/1986, 11015/1986, 14.3.1988 G120/87) und, weil hier erkennbar mit keiner außerordentlichen Härte verbunden, auch im Fall der Antragstellerinnen zumutbar, in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit - so wegen eines Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs (§§81, 82 UrheberrechtsG) - Bedenken gegen präjudizielle gesetzliche Vorschriften vorzutragen und vor dem Gericht der zweiten Rechtsstufe die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags beim VfGH anzuregen. Wollte man wegen des Prozeßrisikos und der damit verbundenen Kostenfolgen grundsätzlich davon ausgehen, daß die Beschreitung des Zivilrechtsweges unzumutbar sei, verlöre die in Art140 Abs1 B-VG enthaltene Einschränkung "sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung . . . für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (s. auch VfSlg. 9394/1982, 10445/1985, 10785/1986, 11015/1986).
Daß ein - für die Antragstellerinnen - positiver Ausgang des anzustrengenden Zivilprozesses die Aufhebung der angefochtenen Gesetzesstelle als verfassungswidrig - und zwar im Zug eines vom Rechtsmittelgericht beim VfGH zu initiierenden Normenkontrollverfahrens - jedenfalls zur Voraussetzung hätte, ist keine Besonderheit dieser Rechtssache, sondern konsequente Folge der gegebenen Verfassungsrechtslage, die eben (Individual-)Anträge gleichsam nur als letzten Ausweg zuläßt (VfSlg. 8187/1977, 9170/1981, 9285/1981, 9394/1982, 10251/1984). Es kommt dabei nicht auf die Erfolgschancen des den Antragstellerinnen zu Gebote stehenden (Verfahrens-)"Umwegs", sondern bloß darauf an, daß sich im Zuge eines derartigen Prozesses Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen relevante Normen über die ordentlichen Gerichte an den VfGH heranzutragen (vgl. VfSlg. 9170/1981, 9285/1981, 10592/1985). Daß die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers (nämlich die Initiative zur Prüfung genereller Normen (vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen) zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet) die Effektivität des Grundrechtsschutzes gefährde, wie die Antragstellerinnen meinen, trifft nicht zu. Die ordentlichen Gerichte (zweiter Instanz) sind nämlich schon dann, wenn sie gegen präjudizielle gesetzliche Vorschriften (bloß) Bedenken hegen, zur Antragstellung beim VfGH verpflichtet (vgl. Art89 Abs2 B-VG; VfSlg. 8979/1980, 9170/1981). Daß ein Prüfungsantrag beim VfGH allerdings unterbleibt, wenn die Rechtsmittelinstanzen die verfassungsrechtliche Kritik einer Prozeßpartei an präjudiziellen einfachgesetzlichen Vorschriften nicht teilen, ist im gegebenen Zusammenhang nach der gefestigten verfassungsgerichtlichen Judikatur ohne entscheidende Bedeutung (vgl. etwa: VfSlg. 8552/1979, 9394/1982, 9926/1984).
2.3. Der Antrag war - allein bereits aus den dargelegten Erwägungen - mangels Legitimation der Antragstellerinnen als unzulässig zurückzuweisen.
2.4. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:G135.1988Dokumentnummer
JFT_10118872_88G00135_00