TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/26 90/09/0175

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Veröffentlicht am 26.06.1991
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §8;
B-VG Art130 Abs2;
OFG §1 Abs2 litb;
OFG §1 Abs4;
OFG §15 Abs7;
OFG §15a idF 1989/212;
OFG §15a idF 1989/272;
OFG §16 Abs1;
OFG §3 Abs1;
OFG §4 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 31. Juli 1990, Zl. 644.442/2-8a/90, betreffend Härteausgleich nach § 15a OFG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens wurde nach Durchführung eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens (u.a. Einvernahme von Zeugen, Einholung einer Strafregisterauskunft, Anfrage beim Internationalen Suchdienst über die Dauer der Haft der Beschwerdeführerin und den Haftgrund) mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 1. Juni 1987 dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 21. Februar 1983 auf Zuerkennung einer Entschädigung nach dem OFG bzw. auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung gemäß § 1 Abs. 2 und 4, §3 Abs. 1 und 2 sowie § 11 Abs. 5 und § 13a OFG keine Folge gegeben.

Mit dem am 15. Mai 1990 beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingelangten Schreiben vom 2. Februar 1990 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung einer Unterhaltsrente im Wege des Härteausgleiches. Diesen Antrag begründete die Beschwerdeführerin damit, daß sie in den Jahren 1939 bis 1945 - noch als Jugendliche - im Nazi-Zigeunerlager Salzburg-Maxglan, im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und zuletzt im KZ Bergen-Belsen eingesperrt gewesen sei. Eine KZ-Entschädigung hätte sie wegen verschiedener Vorstrafen bis heute nicht bekommen. Zudem verfüge sie nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft, obwohl sie im oberösterreichischen Königswiesen geboren sei und ihre Eltern großteils in Österreich gelebt hätten. Dies hänge mit ihrem früheren "Zigeunerleben" zusammen (Staatenlosigkeit, Nichtseßhaftigkeit). In Anbetracht des ihr in der Nazi-Zeit zugefügten Leides (eigene Haft, Krankheit, Ermordung ihrer gesamten Familie) bitte sie, ihr wenigstens im Wege des Härteausgleiches eine Unterhaltsrente zu gewähren.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 31. Juli 1990 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. Februar 1990 auf Gewährung einer Unterhaltsrente gemäß § 15 Abs. 7 OFG im Wege des Härteausgleiches gemäß § 15a OFG nach Anhören der Opferfürsorgekommission (§ 17 OFG) abgewiesen.

Nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtslage (§ 15 Abs. 7 und § 15a Opferfürsorgegesetz) führte die belangte Behörde zur Begründung ihres Bescheides aus, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß bei der Beschwerdeführerin strafgerichtliche Verurteilungen im Sinne des § 15 Abs. 2 OFG vorlägen, welche alleine eine Rentenzuerkennung nach § 15 Abs. 7 OFG noch nicht ausschließen würden. Darüber hinaus sei jedoch festgestellt worden, daß die Beschwerdeführerin weder derzeit im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sei, noch die österreichische Bundesbürgerschaft am 13. März 1938 besessen hätte. Ein ständiger Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich vor dem 13. März 1938 durch mehr als zehn Jahre sei von der Beschwerdeführerin zwar behauptet worden, habe jedoch nicht nachgewiesen werden können. Weiters könne aus den vorgelegten Unterlagen die genaue Dauer der KZ-Haft nicht festgestellt werden. Das Fehlen dieser in den aufgestellten Normen genau umschriebenen Anspruchsvoraussetzungen stelle aber im Sinne des § 15a OFG keine besondere Härte dar. Die Opferfürsorgekommission sei zum vorliegenden Sachverhalt gehört worden und habe ebenfalls das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 15a OFG verneint. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Ihrem Vorbringen nach erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gewährung einer Unterhaltsrente im Wege des Härteausgleiches verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Beschwerdeführerin brachte zur Gegenschrift noch eine Gegenäußerung ein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1947, BGBl. Nr. 183, über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung (Opferfürsorgegesetz - OFG) sind als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen oder aus Gründen der Abstammung, Religion oder Nationalität durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs- (im besonderen einer Staatspolizei-)behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaße zu Schaden gekommen sind. Als solche Schädigungen in erheblichem Ausmaße sind nach lit. b der genannten Bestimmung der Verlust der Freiheit durch mindestens drei Monate anzusehen.

Diese Personen sind gemäß § 1 Abs. 4 OFG nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anspruchsberechtigt, wenn sie

a) am 13. März 1938 die österreichische Bundesbürgerschaft besessen haben und im Zeitpunkt der Anspruchsanmeldung österreichische Staatsbürger sind, oder

b) zwar erst nach dem 27. April 1945 die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben, jedoch in einem vor dem 13. März 1938 gelegenen Zeitraum durch mehr als zehn Jahre ununterbrochen ihren Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatten.

Nach § 3 Abs. 1 OFG hat der Antragsteller die Voraussetzungen nach § 1 nachzuweisen. Auf das Verfahren finden nach § 16 Abs. 1 OFG - soweit nichts anderes bestimmt ist - die Vorschriften des AVG Anwendung. Nach § 2 Abs. 1 lit. b Z. 1 und 2 OFG werden als Fürsorgemaßnahmen an Inhaber der Amtsbescheinigung nach § 4 Abs. 1 Rentenfürsorge (§ 11) und Heilfürsorge (§ 12) gewährt.

§ 4 Abs. 6 OFG, der durch die Novelle, BGBl. Nr. 197/1988 angefügt wurde, ordnet an, daß Opfern der politischen Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. i, die eine Freiheitsbeschränkung in der Dauer von mindestens einem Jahr erlitten haben, an Stelle eines Opferausweises eine Amtsbescheinigung auszustellen ist.

Gemäß § 15 Abs. 7 OFG besteht der Anspruch auf Rentenfürsorge nach § 11 und Heilfürsorge nach § 12 auch dann, wenn ein Anspruch auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung ausschließlich wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung im Sinne des Abs. 2 nicht gegeben ist oder die Anspruchsberechtigung wegen einer solchen Verurteilung nach Abs. 3 und 4 verwirkt bzw. nach Abs. 5 aberkannt und die Amtsbescheinigung aus diesem Grund eingezogen worden ist.

Nach § 15a OFG, idF BGBl. Nr. 212/1989, kann, sofern sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben, der Bundesminister für soziale Verwaltung (nunmehr: Arbeit und Soziales) nach Anhören der Opferfürsorgekommission (§ 17) einen Ausgleich gewähren.

Die Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 15a OFG steht im Ermessen der Behörde. Wer die Gewährung eines Ausgleiches wegen besonderer Härte geltend macht, ist Partei im Sinne des gemäß § 16 Abs. 1 OFG anzuwendenden § 8 AVG. Die Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 15a OFG setzt zunächst voraus, daß "sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben". Erst dann kann die Behörde von dem ihr in dieser Bestimmung eingeräumten Ermessen einen positiven Gebrauch machen (vgl. zur im wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des § 76 Abs. 1 KOVG 1957 das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. April 1982, Zl. 1647/78, VwSlg. Nr. 10709/A).

Im Beschwerdefall kommen als Vorschriften des OFG, aus denen sich allenfalls Härten ergeben können, der § 1 iVm § 3 Abs. 1 OFG und die Bestimmungen über die Unterhaltsrente in Betracht.

Die vom Gesetz geforderte besondere Härte muß durch Tatsachen und Umstände des Einzelfalles gegeben sein (vgl. wiederum zu § 76 Abs. 1 KOVG 1957 die Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zlen. 84/09/0220 und 85/09/0062; ferner das Erkenntnis vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067). Liegt eine besondere Härte nicht vor, dann ist die Gewährung eines Ausgleiches zu versagen, ohne daß auf die allenfalls für eine positive Ermessensübung sprechende tatsächliche wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin eingegangen werden muß (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/09/0104).

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid zunächst aus, es sei festgestellt worden, daß die Beschwerdeführerin weder derzeit im Besitz der österreichischen Staatsbürgeschaft sei, noch die österreichische Bundesbürgerschaft am 13. März 1938 besessen hätte. Ein ständiger Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich vor dem 13. März 1938 durch mehr als zehn Jahre sei von der Beschwerdeführerin zwar behauptet worden, habe jedoch nicht nachgewiesen werden können. Weiters könne aus den vorgelegten Unterlagen die genaue Dauer der KZ-Haft nicht festgestellt werden. In weiterer Folge verneint die belangte Behörde das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 15a OFG, weil "das Fehlen dieser in den aufgestellten Normen genau umschriebenen Anspruchsvoraussetzungen" im Sinne des § 15a OFG keine besondere Härte darstelle; die Opferfürsorgekommission, die zum vorliegenden Sachverhalt gehört worden sei, habe ebenfalls das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 15a OFG verneint.

Diese Rechtsauffassung der belangten Behörde teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht, weil jede Anwendung des § 15a OFG voraussetzt, daß wegen des Fehlens einer der gesetzlichen Voraussetzungen an sich kein Anspruch auf Versorgung besteht. So ist beispielsweise im § 3 Abs. 1 KOVG 1957 ausdrücklich festgelegt, daß nur österreichische Staatsbürger versorgungsberechtigt sind. Die Anwendung dieser Bestimmung auf Personen, die insbesondere durch die Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie die österreichische Staatsbürgerschaft verloren haben, wird aber als besondere Härte im Sinne des § 76 KOVG 1957 gewertet (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 20. Oktober 1988, Zl. 85/09/0160), obwohl es an der Anspruchsvoraussetzung des § 3 Abs. 1 KOVG 1957 mangelt.

Eine andere Wertung ist aber grundsätzlich auch dann nicht aus der Überlegung angezeigt, daß es sich bei der anzuwendenden Bestimmung, aus der die besondere Härte folgen muß, um die Regelung des § 3 Abs. 1 OFG handelt, wonach die Voraussetzungen nach § 1 OFG der Antragsteller nachzuweisen hat. Aus dem Ansuchen der nicht vertretenen Beschwerdeführerin vom 2. Februar 1990 in Verbindung mit dem in einer Angelegenheit der Opferfürsorge mit der Beschwerdeführerin bereits früher durchgeführten Verfahren ist erkennbar, daß sie die besondere Härte vor allem in der Unklarheit ihrer staatsbürgerschaftlichen Verhältnisse, die sich aus ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihrer Lebensführung (Nichtseßhaftigkeit) ergibt, und deren Klärung zu ihren Gunsten an der Beweislage scheitere, erblickt. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag erneut auf ihre (angeblich) mehrjährige KZ-Haft hingewiesen.

Wenn aber die besondere Härte darin gesehen wird bzw. gelegen sein kann, daß durch die außerordentlichen Umstände des Falles die Frage der österreichischen Staatsbürgerschaft bzw. der Dauer der KZ-Haft mangels entsprechender Beweismittel nicht mehr eindeutig beantwortet werden kann, so kann darin eine besondere Härte im Sinne des § 15a OFG gelegen sein (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0048).

Der angefochtene Bescheid mußte daher aus den vorher dargelegten Gründen, weil die belangte Behörde von der unrichtigen Rechtsauffassung ausgegangen ist, daß sich aus der Anwendung des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 OFG grundsätzlich keine besondere Härte im Sinne des § 15a OFG ergeben kann und es unterlassen hat, das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin, von dem nicht gesagt werden kann, es sei von vornherein nicht geeignet, einen für die Beschwerdeführerin günstigen Verfahrensausgang herbeizuführen, einer näheren Prüfung zu unterziehen, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der gemäß ihrem Art. III Abs. 2 anzuwendenden Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

Soweit in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes genannt sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990090175.X00

Im RIS seit

26.06.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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