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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §273 idF 1983/136;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt, als Sachwalter, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat III, vom 7. November 1990, Zl. 6/1-1047/89-04, betreffend Einkommensteuer für 1984 bis 1986, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war in den Streitjahren nach Auffassung der belangten Behörde an einer Kommanditgesellschaft beteiligt. Mit Bescheid vom 4. August 1987 bestellte ihn das Finanzamt gemäß § 81 Abs. 2 BAO zum Vertreter dieser Personengemeinschaft. Die Bestellung wurde in der Folge widerrufen. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1987 bestellte das Finanzamt sodann den Bruder des Beschwerdeführers zum Vertreter im Sinne des § 81 Abs. 2 BAO. Diesem stellte es auch die am 12. Oktober 1987 erlassenen, die Streitjahre betreffenden Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO zu. Die Bescheide wurden laut angefochtenem Bescheid rechtskräftig.
Auf Grund der rechtskräftigen Gewinnfeststellungsbescheide brachte das Finanzamt die darin für den Beschwerdeführer festgestellten Anteile an den gemeinsamen Einkünften in den den Beschwerdeführer betreffenden Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1984 bis 1986 zum Ansatz. Diese Bescheide wurden laut Aktenlage dem in der Zwischenzeit für den Beschwerdeführer bestellten Sachwalter zugestellt.
Der Sachwalter erhob gegen die Einkommensteuerbescheide Berufung. Darin führte er aus, daß der Beschwerdeführer nicht zurechnungsfähig sei, was sich aus einem konkret angeführten Akt des Bezirksgerichtes D ergebe. Infolge dessen seien sämtliche Rechtshandlungen, durch die er in jene Rechtsposition gelangt sei, auf Grund der ihm Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zugerechnet wurden, unwirksam.
Die belangte Behörde gab der Berufung mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Die Einkommensteuerfestsetzung sei zwingend auf der Grundlage der Feststellungsbescheide vorzunehmen gewesen. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer laut Sachwalter nicht zurechnungsfähig sei bzw. gewesen wäre, stehe einer Zurechnung von Einkünften nicht im Wege, da auch unmündige Kinder rechtswirksam Einkünfte, z.B. aus ererbtem Vermögen und auch als Gesellschafter beziehen könnten. Die Frage, ob dem Beschwerdeführer der Gewinnanteil aus der Gesellschaft von seinem Bruder tatsächlich zugewendet oder aber vorenthalten worden sei, habe die Ebene der Gesellschafter untereinander betroffen und es könnten Ansprüche auf Auszahlung von Gewinnanteilen nur im Zivilprozeßweg geklärt werden. Die Feststellungsbescheide waren nach Auffassung der belangten Behörde im Hinblick auf § 81 Abs. 2 und § 101 Abs. 3 BAO rechtsgültig dem Bruder des Beschwerdeführers zugestellt worden.
Vorliegende Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit
des angefochtenen Bescheides geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Es trifft zwar entsprechend dem Standpunkt der belangten Behörde zu, daß gemäß § 192 BAO in einem Feststellungsbescheid enthaltene Feststellungen, die für Abgabenbescheide von Bedeutung sind, diesen Bescheiden zugrunde gelegt werden, und daß nach § 252 Abs. 1 BAO ein Bescheid, dem Entscheidungen zugrundeliegen, die in einem Feststellungsbescheid getroffen worden sind, nicht mit der Begründung angefochten werden kann, daß die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind. Die prozessuale Bindung eines abgeleiteten Bescheides an einen Grundlagenbescheid kann aber nur dann zum Tragen kommen, wenn ein Grundlagenbescheid überhaupt rechtswirksam erlassen wurde. Davon kann aus den in den folgenden Punkten dargestellten Gründen nicht ausgegangen werden.
2. Der Beschwerdeführer (sein Sachwalter) machte im Verwaltungsverfahren geistige Behinderung (Unzurechnungsfähigkeit bzw. paranoide Schizophrenie) geltend. Diese Behinderung hat, wie der Schriftsatz vom 19. Dezember 1988, AZ 17, erschließen läßt, schon 1987 und daher auch bei der Zustellung der gemäß § 188 BAO erlassenen Feststellungsbescheide für 1984 bis 1986 im Jahre 1987 bestanden. Dies unterstellt offenbar auch die belangte Behörde, wenn sie im angefochtenen Bescheid in ihren Erwägungen anführt, daß der Beschwerdeführer laut Sachwalter nicht zurechnungsfähig ist BZW. WAR. Der Darstellung in der Beschwerde, es sei in dem der Sachwalterbestellung zugrunde liegenden medizinischen Gutachten festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer seit 1979 an einer paraphrenen Psychose leide und SPÄTESTENS SEIT DIESEM "ZEITPUNKT" GESCHÄFTSUNFÄHIG SEI, widersprach die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift nicht.
3. Zufolge § 79 BAO gelten für die Rechts- und Handlungsfähigkeit die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Nach § 865 ABGB sind Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, grundsätzlich unfähig, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen. Andere Personen, die (unter anderem) von einem Sachwalter abhängen, können nach dieser Gesetzesstelle zwar ein bloß zu ihrem Vorteil gemachtes Versprechen annehmen; wenn sie aber eine damit verknüpfte Last übernehmen oder selbst etwas versprechen, hängt (von hier unbeachtlichen Ausnahmen abgesehen) die GÜLTIGKEIT des Vertrages nach den in dem dritten und vierten Hauptstück des ersten Teils gegebenen Vorschriften in der Regel von der Einwilligung des Vertreters oder zugleich des Gerichts ab.
Im vierten Hauptstück des ersten Teiles des ABGB finden sich auch die Bestimmungen der §§ 273 und 273a. Nach § 273 Abs. 1 ABGB ist für eine Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist (behinderte Person) und alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermag, ein Sachwalter zu bestellen. Der Wirkungskreis des Sachwalters richtet sich gemäß § 273 Abs. 3 ABGB nach dem Ausmaß der Behinderung sowie nach Art und Umfang der zu besorgenden Angelegenheiten.
§ 273a Abs. 1 ABGB zufolge kann die behinderte Person innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten, sofern nicht das Gericht bestimmte Ausnahmen zuläßt. Rechtsgeschäfte über eine geringfügige Angelegenheit des täglichen Lebens, die an sich in den Wirkungskreis des Sachwalters fallen, WERDEN Nach Maßgabe des § 273a Abs. 2 ABGB mit der Erfüllung der die behinderte Person treffenden Pflichten RÜCKWIRKEND RECHTSWIRKSAM (und sind es daher vorher nicht).
Aus den eben angeführten Vorschriften des bürgerlichen Rechts geht hervor, daß eine Person, soweit sie den Gebrauch der Vernunft nicht hat, der Handlungsfähigkeit im Sinne des § 79 BAO entbehrt.
Nach der Aktenlage bestellte das Gericht im Jahre 1988 für den Beschwerdeführer einen Sachwalter "zur Vertretung des Betroffenen in sämtlichen Verfahren vor allen Ämtern und Behörden" (AZ 11). Die oben in Punkt 2 aufgezeigten Umstände rechtfertigen die Annahme, daß der Beschwerdeführer schon 1987 bei Zustellung der Feststellungsbescheide, von denen sich die streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide ableiten, nicht handlungsfähig war. Das Fehlen eines Sachwalters hatte zunächst zur Folge, daß die Feststellungsbescheide gegenüber dem Beschwerdeführer keine Wirksamkeit entfalteten (siehe nochmals Stoll, aaO, das hg. Erkenntnis vom 8. Jui 1971, Zl. 487/71, Slg. Nr. 8057/A, sowie Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts4 Rz 135). Dafür spricht auch die Bestimmung des § 82 Abs. 1 BAO, wonach die Abgabenbehörde die Bestellung eines Kurators beantragen kann, wenn gegen eine nicht voll handlungsfähige Person, die eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Amtshandlung vorgenommen werden soll und die Wichtigkeit der Sache es erfordert. Stoll, demzufolge § 82 Abs. 1 BAO unter anderem gewährleisten soll, daß ein Abgabenverfahren ABGEWICKELT WERDEN KANN, auch wenn die Partei dieses Verfahrens nicht voll handlungsfähig ist, hält zu Recht die Sachwalterbestellung (Kuratorbestellung) FÜR ERFORDERLICH, wenn die bevorstehende behördliche Erledigung FESTSTELLEND ist (Stoll, aaO, Seite 188). Auch § 82 Abs. 1 BAO und das Verständnis, das diese Bestimmung im Schrifttum gefunden hat, weisen also darauf hin, daß die (feststellende) behördliche Erledigung ohne Sachwalterbestellung (zunächst) gegenüber der behinderten Person keine Rechtswirkung zu entfalten vermag. Dabei kann es nur auf die Tatsache ankommen, daß für den Beschwerdeführer, der eines Sachwalters bedurfte, ein solcher nicht bestellt war, nicht aber entgegen der Auffassung der belangten Behörde auch darauf, ob die Abgabenbehörde um die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung wußte (siehe auch Dittrich-Tades, ABGB33, § 865 E 8).
Entfaltet aber ein Feststellungsbescheid im Sinne des § 188 BAO gegenüber einer Person, der gegenüber die einheitliche und gesonderte Feststellung wirken soll, keine Wirkung, dann findet eine einheitliche und gesonderte Feststellung insgesamt nicht statt. Entspricht es doch dem Wesen einer EINHEITLICH Feststellung von Einkünften, daß sie gegenüber ALLEN an der Feststellung Beteiligten wirkt, wie sich dies auch aus § 191 Abs. 3 lit. b BAO ergibt, wonach einheitliche Feststellungsbescheide gegen alle wirken, denen gemeinschaftliche Einkünfte zufließen (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Februar 1984,
Zlen. 82/14/0165, 83/14/0238). Es liegt daher im Beschwerdefall noch keine rechtsgültige einheitliche und gesonderte Feststellung der fraglichen Einkünfte vor. Die belangte Behörde konnte daher auch nicht rechtens die Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide mit der Begründung abweisen, an eine solche Feststellung gebunden zu sein.
4. Die Bestimmungen des § 81 Abs. 2 und des § 101 Abs. 3 BAO, auf die sich die belangte Behörde ebenfalls bezieht, regeln im wesentlichen die Vertretungsbefugnis und Vertretungspflicht, welche bei Personenvereinigungen (Personengemeinschaften) ohne eigene Rechtspersönlichkeit gegenüber der Abgabenbehörde Platz zu greifen haben, bzw. die Frage, wem im Falle einer solchen Personenvereinigung schriftliche Ausfertigungen in einem Feststellungsverfahren zuzustellen sind. Diese Bestimmungen ändern aber nichts daran, daß Feststellungsbescheide gegenüber allen Beteiligten wirksam erlassen sein müssen. § 82 BAO spricht dagegen, daß einem Vertreter der Personenvereinigung im Sinne des § 81 Abs. 2 BAO auch die Pflicht obliegen sollte, einem anderen Teilhaber an der Personenvereinigung, gegenüber dem die einheitliche und gesonderte Feststellung ebenfalls wirken soll, einen Sachwalter zu besorgen. Fraglich kann nur sein, ob im Falle einer erfolgten Sachwalterbestellung der Vertreter im Sinne des § 81 Abs. 2 BAO davon wissen muß bzw. wie gewährleistet werden kann, daß der Vertreter den Feststellungsbescheid dem Sachwalter (und nicht dem Behinderten selbst) zur Kenntnis bringt. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird die bescheidmäßige Zurechnung von Einkünften (§ 188 BAO) an "AB (= behinderte Person), vertreten durch XY als Sachwalter" zu erfolgen haben.
5. Die Rechtsrüge des Beschwerdeführers erweist sich somit als berechtigt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2. Stempelgebührenersatz stand dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die gewährte Verfahrenshilfe nicht zu.
Schlagworte
Adoption Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Öffentliches Recht SachwalterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991130002.X00Im RIS seit
27.06.1991