Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der Ingrid N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Februar 1991, Zl. MA 70-11/1418/90/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Februar 1991 wurde die Beschwerdeführerin wegen einer Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO 1960 bestraft, weil sie am 8. September 1989 um 21.30 Uhr "in Wien 14, Hadikgasse-Kennedybrücke" als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen sei und es unterlassen habe, die nächste Polizeidienststelle von diesem Unfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.
Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 5 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, wenn bei diesem nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 20. November 1986, Zl. 86/02/0101, ausgesprochen, daß der ursächliche Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden im Sinne des § 44a lit. a VStG im Spruch umschrieben sein muß, es aber Sache der Begründung des Straferkenntnisses ist, die sachverhaltsbezogenen Feststellungen und die daraus im Hinblick auf die Tatbestandsmäßigkeit gezogenen Schlüsse aufzuzeigen. Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid, weil einerseits im Spruch ausdrücklich festgehalten worden ist, daß die Beschwerdeführerin "an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt" war, und andererseits der Begründung des angefochtenen Bescheides zweifelsfrei zu entnehmen ist, daß die belangte Behörde von der Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales ausgegangen ist, in dem sie einen überraschenden Fahrstreifenwechsel der Beschwerdeführerin als Ursache dafür angesehen hat, daß der Lenker des beteiligten Fahrzeuges dieses "habe verreißen müssen", weshalb es in der Folge "mit der Felge des Rades den Randstein berührt" habe.
In Erwiderung auf ein diesbezügliches Beschwerdevorbringen ist daran zu erinnern, daß das VStG keine Bestimmung enthält, die eine persönliche Einvernahme des Beschuldigten zwingend vorschreiben würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1986, Zl. 86/03/0153), und daß die Gewinnung eines persönlichen Eindruckes vom Beschuldigten kein Beweisthema ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, Zl. 86/02/0129). Im übrigen ist nicht das erstinstanzliche Straferkenntnis, sondern der angefochtene Bescheid Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Prüfung.
Das Unterbleiben der Einvernahme der Zeugen Manuel und Christian W. wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid damit begründet, daß der eine Zeuge zu zwei Ladungsterminen trotz ausgewiesener Zustellung unentschuldigt nicht erschienen sei, und der andere nicht habe geladen werden können, weil der Zeuge M. dessen Adresse nicht habe angeben können und er nicht in Wien gemeldet sei. Von einer Vorführung des Zeugen Manuel W. sei abgesehen worden, da der "vorher angeführte Sachverhalt bereits auf Grund der vorhandenen Beweisergebnisse hinreichend geklärt" gewesen sei.
Gegen diese Begründung wendet sich die Beschwerdeführerin im wesentlichen mit dem Argument, eine Einvernahme des Zeugen Manuel W. hätte zu dem Ergebnis geführt, daß sie nicht an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen sei. Die belangte Behörde meinte dazu in ihrer Gegenschrift, von einer Vorführung dieses Zeugen sei Abstand genommen worden, da dessen Aussage das relevante Beweisthema insofern nicht betroffen habe, als er bei dem Gespräch zwischen der Beschwerdeführerin und dem Lenker des beteiligten Fahrzeuges nicht anwesend gewesen sei.
Nach Ansicht des Gerichtshofes ist die Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin berechtigt, weil die Zeugen Manuel und Christian W. nach den anläßlich der Einvernahme am 2. Mai 1990 gemachten Angaben des Walter M., dem Beifahrer im Fahrzeug der Beschwerdeführerin, "mit einem weiteren Auto hinter uns nachgefahren waren", woraus folgt, daß sie gegebenenfalls Angaben über das Fahrverhalten der Beschwerdeführerin machen könnten, welches nach der schon wiedergegebenen Ansicht der belangten Behörde dazu geführt hat, daß der Lenker des beteiligten Fahrzeuges dieses "habe verreißen müssen", weshalb es in der Folge "mit der Felge des Rades den Randstein berührt" habe. Diese beiden Zeugen könnten also beobachtet haben, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich "überraschend den Fahrstreifen gewechselt hatte", weshalb zwar nicht anzunehmen ist, daß diese Zeugen zu dem von der belangten Behörde in der Gegenschrift erwähnten Beweisthema (das Gespräch zwischen der Beschwerdeführerin und dem Lenker des beteiligten Fahrzeuges) zweckdienliche Angaben machen können, aber nicht ausgeschlossen ist, daß sie zu der im Beschwerdefall wesentlichen Frage der ursächlichen Beteiligung der Beschwerdeführerin an dem in Rede stehenden Verkehrsunfall mit Sachschaden wesentliche Aussagen machen können. Die von der belangten Behörde angeführten Gründe vermögen den Verzicht auf die Einvernahme dieser Zeugen also nicht zu rechtfertigen, wobei zu der in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Meinung, der Zeuge M. habe die Adresse des Zeugen Christian W. nicht angeben können, darauf hinzuweisen ist, daß der Zeuge M. lediglich die Hausnummer des angeblichen Wohnhauses des Christian W. in der Lainzerstraße in Wien nicht nennen konnte, was aber nicht bedeutet, daß dieser Zeuge unauffindbar ist, zumal es sich dabei um einen Neffen des Zeugen M. handelt. Die belangte Behörde hätte also schon im Hinblick auf die Vorschrift des § 25 Abs. 2 VStG, wonach die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen sind, wie die belastenden, die Bemühungen um eine Einvernahme der Zeugen Manuel und Christian W. fortsetzen müssen, weshalb ihr im Hinblick auf die diesbezügliche Unterlassung eine im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wesentliche und damit zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften anzulasten ist.
Aus prozeßökonomischen Gründen soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß der Tatbestand nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 nach ständiger hg. Judikatur schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewußtsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Es ist daher nicht wesentlich, daß es zu keinem Kontakt zwischen dem Fahrzeug der Beschwerdeführerin und jenem des beteiligten Lenkers gekommen ist, wenn die Beschwerdeführerin von diesem darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß ihr Fahrverhalten die Ursache der Beschädigung seines Fahrzeuges gewesen sein kann. Daß die Feststellung des Schadens durch den beteiligten Lenker erst erfolgt ist, nachdem dieser die Beschwerdeführerin auf die mögliche Verursachung desselben durch sie aufmerksam gemacht hat, kann an diesem Beurteilungsergebnis nichts ändern, solange von einem tatsächlichen Schadenseintritt auszugehen ist.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisAndere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Straßenpolizei KraftfahrwesenBeweiseMeldepflichtSpruch Begründung (siehe auch AVG §58 Abs2 und §59 Abs1 Spruch und Begründung) Tatvorwurf Beschreibung des in der BegründungBeweismittel Zeugenbeweis GegenüberstellungParteiengehörBeweismittel BeschuldigtenverantwortungVerwaltungsstrafverfahrenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991180092.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
14.07.2010