TE Vfgh Beschluss 1988/11/28 B1102/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.1988
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; Aufforderung zwecks Einvernahme zum Gendarmerieposten mitzukommen unter Androhung der Einholung eines richterlichen Haftbefehls; Fehlen des für das Vorliegen der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt" geforderten "unverzüglichen Befolgungsanspruches"; Anwesenheit des Bf. am Gendarmerieposten keine nach Art144 B-VG bekämpfbare Amtshandlung

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.a) G H begehrt mit seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH die kostenpflichtige Feststellung, er sei dadurch, daß ihn am 5. September 1987 um etwa 07.30 Uhr in Hof bei Salzburg Gendameriebeamte aufgefordert haben, zum Gendarmerieposten Hof mitzukommen und ihn dort zwischen 08.00 Uhr und 08.30 Uhr einvernommen haben, somit seiner Ansicht nach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte des Staatsbürger, RGBl. 142/1867; Art5 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 210/1958) verletzt worden.

b) In der Beschwerde wird der Sache nach im wesentlichen vorgebracht:

Am 5. September 1987 um etwa 07.30 Uhr sei der Bf. in Hof bei Salzburg von Gendarmeriebeamten ohne nähere Begründung aufgefordert worden, unverzüglich zum örtlichen Gendarmerieposten mitzukommen; für den Fall, daß er dieser Aufforderung nicht nachkommen sollte, sei ihm die Einholung eines (richterlichen) Haftbefehls angedroht worden. Der Bf. habe sich daraufhin zum Gendarmerieposten begeben und sei dort in der Zeit von 08.00 Uhr bis 08.30 Uhr einvernommen worden.

Da die "Festnahme" des Bf. ohne jede gesetzliche Grundlage erfolgt sei, habe er sich somit in der Zeit von 07.30 Uhr bis 08.30 Uhr rechtswidrigerweise in Haft befunden.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage des Verwaltungsaktes eine Gegenschrift und begehrte darin formal die Abweisung, der Sache nach aber die Zurückweisung der Beschwerde.

In der Gegenschrift wird im wesentlichen ausgeführt, der Bf. habe der Aufforderung der einschreitenden Gendarmeriebeamten, sie zum Zweck seiner Einvernahme zum Gendarmerieposten Hof zu begleiten, freiwillig Folge geleistet. Dem Bf. sei der Grund für seine beabsichtigte Vernehmung entgegen der Behauptung in der Beschwerde - sehr wohl bekannt gewesen. Im übrigen hätte nach den übereinstimmenden Darstellungen der Gendarmeriebeamten eine allfällige Festnahme erst auf Grund eines (noch einzuholenden) richterlichen Befehls erfolgen sollen.

II. Auf Grund des Beschwerdevorbringens, der Ausführungen in der Gegenschrift, des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie der im Rechtshilfeweg durchgeführten Einvernahme der Zeugen Rev.Insp. J W, Rev.Insp. H H und G Sch sowie des Bf. als Partei erachtet der VfGH folgenden für die Beurteilung der Beschwerde wesentlichen Sachverhalt als erwiesen:

Am 5. September 1987 gegen 07.30 Uhr begaben sich die beiden Gendarmeriebeamten Rev.Insp. H H und Rev.Insp. J W im Zuge von Erhebungen betreffend einen Vorfall, der sich um etwa 04.30 Uhr desselben Tages auf der Wolfgangsee Bundesstraße bei Straßenkilometer 24,8 ereignet hatte und an dem ein auf den Namen des Bf. zugelassener Pkw beteiligt war, zum Arbeitsplatz des Bf. in der ...-Tankstelle in Hof bei Salzburg, wo sie diesen im Kassenraum in Gesellschaft einer ihnen unbekannten Person antrafen. Rev.Insp. H richtete an den Bf. zunächst die Frage, ob dieser seinen Pkw in der vorangegangenen Nacht selbst gelenkt habe. Nachdem der Bf. dies bejaht hatte, forderte ihn Rev.Insp. H auf, mit den Beamten zum Gendarmerieposten Hof mitzukommen. Nähere Auskünfte wurde dem Bf. nicht erteilt.

Bemühungen des Bf., für die Zeit seiner

voraussichtlichen Abwesenheit von der Tankstelle eine Vertretung zu finden, blieben erfolglos. Auf die deshalb gestellte Frage des Bf., welche Folgen es hätte, wenn er nicht zum Gendarmerieposten mitkäme, antwortete Rev.Insp. H sinngemäß, daß er dann versuchen würde, einen richterlichen Haftbefehl gegen den Bf. zu erwirken. Der Bf. erklärte sich daraufhin bereit, sogleich zum Gendarmerieposten mitzukommen; das Angebot, mit den beiden Gendarmeriebeamten im Dienstkraftfahrzeug dorthin zu fahren, lehnte er jedoch ab. Die Gendarmeriebeamten verließen daraufhin die Tankstelle und begaben sich zum Gendarmerieposten Hof. Der Bf. folgte ihnen mit seinem privaten Pkw.

Am Gendarmerieposten wurde der Bf. anschließend ab 08.00 Uhr einvernommen. Diese Amtshandlung wurde um etwa 8 Uhr 30 abgeschlossen.

III. Der VfGH hat erwogen:

1. Gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten dieser Nov. nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies auf sicherheitsbehördliche Befehle zutrifft, die durch die Androhung unmittelbar folgenden physischen Zwangs sanktioniert sind (VfSlg. 7829/1976, 8231/1977, 9494/1982, 9770/1983, 9922/1984 mwH).

2. Unverzichtbares Inhaltsmerkmal eines Verwaltungsaktes in der Erscheinungsform eines - allen Voraussetzungen des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG genügenden - "Befehls", dh. der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt", ist der Umstand, daß dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird (vgl. VfSlg. 9922/1984, 10420/1985, 10848/1986 mwH).

3. Dies ist hier nicht der Fall:

Der einschreitende Gendarmeriebeamte hat den Bf. (lediglich) aufgefordert, zum Gendarmerieposten mitzukommen und für den Fall seiner Weigerung die Erwirkung eines richterlichen Haftbefehls in Aussicht gestellt. Es kann daher nicht die Rede davon sein, daß die Nichtbefolgung dieser Aufforderung zur Anwendung sofortiger Zwangsmaßnahmen gegen den Bf. - der im übrigen mit seinem privaten Pkw zum Gendamerieposten gefahren ist - geführt hätte, was aber nach der unter III.2. wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des VfGH eine der Voraussetzungen für das Vorliegen einer nach Art144 Abs1 B-VG bekämpfbaren Amtshandlung bildet. Der in dieser Judikatur des VfGH geforderte "unverzügliche Befolgungsanspruch" liegt nämlich ua. dann nicht vor, wenn erst ein richterlicher (Haft-)Befehl eingeholt werden muß, dessen Ausstellung im übrigen nicht in der Ingerenz der Gendarmeriebeamten liegt (vgl. VfSlg. 10760/1986, betreffend die Ankündigung, bei Nichtgestattung einer freiwilligen Nachschau einen Hausdurchsuchungsbefehl einzuholen). Aus diesem Grund ist auch die durch seine Einvernahme erforderlich gewesene Anwesenheit des Bf. am Gendarmerieposten Hof keine nach Art. 144 Abs1 B-VG bekämpfbare Amtshandlung.

4. Es fehlt somit an einem tauglichen Beschwerdegegenstand, weshalb die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen war.

Da die Nichtzuständigkeit des VfGH offenbar ist, wurde dieser Beschluß gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren gefaßt.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1102.1987

Dokumentnummer

JFT_10118872_87B01102_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten