Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des M gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 30. Oktober 1990, Zl. 11-39 Mo 9-90, betreffend Aussetzung des Verfahrens in einer Angelegenheit des Kraftfahrwesens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.
Begründung
Auf Grund einer Anzeige des Gendarmeriepostens Anger vom 6. April 1990, in der dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurde, am 24. März 1990 als Lenker eines Kraftfahrzeuges eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 begangen zu haben, wurde dem Beschwerdeführer mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom 24. April 1990 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A, B, C, E, F und G für die Dauer von acht Monaten ab Zustellung des Bescheides gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 entzogen. Nach Einlangen der Vorstellung leitete die Bezirkshauptmannschaft Weiz das Ermittlungsverfahren ein.
Mit Spruchteil I des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom 31. August 1990 wurde das Verfahren betreffend die Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 38 AVG 1950 ausgesetzt, "bis die Frage der Verkehrszuverlässigkeit der Partei auf Grund des Vorliegens einer verwertbaren Entscheidung" in einem näher bezeichneten, bei der Bezirkshauptmannschaft Weiz anhängigen Strafverfahren "im Sinne der Rechtslage nach § 66 Abs. 2 lit. e und Abs. 3 KFG sowie nach den §§ 73 und 74 KFG beurteilt werden kann". Mit Spruchteil II dieses Bescheides wurde der Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, sich binnen zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides bei der Bezirkshauptmannschaft Weiz einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Aufforderung gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 begründete die erstinstanzliche Behörde mit der Rechtfertigung des Beschwerdeführers im Strafverfahren, wonach die Untersuchung der Atemluft auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht habe durchgeführt werden können.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 1990 wies der Landeshauptmann von Steiermark die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung, soweit sie sich gegen Spruch I des erstinstanzlichen Bescheides richtet, ab und teilte mit, daß "hinsichtlich Spruch II nach Abschluß des Berufungsverfahrens entschieden" werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 ist unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind (§ 64 Abs. 2). Gemäß § 75 Abs. 2 leg. cit. ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß § 67 Abs. 2 einzuholen.
§ 75 Abs. 1 KFG 1967 kennt nur ein einheitliches Ermittlungsverfahren bei Entziehung der Lenkerberechtigung, das sämtliche Erteilungsvoraussetzungen umfaßt. Bei Ergreifung einer Maßnahme im Sinne des § 73 Abs. 1 leg. cit. sind alle bis zur Bescheiderlassung verwirklichten Umstände zu berücksichtigen. Die wiederholte Ergreifung von Maßnahmen im Sinne des § 73 Abs. 1 leg. cit. jeweils nach Abschluß der Ermittlungen hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen ist dem Gesetz fremd (siehe das Erkenntnis vom 3. Juli 1990, Zl. 89/11/0224).
Gemäß § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
§ 38 AVG kennt nur die Aussetzung des Verfahrens, nicht aber die Aussetzung bloß hinsichtlich einzelner Ermittlungen. Dem angefochtenen Bescheid liegt - ebenso wie dem erstinstanzlichen Bescheid - offenbar die Vorstellung zugrunde, daß dann, wenn Bedenken hinsichtlich verschiedener Erteilungsvoraussetzungen bestehen, gleichzeitig mehrere Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung zu führen sind. Nur so ist erklärbar, daß die belangte Behörde einerseits die bescheidmäßige Aussetzung des Verfahrens verfügt, um die Entscheidung der Vorfrage, ob der Beschwerdeführer eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 begangen hat, abzuwarten, andererseits aber das Ermittlungsverfahren in Ansehung der geistigen und körperlichen Eignung weiterführt. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde nur ein Teil des Ermittlungsverfahrens ausgesetzt, was jedoch der dargestellten Rechtslage widerspricht.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. An Stempelgebührersatz konnten nur S 570,-- zuerkannt werden (S 360,-- für die Beschwerde, S 120,-- für die Vollmacht und S 90,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990110235.X00Im RIS seit
19.03.2001