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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abbrechung eines Disziplinarverfahrens nach Löschung der Eintragung der Bf. in der Liste der Rechtsanwälte; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleister Rechte; keine Bedenken gegen die Übergangsregelung des ArtIV Abs12 DSt-Nov. 1987 - unveränderte Zusammensetzung der OBDK nach Errichtung neuer Anwaltskammern bis zum Ablauf der FunktionsperiodeSpruch
Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Dr. R D war Rechtsanwalt mit dem letzten Kanzleisitz in Mödling. Mit Beschluß des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 30. April 1985 wurde gemäß §34 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) ihre Eintragung in der Liste der Rechtsanwälte gelöscht.
Gegen sie waren seinerzeit zwei Disziplinarverfahren anhängig. Der Präsident des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland brach mit zwei Beschlüssen vom 23. Oktober 1985 in analoger Anwendung des §412 StPO diese Disziplinarverfahren ab. Dagegen erhob Dr. R D (Administrativ-)Beschwerden an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK). Mit Beschluß (Bescheid) vom 7. März 1988 wies die OBDK diese Rechtsmittel zurück. Dr. D unterliege seit ihrer Löschung nicht mehr der Disziplinarbehandlung gemäß § 2 des Disziplinarstatuts (DSt).
2. Gegen den Bescheid der OBDK vom 7. März 1988 wendet sich die vorliegende, von Dr. R D erhobene, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter, verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die OBDK als bel. Beh. legte die Akten des Administrativverfahrens vor; sie verzichtete darauf, eine Gegenschrift zu erstatten.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die Bf. behauptet, in den durch Art6 Abs1 MRK und durch Art7 Abs1 iVm Art83 Abs2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein. Sie begründet dies ausschließlich damit, daß die die OBDK konstituierenden Normen verfassungswidrig seien.
Der VfGH deutet das zum Teil unklare Beschwerdevorbringen wie folgt:
a) Zunächst meint die Bf., die OBDK entscheide (auch) über civil rights und strafrechtliche Anklagen iS des Art6 Abs 1 MRK und müßte daher als Gericht (Tribunal) in der Bedeutung dieser Konventionsnorm eingerichtet sein. Die Unabhängigkeit der Mitglieder der OBDK sei nicht gesetzlich garantiert.
b) Es widerspreche dem Art93 B-VG (gemeint wohl dem Art94 B-VG), wenn ein und dieselbe Behörde (die OBDK) verschiedene Verfahrensgesetze anzuwenden habe, nämlich einmal das AVG 1950 (und zwar in administrativen Angelegenheiten), das andere Mal (und zwar in Disziplinarsachen) analog die StPO.
c) Dem Bundesminister für Justiz stehe gemäß §1 Abs2 DSt das (oberste) Aufsichtsrecht über die Rechtsanwälte zu; ein solches Aufsichtsrecht widerspreche der Bundesverfassung.
d) Die Zusammensetzung der OBDK sei auf eine dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Weise geregelt, weil der §55b DSt idF der Nov. BGBl. 524/1987 zufolge die Rechtsanwaltskammer für Wien 6, jene für Steiermark und jene für Oberösterreich je 2 und die Rechtsanwaltskammern für die übrigen Bundesländer je 1 Anwaltsrichter in die OBDK zu wählen haben. Da die Zahl der von den einzelnen Kammern zu wählenden Anwaltsrichter der Zahl der im entsprechenden Land eingetragenen Rechtsanwälte entsprechen müßte, würden die niederösterreichischen Rechtsanwälte unsachlich benachteiligt.
Überdies widerspreche es dem "Geist der Verfassung", wenn nach dem ArtIV Abs12 des BG, BGBl. 524/1987 die von der seinerzeitigen Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland in die OBDK gewählten Anwaltsrichter bis zum Ablauf ihrer Funktionsperiode im Amt bleiben, obgleich mit dem zit. BG inzwischen eine eigene Rechtsanwaltskammer für Niederösterreich und eine solche für das Burgenland gebildet worden seien.
2. Der VfGH teilt diese Bedenken nicht:
a) Zur Widerlegung der Beschwerdebehauptung, die OBDK sei kein Tribunal iS des Art6 MRK, genügt es, auf die ständige Judikatur des VfGH (zB VfGH 26.11.1987 B576/87, 30.6.1988 B 1286/87) zu verweisen.
b) Aus Art94 B-VG ergibt sich, daß Gerichte und Verwaltungsbehörden weder durch einen Instanzenzug noch durch sonstige verfahrensrechtliche Verflechtungen zu einer Organisationseinheit verbunden werden dürfen (vgl. zB VfSlg. 7882/1976).
Weder Art94 B-VG noch eine andere Verfassungsbestimmung verbietet aber, eine bestimmte Behörde mit der Besorgung verschiedener Angelegenheiten zu betrauen und hiefür verschiedene Verfahren vorzusehen.
c) Die von der Bf. beanstandete Vorschrift des §1 Abs2 DSt über das Aufsichtsrecht des Bundesministers kommt für die OBDK nicht zum Tragen (vgl. insbes. §55e DSt) und ist daher hier nicht präjudiziell, sodaß die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift nicht zu erörtern ist.
d) Gleiches gilt für §55b DSt idF des ArtIII Z4 der DSt-Nov. 1987.
Die OBDK entschied hier nämlich in der nach §55b DSt idF vor dieser Nov. iVm ArtIV Abs12 DSt-Nov. 1987 vorgesehenen Zusammensetzung.
In der Beschwerde wird für die Behauptung, die Übergangsregelung des ArtIV Abs12 DSt-Nov. 1987 sei verfassungswidrig, keine substantiierte Begründung gegeben. Der VfGH hegt gegen diese Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist schon aus verwaltungsökonomischen Überlegungen gerechtfertigt und daher nicht unsachlich, die Zusammensetzung der OBDK auch nach Errichtung neuer Anwaltskammern bis zum Ablauf der (dreijährigen) Funktionsperiode unverändert zu lassen.
3. Der VfGH hat weder gegen die die OBDK
konstituierten Gesetzesbestimmungen (s. die vorstehende Z2), noch gegen die den angefochtenen Bescheid materiell tragenden Rechtsvorschriften verfassungsrechtliche Bedenken.
Der Vollziehung anzulastende, in die Verfassungssphäre reichende Fehler werden in der Beschwerde nicht behauptet; sie sind auch sonst im Verfahren nicht hervorgekommen.
Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid sohin weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Geltungsbereich eines Gesetzes, ÜbergangsbestimmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1110.1988Dokumentnummer
JFT_10118872_88B01110_00