Index
10 VerfassungsrechtNorm
FrPG §5 Abs1Leitsatz
Unrichtige Berechnung der Beschwerdefrist aufgrund einer unzutreffenden Auskunft des rechtsunkundigen Beschwerdeführers - bloß leichte Fahrlässigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten FallesSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, wird abgewiesen.
Der Bf. ist schuldig, dem Bund, zu Handen der Finanzprokuratur, die mit 10.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Die Bezirkshauptmannschaft Baden verhängte mit Bescheid vom 6. März 1985 gemäß §3 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, (FrPG) über den Bf. einen ungarischen Staatsangehörigen - ein bis 31. März 1990 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet.
Der Bf. verblieb dennoch weiterhin in Österreich. Die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien ordnete daher mit Bescheid vom 31. Mai 1988 gemäß §5 Abs1 FrPG iVm §57 Abs1 AVG 1950 zur Sicherung der Abschiebung die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) an. Der Bescheid wurde dem Bf. an diesem Tag um 09,30 Uhr zugestellt. Gleichzeitig wurde der Bf. in Haft genommen.
2. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 31. Mai 1988, 09,30 Uhr, erfolgte Festnahme des Bf. Darin wird die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Feststellung dieser Rechtsverletzungen, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.
3. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - BPD Wien als bel. Beh. legte den bezughabenden Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung, in eventu Zurückweisung der Beschwerde begehrt wird.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der Bf. macht geltend, seine Verhaftung sei deshalb rechtswidrig erfolgt, weil der Schubhaftbescheid vom 31. Mai 1988 nicht rechtswirksam zugestellt worden sei. Dazu führt er aus:
"Ich bin nämlich im Akt der Fremdenpolizei I-445048-FRB/88 durch Herrn Rechtsanwalt Dr. O P bzw. Herrn Rechtsanwaltsanwärter Dr. W vertreten und sind deren Vollmachten aus dem Akt ersichtlich. Das Vollmachtsverhältnis zu diesen beiden Herren ist bis zum Einschreiten meines nunmehrigen ausgewiesenen Rechtsanwaltes Dr. A St, der am 31.5.1988 gegen 11,00 Uhr Vollmacht legte, nicht aufgelöst worden.
Bis zum heutigen Zeitpunkt erfolgte keine rechtswirksame
Zustellung an Herrn Dr. O P bzw. Dr. W oder an den nunmehrigen
Rechtsanwalt Dr. St. ........"
....... Gemäß §9 des Zustellgesetzes ist aber eine
Zustellung nur dann wirksam, wenn sie an den
Zustellbevollmächtigten bzw. den Rechtsanwalt erfolgt. Eine
Zustellung an Vollmachtgeber ist unwirksam. Sie kann nur durch
tatsächliches Zukommen des Schriftstückes an den
Zustellungsbevollmächtigten geheilt werden."
Zwar trifft diese Rechtsansicht des Bf. zu (vgl. zB VfSlg. 10978/1986 und die dort zitierte weitere Judikatur und Literatur). Nicht im Recht ist der Bf. aber damit, daß hier ein Vertretungsverhältnis gegeben war.
Anders als in dem mit dem soeben zit. Erkenntnis abgeschlossenen Fall und anders als in jenen Fällen, die den dort weiters zitierten Erkenntnissen zugrundeliegen, bestand nämlich hier kein für die Behörde erkennbares Vertretungsverhältnis für das ganze fremdenpolizeiliche Verfahren. Vielmehr ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der BPD Wien, Zl. I-445.049/FrB/88, daß der Bf. zwar am 25. November 1985 gemäß §6 Abs2 FrPG beantragte, ihm einen Vollstreckungsaufschub zu bewilligen; diesem Antrag war eine RA Dr. P erteilte (allgemeine) Vollmacht beigelegt. In der Folge wurden aber alle weiteren Eingaben und sonstigen Verfahrenshandlungen vor dem Fremdenpolizeilichen Büro der BPD Wien vom Bf. selbst (ohne Einschaltung dieses oder eines anderen Rechtsanwaltes) eingebracht bzw. gesetzt; auch die Behörde wendete sich - ohne daß dies beanstandet worden wäre - an ihn persönlich und nicht an den Rechtsanwalt. Lediglich am 5. Feber 1987 zog der Rechtsvertreter namens des Bf. einen von diesem persönlich gestellten Antrag auf bescheidmäßige Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung zurück. In der Folge verkehrten aber der Bf. und die Behörde wieder ohne Einschaltung eines Rechtsanwaltes. Anläßlich der nun bekämpften Amtshandlung wies der Bf. nicht auf das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses hin. Die Behörde konnte mithin zu Recht annehmen, daß das seinerzeitige Vertretungsverhältnis zu Rechtsanwalt Dr. P erloschen sei. Der nunmehrige Beschwerdevertreter RA Dr. St legte dem Fremdenpolizeilichen Büro erstmals am 31. Mai 1988 um ca. 10,30 Uhr (also erst nachdem dem Bf. der Schubhaftbescheid bereits zugestellt worden war) eine Vollmacht vor.
Aus all dem folgt, daß die Zustellung des Schubhaftbescheides an den Bf. persönlich rechtswirksam war.
2. Die Schubhaft ist, wie sich aus dem (verfassungsrechtlich unbedenklichen) §5 Abs1 FrPG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein. Ein vollstreckbarer Schubhaftbescheid ist also Voraussetzung dafür, daß ein Fremder in Schubhaft genommen, in Schubhaft gehalten und in weiterer Folge iS des §13 FrPG abgeschoben werden darf. Weder die aufgrund eines vollstreckbaren Schubhaftbescheides erfolgte Festnahme und Anhaltung, noch die Abschiebung stellen (etwa bescheidmäßig zu treffende) Vollstreckungsverfügungen dar; sie sind Maßnahmen, die der Vollstreckung der vorangegangenen Bescheide (mit denen das Aufenthaltsverbot und die Schubhaft verhängt wurden) dienen. Derartige Verwaltungsakte, die bloß als Maßnahmen zur Vollstreckung vorangegangener Bescheide anzusehen sind, können nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt, als sogenannte "faktische Amtshandlungen" qualifiziert werden, die nach Art144 Abs1 B-VG beim VfGH bekämpfbar sind (vgl. zB VfSlg. 10978/1986 mit weiteren Judikaturhinweisen).
Die Beschwerde war daher mangels Zuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.
3. Die Zurückweisung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden, weil die Nichtzuständigkeit des VfGH offenbar ist.
4. Der Antrag, die Beschwerde dem VwGH abzutreten, war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer abweisenden Sachentscheidung oder Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde durch den VfGH in Betracht kommt.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
Schlagworte
Fremdenpolizei, SchubhaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1988:B1142.1988Dokumentnummer
JFT_10118872_88B01142_00