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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 12. Februar 1991, Zl. 3.32.46/1/91, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe an die Österreichische Botschaft in Ankara (die belangte Behörde) vom 23. Jänner 1991 stellte die nunmehrige Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, einen Antrag auf Erteilung eines "befristeten Wiedereinreise-Sichtvermerkes (Vorschlag: 2 Jahre)". Begründend führte die Beschwerdeführerin an, sie sei seit 24. Juli 1990 mit Selim C verheiratet. Dieser sei seit vielen Jahren in Österreich aufenthaltsberechtigt und beschäftigt. Sämtliche Voraussetzungen für die Familienzusammenführung wären gegeben; allerdings vertrete die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn die Auffassung, es liege keine entsprechende Unterkunft vor. Dies sei jedoch nicht richtig, da der Gatte der Beschwerdeführerin mit seiner Mutter im Haus L, X-Straße, eine 60 m2 Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, Küche sowie Nebenräume bewohne. Die persönlichen Interessen rechtfertigten daher die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung; öffentliche Interessen stünden nicht entgegen. Diesem Antrag waren Auszüge aus dem Paß des Gatten der Beschwerdeführerin, die Heiratsurkunde sowie eine "Unterkunftserklärung" angeschlossen.
Ohne weitere Ermittlungsschritte richtete die belangte Behörde daraufhin unter dem Datum 12. Februar 1991 an den Vertreter der Beschwerdeführerin ein Schreiben folgenden Wortlautes:
"Sehr geehrter Herr RechtsanwaltÜ
Da, laut eigenen, aus ha. Sicht glaubwürdigen Angaben, die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn im gegenständlichen Fall das Vorliegen einer den ortsüblichen Verhältnissen entsprechenden Wohnung als nicht gegeben erachtet, wird der Sichtvermerksantrag von Frl. N abgelehnt.
Anbei wird die übermittelte Heiratsurkunde retourniert.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Zach
Botschaftssekretär"
Durch dieses von der Beschwerdeführerin als Bescheid gewertete Schreiben erachtet sie sich in "ihrem Recht verletzt, eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Sichtvermerk) für Österreich zu bekommen".
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten (in Ablichtung) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Was zunächst die rechtliche Qualifizierung der angefochtenen Erledigung anlangt, so pflichtet der Verwaltungsgerichtshof der Beschwerdeführerin bei, daß mit dieser in normativer Weise über den von ihr gestellten Antrag vom 23. Jänner 1991 auf Ausstellung eines befristeten Sichtvermerkes abgesprochen wurde, die besagte Erledigung somit als Bescheid zu werten ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067, und die dort zitierte Rechtsprechung). Die Beschwerde ist demnach zulässig.
Gemäß § 23 Abs. 1 Paßgesetz, BGBl. Nr. 422/1969, (PaßG 1969) bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes; dies gilt nicht, wenn durch zwischenstaatliche Vereinbarung anderes bestimmt wird oder wenn der Fremde während einer Zwischenlandung auf einem österreichischen Flugplatz dessen Transitraum nicht verläßt (Transitreisender).
Im Beschwerdefall bedurfte die Beschwerdeführerin eines Sichtvermerkes (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067).
Nach § 25 Abs. 1 PaßG 1969 kann einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß Abs. 3 vorliegt. Zufolge des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Gemäß § 25 Abs. 3 PaßG 1969 ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn (lit. e) die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin, auf die Versagungsgründe des § 25 Abs. 3 PaßG 1969 sei im vorliegenden Fall nicht einzugehen, da sich die belangte Behörde "weder ausdrücklich noch schlüssig" auf einen in dieser Bestimmung angeführten Versagungsgrund bezogen habe, ist der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht, daß die im angefochtenen Bescheid für die Versagung des beantragten Sichtvermerkes gegebene Begründung, nämlich das Fehlen einer geeigneten Unterkunft, auf den Tatbestand des § 25 Abs. 2 lit. e leg. cit. Bezug nimmt. Daß diese Subsumtion - sofern sie sachverhaltsmäßig begründet ist - nicht als rechtswidrig anzusehen ist, entspricht der hg. Rechtsprechung (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067). Auch ist der Beschwerdeführerin entgegenzuhalten, daß die von ihr vermißte Berücksichtigung des Grundsatzes der "Familieneinheit" nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung gemäß § 25 Abs. 1 und 2 PaßG 1969 in Betracht käme (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 91/19/0092). Das von der Beschwerdeführerin zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1984, Zl. 82/01/0145, besagt nichts Gegenteiliges.
Die Beschwerde rügt, daß die belangte Behörde gegen den Grundsatz des Parteiengehörs verstoßen habe; hätte sie Parteiengehör gewährt, wäre "zum Vorschein gekommen, daß sehr wohl eine ausreichende Unterkunft vorhanden ist".
Damit gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland in Sichtvermerksangelegenheiten zwar nicht das AVG, wohl aber die in diesem Gesetz niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens anzuwenden; zu diesen Grundsätzen zählt auch die Gewährung des Parteiengehörs (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0068). Dessen ungeachtet war im Beschwerdefall für die Anwendung des Grundsatzes des Parteiengehörs deshalb kein Raum, weil sich die Gewährung des rechtlichen Gehörs ausschließlich auf das Ergebnis der Beweisaufnahme erstreckt (vgl. § 45 Abs. 3 AVG), von der belangten Behörde jedoch keine Beweise aufgenommen wurden.
Zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens gehört aber auch die Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes in einem Ermittlungsverfahren durch die Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Juli 1948, Slg. Nr. 499/A, und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1955, Slg. Nr. 2892). Gleiches gilt hinsichtlich der Begründungspflicht für Bescheide (vgl. neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ihre Entscheidung im wesentlichen auf eine ihr inhaltlich nicht näher bekannte Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gestützt, deren Aussage, es liege keine entsprechende Unterkunft vor, mit den Angaben der Beschwerdeführerin in Widerspruch steht. Wollte die belangte Behörde daher diese Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn in ihre Überlegungen miteinbeziehen, so wäre sie verpflichtet gewesen, sich über den konkreten Inhalt der Stellungnahme Kenntnis zu verschaffen. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift im übrigen darauf verweist, daß die von der Beschwerdeführerin vorgelegte "Unterkunftserklärung" in einem wesentlichen Punkt (lit. d: "Anzahl der Bewohner der Unterkunft") nicht ausgefüllt gewesen sei, so ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, daß es ihr - wollte sie den Angaben der Beschwerdeführerin im Antrag vom 23. Jänner 1991 über den Belag der Wohnung nicht Glauben schenken - oblegen wäre, eine entsprechende Begründung hiefür anzuführen.
Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze außerhalb des Anwendungsbereiches des AVG VwRallg10/2Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel AllgemeinSachverhalt SachverhaltsfeststellungBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelOffenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff AllgemeinParteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenBescheidcharakter BescheidbegriffMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Rechtsverletzung des Beschwerdeführers Beschwerdelegitimation bejahtParteiengehör AllgemeinVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Allgemein VwRallg10/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190096.X00Im RIS seit
06.08.2001Zuletzt aktualisiert am
01.04.2010