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60/02 Arbeitnehmerschutz;Norm
AAV §46 Abs11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des Franz W in S, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 2. April 1991, Zl. Ge - 39.781/14 - 1991/Bi/T, betreffend Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung-AAV, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Hinsichtlich der Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 23. April 1990, Zl. 90/19/0079, verwiesen.
Mit dem allein in Beschwerde gezogenenen Punkt II. des nunmehr angefochtenen Bescheides wurde die Berufung des Beschwerdeführers "in Punkt b)" (betreffend die Übertretung des § 46 Abs. 11 AAV) als unbegründet abgewiesen und das erstinstanzliche Straferkenntnis in diesem Punkt bestätigt. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, es sei durch die Zeugenaussage des Dieter L erwiesen, daß ein sicherer Zugang zu dem Arbeitsplatz auf dem Gerüst nicht hergestellt worden sei, da, um auf das Gerüst zu gelangen, erst eine Höhe von 1,5 bzw. 1,8 m zu überwinden gewesen sei. Bei dieser Höhe könne jedoch ein Abstürzen der Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen werden, weshalb die Beschaffenheit der Zugangsmöglichkeit nicht den Voraussetzungen des § 46 Abs. 11 AAV entspreche.
Gegen diesen Teil des angefochtenen Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Strafverwaltungsverfahren vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In dem oben angeführten Vorerkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof aus, daß, da die in § 46 Abs. 11 erster Satz AAV enthaltene Aufzählung ("wie Leitern, ...") bloß demonstrativer Natur sei, ein sicherer Zugang zu Arbeitsplätzen auf Gerüsten auch auf andere Weise hergestellt werden könne. Der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsstrafverfahren behauptet, daß es den am Gerüst tätigen Arbeitnehmern ohne weiteres möglich gewesen sei, von den Balkonbrüstungen bzw. Fenstern das Gerüst zu betreten. Dieser Zugang sei sicherer gewesen als ein allenfalls angebrachter vertikaler Aufstieg und jedenfalls genauso sicher wie eine horizontale Laufbrücke. Die Beurteilung der Frage, ob der vom Beschwerdeführer behauptete Zugang tatsächlich als sicherer Zugang im Sinne des § 46 Abs. 11 AAV qualifiziert werden könne, erfordere genaue Feststellungen über die Beschaffenheit dieser Zugangsmöglichkeit, insbesondere über Art und Umfang der bei ihrer Benützung allenfalls zu überwindenden Hindernisse. Wenn sich die belangte Behörde damit begnügt habe, lediglich aufgrund der Zeugenaussage des Arbeitsinspektors festzustellen, daß das Gerüst ausschließlich durch ungesichertes Klettern über die Balkonbrüstung erreichbar gewesen sei, so reiche diese Feststellung zur Beurteilung der maßgeblichen Rechtsfrage im Sinne der obigen Darlegungen mangels näherer Angaben insbesondere über die Höhe der bei der "Kletterei" zu übersteigenden Fensterbrüstung und deren Entfernung vom nächsten sicheren Standplatz auf dem Gerüst nicht aus.
Im fortgesetzten Verfahren wurden die vom Beschwerdeführer über die Art des Zuganges namhaft gemachten Zeugen vernommen. Die Zeugen Kemal G und Alfred V konnten sich an den maßgeblichen Sachverhalt nicht mehr erinnern. Der letztgenannte Zeuge legte ein Lichtbild des Gerüstes vor, das allerdings über die hier wesentlichen Fragen keine Aufschlüsse zu geben vermag. Der Zeuge Dieter L gab an, daß die jeweiligen Gerüstetagen aus dem Bau heraus der Höhe nach den Stockwerken entsprechend durch den Maler bestiegen worden seien. Von der jeweiligen Brüstung aus bis zum nächsten gesicherten Standort auf dem Gerüst sei ein Abstand von 1,5 bis 1,8 m "höchstens" gegeben gewesen. Die höchste Ausstiegsstelle des Malers sei in ca. 20 m Höhe gewesen. Die darüberliegende Arbeitsbühne sei vom Arbeitsraum aus entsprechend gesichert begehbar gewesen.
In der Stelllungnahme vom 29. November 1990 vertrat der Beschwerdeführer den Standpunkt, daß aus den Angaben der vernommenen Zeugen sowie dem vorgelegten Lichtbild, welches bereits vor Fertigstellung des Gerüstes angefertigt worden sei, eindeutig erschlossen werden könne, daß die Arbeitsplätze auf diesem Gerüst entgegen der Darstellung der Berufungsbehörde sehr wohl sicher erreichbar eingerichtet gewesen seien. Demnach sei das Gerüst über Balkonbrüstungen und Fenster ohne jegliche Gefahr einer Verletzung sicher zu betreten gewesen. In der Stellungnahme vom 24. Jänner 1991 führte er aus, daß allein aus der Tatsache, daß gegenständlichenfalls keine Leitern angebracht gewesen seien, entgegen den Ausführungen des Arbeitsinspektorates keine Verwaltungsübertretung abgeleitet werden könne.
Wenn die belangte Behörde aufgrund dieser Verfahrensergebnisse feststellte, daß von den Arbeitnehmern, um zum Arbeitsplatz auf dem Gerüst zu gelangen, erst eine Höhe von 1,5 bzw. 1,8 m zu überwinden gewesen sei, und in rechtlicher Hinsicht zum Schluß gelangte, daß diese Beschaffenheit der Zugangsmöglichkeit nicht den Voraussetzungen des § 46 Abs. 11 AAV entspreche, so kann ihr nicht entgegengetreten werden. Bei der Notwendigkeit, eine Höhe von bis zu 1,8 m überwinden zu müssen, kann von der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes auf dem Gerüst über sicher begehbare Zugänge keine Rede sein. Daran ändert auch nichts, wenn die Arbeitnehmer bei Verwendung einer Leiter - wie der Beschwerdeführer vorbringt - etwa 20 m hoch klettern hätten müssen, um auf die entsprechende Gerüstetage zu gelangen. Daß die Arbeitnehmer die Balkonbrüstung durch Stehleitern überwunden hätten, ist eine erstmals in der Beschwerde aufgestellte und somit kraft des in § 41 Abs. 1 VwGG verankerten Neuerungsverbotes unbeachtliche Behauptung. Da der Beschwerdeführer dadurch, daß er dieses Vorbringen trotz gebotener Gelegenheit nicht bereits im Verwaltungsstrafverfahren erstattet hat, seine Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, verletzte, kann auch seiner die Unterlassung entsprechender Feststellungen betreffenden Verfahrensrüge kein Erfolg beschieden sein (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3 616 zitierte Rechtsprechung). Wenn der Beschwerdeführer ferner Feststellungen darüber vermißt, welcher Abstand zwischen dem Standplatz auf dem Gerüst und der jeweiligen Brüstung gewesen sei, so geht diese Rüge ins Leere, weil die Behörde - wie der obigen Darstellung zu entnehmen ist - solche Feststellungen ohnedies getroffen hat. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist daher der objektive Tatbestand der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung erfüllt.
Da der Beschwerdeführer keine konkreten Anhaltspunkte geltend machte, die die Annahme rechtfertigen könnten, daß sein Verschulden geringfügig sei, und solche auch nach der Aktenlage nicht erkennbar sind, fehlt dem Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde hätte gemäß § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe absehen müssen, jedes Substrat.
Die Beschwerde kann auch nicht zum Erfolg führen, wenn darin als Verstoß gegen § 44a lit. b bzw. c VStG gerügt wird, daß nur § 46 Abs. 11 AAV sowie § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz ohne Bezugnahme auf § 24 Arbeitnehmerschutzgesetz angeführt worden seien. Für die Notwendigkeit der Zitierung letztgenannter Vorschrift fehlt jede Rechtsgrundlage. Auch in dem Umstand, daß der die Berufung abweisende Teil des angefochtenen Bescheides auf § 66 Abs. 4 "VStG 1950" (richtig: AVG 1950) in Verbindung mit § 24 (gemeint wohl: VStG 1950) und § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz gestützt wurde, kann keine zur Aufhebung des Bescheides führende Rechtswidrigkeit erblickt werden, weil diese Unrichtigkeiten den normativen Inhalt des Bescheides unberührt lassen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190156.X00Im RIS seit
02.08.1991