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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des M in V, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 4. März 1991, GZ 9/5-DOK/91, betreffend Disziplinarverfahren (Schuldspruch ohne Strafe), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Gruppeninspektor der Sicherheitswache in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist die Bundespolizeidirektion Villach, wo er am Wachzimmer Z Dienst versieht.
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres den Beschwerdeführer, nachdem die Staatsanwaltschaft Klagenfurt der Dienstbehörde mit Schreiben vom 31. August 1990 unter Bezugnahme auf die Anzeige vom 21. August 1990 mitgeteilt hatte, daß zur Verfolgung des Beschwerdeführers wegen Mißbrauches der Amtsgewalt kein Grund gefunden und die Anzeige am 27. August 1990 gemäß § 90 Abs. 1 StPO zurückgelegt worden sei, nach durchgeführter mündlicher Verhandlung mit Erkenntnis vom 12. Dezember 1990 schuldig erkannt, am 20. Juni 1990 um ca. 02.00 Uhr vom Gastwirt Hans N im Wachzimmer Z telefonisch verständigt worden zu sein, daß der Polizeibeamte Manfred W in seinem Lokal "X-Bar" sei, sich zur Zeit im Damen-WC befinde, eine Pistole in der Hand und mit dem Discjockey eine verbale Auseinandersetzung habe und es trotz Vorliegens eines Offizialdeliktes gemäß § 24 StPO unterlassen hätte, sofort einzuschreiten oder sofort eine Funkstreife an den Tatort zu entsenden und in weiterer Folge eine Fahndung nach dem genannten Kriminalbeamten einzuleiten. Er hätte dadurch gegen § 43 Abs. 1 und 2 BDG 1979 verstoßen und eine Dienstpflichtverletzung iSd § 91 leg. cit. begangen. Von der Verhängung einer Strafe war im Grunde des § 115 BDG 1979 abgesehen worden.
Die Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt als Disziplinarbehörde zweiter Rechtsstufe gab mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 4. März 1991 der Berufung des Beschwerdeführers, in der er die Annahme einer Dienstpflichtverletzung deshalb als rechtswidrig bezeichnete, weil eine Sofortfahndung unzweckmäßig gewesen sei, da der drohende Kriminalbeamte Manfred W schon während des Telefongespräches den Tatort verlassen habe und ferner die Feststellung, er sei vom Zeugen Hans N im Zuge des Telefongespräches darauf hingewiesen worden, daß der genannte Kriminalbeamte bei seiner verbalen Auseinandersetzung mit dem Discjockey eine Pistole in der Hand habe, als unrichtig bezeichnete, keine Folge. Zur Begründung führte die Rechtsmittelbehörde nach Darstellung des Sachverhaltes und Verwaltungsgeschehens aus, zum Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich unrichtiger Beweiswürdigung sei zunächst auf die vom Zeugen Hans N gemachten Aussagen näher einzugehen, zumal, wie der Beschwerdeführer richtig feststelle, ausschließlich dieser Zeuge und der Beschwerdeführer selbst über den Inhalt des fraglichen Telefongespräches Auskunft geben könnten. Der genannte Zeuge sei erstmals am 20. Juni 1990 von Beamten des Landesgendarmeriekommandos für Kärnten, Kriminalabteilung, vernommen worden und habe hiebei angegeben, daß er dem Polizeibeamten am Telefon gesagt habe, daß der Kripo-Beamte W in seinem Lokal mit einer Waffe "herumtue". Diese Einvernahme sei zwar keineswegs auf die Klärung des genauen Wortlautes des Telefonates zwischen dem Beschwerdeführer und dem Zeugen Hans N gerichtet gewesen, sondern auf eine Klärung des Sachverhaltes bezüglich des Tötungsdeliktes, sodaß ihr keine besondere Aussagekraft im gegenständlichen Verfahren zuzuerkennen sei. Dennoch habe der genannte Zeuge - wenngleich er nur von einem Polizeibeamten am Telefon gesprochen habe - auch hiebei bereits bestätigt, die Waffe erwähnt zu haben. Der Zeuge Hans N sei ein weiteres Mal am 26. Juli 1990 von Dr. K, Bundespolizeidirektion Villach, vernommen worden, wobei er - nun näher zum Inhalt des Telefongespräches befragt - dezidiert angegeben habe, dem Beschwerdeführer gegenüber die Mitteilung gemacht zu haben, daß Manfred W eine Waffe in der Hand gehabt habe. In der mündlichen Verhandlung vor der Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe habe der Zeuge Hans N am 6. Dezember 1990 grundsätzlich auf die von ihm in den vorerwähnten Niederschriften gemachten Angaben hingewiesen und - vom Vorsitzenden konkret befragt - neuerlich bestätigt, daß er dem Beschwerdeführer gegenüber gesagt habe, daß Manfred W eine Pistole in der Hand habe. Der Beschwerdeführer habe sich dem gegenüber von Anfang der Ermittlungen an dahin verantwortet, von Hans N keine Mitteilung darüber erhalten zu haben, daß Manfred W eine Waffe gehabt habe. Da die Aussage des Beschwerdeführers den Angaben des Zeugen Hans N gegenüberstehe, habe die belangte Behörde zu befinden gehabt, welcher Aussage unter Bedachtnahme auf weitere Beweise und sonstige, für die Angelegenheit bedeutsame Umstände die höhere Glaubwürdigkeit zuzuerkennen sei. Nach Meinung der belangten Behörde hätte die Erwähnung der Waffe im Telefongespräch bereits ausreichen müssen, den Beschwerdeführer zur Einleitung von Sofortmaßnahmen zu veranlassen. Gerade der Umstand, daß der Zeuge Hans N aber offenbar aus Furcht vor Repressalien seine Annahme, es werde durch Manfred W "etwas passieren", und seine Aufforderung an den Beschwerdeführer, "etwas zu unternehmen", nur informativ gegenüber Dr. K geäußert habe, zeige aber, daß der genannte Zeuge den Beschwerdeführer keineswegs leichtfertig belastet habe, sondern daß er - gleichsam in einer Art von Zwangssituation bzw. eines Interessenkonfliktes - eher geneigt gewesen sei, das Verhalten des Beamten überkritisch zu beurteilen, vermutlich in der Annahme, damit auch weiterhin das gute Einvernehmen mit der Behörde zu bewahren. Würde man nun der Argumentation der Verteidigung folgen und dem Zeugen Hans N die Glaubwürdigkeit aberkennen, so erschiene es nicht erklärlich, weshalb eine Person, die es einerseits aus Rücksichtnahme auf das ungetrübte Verhältnis zur "Polizei" ablehne, einen Beamten belastende Angaben zu unterfertigen, anderseits nicht bereit sei, eine Aussage in der Weise abzuschwächen, daß in dem Telefonat von einer Pistole nicht die Rede gewesen sei. Nach Meinung der belangten Behörde lasse dies vielmehr erkennen, daß der genannte Zeuge, nachdem er bei seiner Einvernahme die Waffe erstmals erwähnt hatte, sich verpflichtet gefühlt habe, bei dieser Darstellung, die er für wahrheitsgemäß gehalten habe, zu bleiben, selbst wenn dies seinem Bestreben, ein gutes Einvernehmen mit dem Beamten zu erhalten, zuwiderlaufen würde. Für die Annahme der Richtigkeit der Aussage des Zeugen Hans N spräche weiters, daß der Zeuge Georg L bestätigt habe, dem Zeugen Hans N gegenüber den Umstand erwähnt zu haben, daß Manfred W bewaffnet gewesen sei. Es könne als zweifelsfrei gelten, daß der Zeuge Hans N bei seiner Schilderung des Sachverhaltes gegenüber dem Beschwerdeführer den Vorfall so dramatisch dargestellt habe, wie er sich nach Aussage des Zeugen Georg L auch zugetragen habe. Dafür spreche insbesondere auch die Aussage des Zeugen Rev.Insp. H, der das Gespräch mit dem Zeugen Hans N an den Beschwerdeführer weitergeleitet habe. Unbestritten sei auch die Tatsache geblieben, daß der Zeuge Hans N das Gespräch mit dem Beschwerdeführer unterbrochen habe, um sich danach zu erkundigen, was "im Lokal los sei". Gerade dies sei als deutlicher Hinweis darauf zu werten, daß das Telefonat keineswegs kurz und inhaltlich oberflächlich gewesen sei, sondern daß sehr wohl Einzelheiten zur Sprache gekommen seien. Wie die allgemeine Lebenserfahrung zeige, werde in gravierenden und bedrohlichen Situationen vielleicht unerheblichen Einzelheiten keine oder untergeordnete Bedeutung beigemessen, wenn aber eine Bedrohung mit einer Waffe stattfinde, so präge sich gerade dieser Umstand wegen seiner besonderen Gefährlichkeit im Bewußtsein ein und werde bei einer Anforderung von polizeilicher Hilfe zumindest erwähnt, um eine Intervention sicherzustellen. Für die belangte Behörde bestehe somit kein Zweifel an der Richtigkeit der schlüssigen, während des gesamten Verfahrens unveränderten Aussage des Zeugen Hans N, der diese Angaben unter mit gerichtlicher Strafsanktion versehener Wahrheitspflicht abgelegt habe, wobei auch kein Grund erkennbar sei, der die Annahme einer leichtfertigen oder vorsätzlichen Belastung des Beschwerdeführers durch den Zeugen zugelassen hätte. Vielmehr habe sich der genannte Zeuge eher geneigt gezeigt, das Verhalten des Beamten nicht allzu kritisch darzustellen, wie die Angelegenheit mit dem von Dr. K angefertigten Aktenvermerk zeige. Wenngleich dem Beschwerdeführer als langjährigen, erfahrenen und bisher ausgezeichneten Beamten keineswegs leichtfertig die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei, so habe die belangte Behörde dennoch nicht umhin können, die Feststellung zu treffen, daß er einerseits seine Verantwortung im Verfahren frei wählen konnte und er anderseits offenbar in der Annahme, sein Fehlverhalten rechtfertigen zu können, bei seiner Darstellung des Sachverhaltes geblieben sei. Seine Verantwortung sei damit als Schutzbehauptung zu qualifizieren. Der vorliegende Sachverhalt sei als erwiesen anzunehmen. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sei davon auszugehen, daß - ausgehend vom Wissen des Beschwerdeführers um die Bedrohung mit einer Waffe - die Gefahrenlage ausreichend umrissen gewesen sei und eine Fahndung nach dem Täter unbedingt erforderlich gewesen wäre. Ob nun der Discjockey oder die Freundin des Täters bedroht worden sei, erscheine in diesem Zusammenhang unerheblich, so daß der diesbezüglichen Argumentation des Beschwerdeführers entschieden entgegen zu treten gewesen sei. Den Ausführungen, der Täter habe noch während des Telefonates das Lokal verlassen, sodaß eine Sofortmaßnahme erfolglos geblieben wäre, sei ebenfalls keine Berechtigung zuzuerkennen, zumal mit einer jederzeitigen Rückkehr hätte gerechnet werden müssen. Dies umso mehr, wenn davon auszugehen sei, daß der Discjockey bedroht worden sei. In diesem Zusammenhang von Bedeutung erschiene allerdings, daß dem Beschwerdeführer von Anfang an bekannt gewesen sei, daß Manfred W mit seiner Verlobten eine Auseinandersetzung gehabt habe, sodaß keineswegs nur der Discjockey als gefährdet einzuschätzen gewesen wäre, sondern auch die Verlobte. Insbesondere von einem erfahrenen Polizeibeamten hätte man dabei erwarten können, daß er die Verbindung zu einem möglichen Eifersuchtsmotiv herstellen könnte, das häufig die Ursache für gewalttätige Überreaktionen darstelle. Dem Beschwerdeführer werde keineswegs ein Verschulden an der Nichtverhinderung des nachfolgenden Mordes angelastet. Gegenstand des Disziplinarverfahrens sei lediglich die fahrlässige Unterlassung der Einleitung von Sofortmaßnahmen iSd § 24 StPO in Verkennung der möglichen Folgen. Dieses Fehlverhalten erscheine aber durch die vorliegenden Beweise erwiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Disziplinarverfahrens vor; von der ihr eingeräumten Möglichkeit, zur Beschwerde eine Gegenschrift zu erstatten, machte sie keinen Gebrauch.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen in dem Recht verletzt, daß er nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 43, 91 BDG 1979 disziplinarrechtlich einer Dienstpflichtverletzung als schuldig erkannt werde, durch deren unrichtige Anwendung iVm § 24 StPO, sowie durch unrichtige Anwendung der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bekämpft der Beschwerdeführer im Einklang mit seinem Vorbringen im Administrativverfahren die Beweiswürdigung der belangten Behörde und führt zur Frage der Dienstpflichtverletzung im wesentlichen aus, er habe von einer etwas heftigeren Auseinandersetzung in einem Gastlokal gehört, wobei - selbst unter Einbeziehung, daß ein Beteiligter eine Schußwaffe in der Hand gehalten haben soll - das Besondere eher darin gelegen gewesen sei, daß ein Kriminalbeamter beteiligt gewesen sei, es aber anderseits nicht einmal zu direkten Handgreiflichkeiten gekommen sei und die Beteiligten sodann wieder auseinander gegangen seien. Es sei eine absolut fiktive Unterstellung, daß davon ausgehend eine sofortige Aktion der Praxis entsprechen würde und es sei auch durch nichts begründbar, daß eine dahingehende Dienstpflicht bestehe. Es müßte eine Vervielfachung des Polizeiapparates realisiert werden, damit ein solches Einschreiten auch nur als sinnvoll erscheinen könnte, weil ja anderseits jederzeit eine anderweitige Notwendigkeit eines Einschreitens auftreten könne.
Diesem Vorbringen bleibt es verwehrt, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erweisen.
Gemäß dem zur Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides erhobenen § 43 Abs. 1 BDG 1979 ist der Beamte verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen. Nach der Anordnung des Abs. 2 der zitierten Gesetzesstelle hat der Beamte in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, daß das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.
Gemäß § 24 erster Satz StPO haben die Sicherheitsbehörden allen Verbrechen und Vergehen, sofern sie nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten untersucht werden, nachzuforschen und, wenn das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen, die zur Aufklärung der Sache dienen oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die Flucht des Täters verhüten können.
Nach Art. II § 4 Abs. 2 V-ÜG 1929 können die mit der Führung der Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheitspolizei betrauten Behörden zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit des Menschen oder des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen. Zu diesen Anordnungen gehören nicht nur generelle, sondern auch individuelle Anordnungen (vgl. VfSlg. 3447/1958). Mit Erkenntnis vom 30. April 1964, VfSlg. 4692, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, daß unter den Begriff der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit auch die von den Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz vorzunehmenden Amtshandlungen zu subsumieren sind. Wären im Beschwerdefalle über Veranlassung des Beschwerdeführers Amtshandlungen durchgeführt worden, so wären sie im Dienste der Strafrechtspflege vorgenommen worden, weil die gefährliche Drohung eine von den Gerichten zu ahndende strafbare Handlung ist (§ 107 StGB).
Die belangte Behörde ging bei ihrer Entscheidung von der Annahme aus, der Beschwerdeführer sei vom Zeugen Hans N telefonisch davon in Kenntnis gesetzt worden, daß der Kriminalbeamte Manfred W mit der Pistole in der Hand eine verbale Auseinandersetzung mit dem Discjockey führe. Die dieser Auffassung zugrundeliegende tatbestandsbezogene Sachverhaltsannahme der belangten Behörde erweist sich als nicht rechtswidrig.
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte Hans N anläßlich seiner am 26. Juli 1990 unter Wahrheitserinnerung erfolgten Vernehmung als Zeuge vor der Bundespolizeidirektion Villach zur Niederschrift folgende Aussage abgegeben:
"Zum damaligen Zeitpunkt rief ich die Polizei Villach unter der Telefonnummer 2033-0 an. Ich erzählte dem Vermittler, daß der Polizist W in meinem Lokal mit einer Waffe herumhantiere. Der Vermittler fragte mich, ob W betrunken sei, und ich sagte "vermutlich". Daraufhin vermittelte er mich an das Wachzimmer Landskron weiter, wo Herr Insp. M ans Telefon kam. Ich teilte M mit, daß der Kriminalbeamte W bei mir im Lokal sei, sich zur Zeit auf dem Damen-WC befinde, eine Pistole in der Hand habe und mit dem Discjockey eine verbale Auseinandersetzung habe. Da ich von der Rezeption aus telefonierte und W und der Discjockey mittlerweise in der Halle befanden, legte ich den Höhrer hin. Nachdem ich zu M gesagt hatte, er solle einen Moment warten, ich ginge kurz schauen, was los ist. Da W sich gerade entfernen wollte, sagte ich zum Discjockey und zu W daß die beiden (W EXfreundin und ihr jetziger Freund bereits gegangen sei, worauf auch W sich entfernte. Ich ging daraufhin zurück zum Telefon und teilte M welcher noch nicht aufgelegt hatte, mit, daß W soeben gegangen sei. Daraufhin legte ich auf."
In der mündlichen Verhandlung vor der Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe am 6. Dezember 1990 beantwortete der genannte Zeuge die Frage des Vorsitzenden, ob er im Telefongespräch mit dem Beschwerdeführer die Pistole erwähnt habe, mit "Ja".
Der Beschwerdeführer bekämpft mit seiner Verfahrensrüge ausschließlich die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung.
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG, der gemäß § 105 BDG 1979 auch im Disziplinarverfahren gilt, hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Die freie Beweiswürdigung einer belangten Behörde unterliegt insoweit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, als der Verwaltungsgerichtshof überprüft, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h., ob sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Ob die Beweiswürdigung materiell richtig ist, d.h. ob sie mit der objektiven Wahrheit übereinstimmt, entzieht sich hingegen der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof; doch führen wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung zur Aufhebung des Bescheides (vgl. z.B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, VwSlg. 11.894/A).
Leugnet in Ansehung des Grundsatzes des "nemo tenetur se ipsum accusare" ein Beschuldigter, der gemäß § 124 Abs. 7 BDG 1979 im Disziplinarverfahren zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht gezwungen werden darf, eine für ihn nachteilige Sache, so ist es den Disziplinarbehörden nicht aufgegeben, im naturwissenschaftlich-mathematisch exakten Sinn den Bestand der in Abrede gestellten Tatsache nachzuweisen. Es genügt vielmehr, wie schon aus dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 AVG hervorgeht, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen möglichen Ereignissen eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewißheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen läßt (vgl. VwSlg. 6019/F).
Der Verwaltungsgerichtshof der die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen befugt ist, kann indessen nicht finden, daß deren in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargestellte umfangreiche Argumentation nicht beweiskräftig wäre oder sonst gegen Verfahrensvorschriften verstoßen würde. Die Beschwerdeausführungen lassen in dem hier zu entscheidenden Fall in keiner Weise den von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt als unzureichend oder sonst nicht ordnungsgemäß ermittelt oder als nicht in schlüssiger Weise gewürdigt erscheinen. Zu Recht weist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf hin, daß es nicht erfindlich erscheine, weshalb der unter Wahrheitspflicht stehende und als Zeuge vernommene Hans N sich durch eine vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Argumentation der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung wegen falscher Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde aussetzen sollte.
Auf Grund des von der belangten Behörde in nicht rechtswidriger Weise festgestellten Sachverhaltes kann in der Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei telefonisch in Kenntnis gesetzt worden, daß Manfred W mit der Pistole in der Hand eine verbale Auseinandersetzung mit dem Discjockey Georg L führe, keine Rechtswidrigkeit erblickt werden.
In der Sache selbst ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, daß nicht jede mangelhafte Arbeitsweise pflichtwidrig ist. Grundsätzlich schuldet jeder Beamte nur eine im Ganzen durchschnittliche Leistung. Auch der fähigste und zuverlässigste Beamte ist Schwankungen seiner Arbeitskraft unterworfen und macht gelegentlich Fehler, die jede Verwaltung vernünftigerweise in Kauf nehmen muß. Ein einmaliges Versagen ist allerdings dann gesondert zu werten, wenn es sich um eine vorsätzliche Widersetzlichkeit oder um eine bewußte Gleichgültigkeit gegenüber erteilten Weisungen handelt. Es kann aber im Einzelfalle auch Fahrlässigkeit (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1990, Zl. 89/09/0025) genügen, insbesondere dann, wenn wegen der voraussehbaren erheblichen Nachteile schon bei einem geringen Versagen eine erhöhte Sorgfalt geboten ist. Je näher die Möglichkeit von dienstlichen Auswirkungen einer Nachlässigkeit liegt oder je höher der mögliche Schaden abzusehen ist, desto geringere Grade der Fahrlässigkeit können dann schon vorwerfbar sein. Das gilt speziell für den Bereich der besonders gefahrenträchtigen Aufgaben, wie etwa beim Dienst der Exekutive mit der Waffe.
Die Sicherheitsbehörden haben, wie oben dargelegt, die allgemeinen Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Inneren abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen.
Läßt sich ein außer Dienst befindlicher Kriminalbeamter um 02.00 Uhr nachts in einer Bar mit der Pistole in der Hand in eine verbale Auseinandersetzung mit dem Discjockey ein und wird von diesem Vorfall ein in Rufbereitschaft befindliches Exekutivorgan vom Lokalinhaber telefonisch verständigt und unternimmt dasselbe nichts, um den flüchtenden Waffenbesitzer zu verfolgen, den hievon betroffenen Personen die unbedingt erforderliche Hilfe zu leisten und den Sachverhalt sofort aufzuklären, so ist die Feststellung der Disziplinarbehörden, es sei diese Untätigkeit als eine schuldhafte Pflichtverletzung zu qualifizieren, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Vor dem Hintergrund dieser Sach- und Rechtslage verletzte die belangte Behörde durch den angefochtenen Bescheid den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht, wegen der zur Last gelegten Unterlassung nicht disziplinarär zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Schlagworte
Beweismittel Beschuldigtenverantwortung freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991090084.X00Im RIS seit
23.03.2001