TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/10 90/04/0326

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Veröffentlicht am 10.09.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 24. Oktober 1990, Zl. 551.282/77-VIII/1/90, betreffend Zurückweisung einer Berufung (mitbeteiligte Partei: A-GmbH in X, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In Ansehung des bisherigen Verfahrensganges wird - um Wiederholungen zu vermeiden - auf die entsprechenden Darlegungen im hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 89/04/0276, verwiesen, mit dem zufolge Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde der auch nunmehr beschwerdeführenden Partei der Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 17. November 1989, Zl. 551.282/196-VIII/1/89, im Umfang seines in Beschwerde gezogenen Spruchteils B) 3.b) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden war. Mit dem nunmehr ergangenen Ersatzbescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 24. Oktober 1990 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11. August 1988 gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1950 als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, mit Bescheid vom 20. Mai 1988 habe der Magistrat der Stadt Wien Änderungen an der Betriebsanlage des Fernheizwerkes N am Standort Wien, nn, gemäß § 81 GewO 1973 genehmigt. Gleichzeitig seien die dagegen eingebrachten Einwendungen der Beschwerdeführerin mangels Parteistellung in einem eigenen Bescheidspruchteil zurückgewiesen worden. Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin habe der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 11. August 1988 abgewiesen. Mit Schriftsatz vom 31. August 1988 habe die Beschwerdeführerin gegen den letztangeführten Bescheid neuerlich Berufung erhoben, worüber der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem vorangeführten Spruchteil des Bescheides vom 17. November 1989 abgesprochen habe. Nach Behebung des letztzitierten Spruchteiles durch den Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 89/04/0276, habe der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten nochmals über die an ihn gerichtete Berufung zu entscheiden gehabt. Gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1950 habe die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Aus dem Berufungsantrag müsse zwar nicht wörtlich aber doch in eindeutig erkennbarer Weise das Begehren des Berufungswerbers zu Tage treten, den angefochtenen Bescheid zu beheben, somit also ersatzlos zu beseitigen oder in bestimmter Weise abzuändern. Die Berufungsbegründung habe die Gründe, die den Berufungsantrag rechtfertigen, darzulegen, wobei im Falle eines teilbaren Spruches jeder Teil einer eigenen Berufungsbegründung bedürfe. Das Fehlen eines der im § 63 Abs. 3 AVG 1950 genannten Bestandteile einer Berufung stelle keinen nach § 13 Abs. 3 AVG 1950 verbesserungsfähigen Formmangel, sondern einen inhaltlichen Fehler dar, der zur Zurückweisung führen müsse. Mit der vorliegenden Berufung vom 31. August 1988 fechte die Beschwerdeführerin ausdrücklich den oben zitierten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien an (Berufungserklärung), ohne damit aber in irgendeiner Weise ihr eigentliches Berufungsbegehren zum Ausdruck zu bringen. So lasse insbesondere das materielle Berufungsvorbringen, in dem sich die Beschwerdeführerin mit zahlreichen rechtlichen und technischen Problembereichen auseinandersetze, offen, ob die Berufung auf die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides oder aber auf dessen bloße Abänderung gerichtet sei. Die Beschwerdeführerin verweise auf der einen Seite beispielsweise auf die Unzuständigkeit der Behörde und in weiterer Folge wiederholt darauf, daß die Anlage nicht genehmigungsfähig sei, was für sich auf die Absicht einer gänzlichen Behebung des angefochtenen Bescheides schließen ließe, begehre aber in völligem Widerspruch dazu im gleichen Schriftsatz die materielle Abänderung und Ergänzung des angefochtenen Bescheidabspruches (so etwa auf den Seiten 14 und 18 der Berufung, wonach z.B. eine Einschränkung der Anlagebetriebsstunden "in den Spruch des Bescheides aufgenommen werden müßte"). In gleicher Weise wie den Berufungsantrag lasse die Berufung auch eine mit dem konkreten Bescheidabspruch im Zusammenhang stehende Berufungsbegründung vermissen. Die Berufungswerberin scheine nämlich - bei offenbarer Verwendung eines Berufungsmusters weiterer Berufungswerber - völlig übersehen zu haben, daß die Behörde mit dem angefochtenen Genehmigungsbescheid in Form von mehreren trennbaren Spruchteilen entschieden und dabei gegenüber der Beschwerdeführerin auf Grund der diesbezüglichen Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides eine ihre Einwendungen mangels Parteistellung zurückweisende Entscheidung getroffen habe. Wenngleich es der Beschwerdeführerin deshalb nicht verwehrt sei, in ihren Berufungsausführungen auch auf sie nicht betreffende Bescheidspruchteile einzugehen, so liege jedoch schon rein formal gesehen die erforderliche Berufungsbegründung im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG 1950 erst dann vor, wenn sie sich in irgendeiner Weise gegen den auf die Beschwerdeführerin abstellenden Spruchteil richte. Dementsprechend wäre es an der Beschwerdeführerin gelegen gewesen, jedenfalls neben ihren sonstigen rechtlichen und technischen Überlegungen ihre Gründe für eine allenfalls dennoch vorliegende Parteistellung anzugeben. Da die Beschwerdeführerin aber solche, auf den sie betreffenden Spruchteil abstellende Gründe nicht einmal anspreche, erfülle die Berufung auch in diesem Punkt im Sinne des in der Bescheidbegründung bezeichneten Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnisses betreffend die Berufungsbegründung eines teilbaren Spruches nicht die Voraussetzungen des § 63 Abs. 3 AVG 1950.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - gleichwie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ihrem Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin "in dem Recht auf gesetzmäßige Anwendung des § 63 AVG 1950" sowie weiters in dem "Recht auf Sachentscheidung gemäß § 66 AVG" verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften u. a. vor, es komme nicht darauf an, ob ein Berufungswerber eine formell und inhaltlich vollendete Darstellung seiner Absichten zustande bringe - was übrigens bekanntlich auch Rechtsanwälten nicht immer gelinge -, sondern nur darauf, daß aus den Berufungsausführungen im Zusammenhang mit dem Verhalten der Partei im Verfahren vor der Unterinstanz mit Sicherheit geschlossen werden könne, was die Partei anstrebe. Aus der Berufungsschrift müsse sich mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, was der Berufungswerber beabsichtige. Mit der Bestimmung des § 63 AVG 1950 solle keinesfalls ein dem Geist des AVG fremder, übertriebener Formalismus in das Verwaltungsverfahren eingeführt werden; eine zu formalistische Interpretation sei vielmehr ausdrücklich abzulehnen. Daß der belangten Behörde bzw. dem angefochtenen Bescheid aber gerade ein derartiger übertriebener Formalismus vorzuwerfen sei, bedürfe keiner weiteren Erörterung, ergebe sich doch aus ihrer Berufungsschrift vom 31. August 1988 mit hinreichender Deutlichkeit, was sie mit der Berufung anstrebe, nämlich in erster Linie die Kassierung des Bescheides zweiter Instanz (Seite 3 zweiter Absatz der Berufung); in eventu die Ergänzung des Verfahrens zweiter Instanz - dies ergebe sich wohl mit hinreichender Deutlichkeit aus den zahlreichen Hinweisen auf näher spezifizierte Mängel des Berufungsverfahrens -; in eventu schließlich die Abänderung des angefochtenen Bescheides zweiter Instanz und zwar ebenfalls hinsichtlich der genau spezifizierten Punkte, wobei wiederum ausdrücklich die Abänderung beantragt werde, so z.B. auf Seite 15 zweiter und dritter Absatz der Berufung. Die Ansicht der belangten Behörde, daß ein Berufungsantrag im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG 1950 nicht vorliege, weil sowohl die Aufhebung als auch die Abänderung des angefochtenen Bescheides begehrt worden sei, was miteinander vollkommen unvereinbar sei, zeige ein geradezu mutwilliges Mißverstehen der Ausführungen in ihrer Berufung. Hier möge die belangte Behörde darauf hingewiesen werden, daß sich die Anträge der Beschwerdeführerin als Eventualanträge verstünden, wie sie ebenso jeder Rechtsanwalt stellen und ausführen bzw. begründen müsse, wolle er sich nicht dem Vorwurf mangelhafter Leistung aussetzen. Der Vorwurf, etwas übersehen zu haben, treffe keineswegs die Beschwerdeführerin, sondern vielmehr die belangte Behörde. Sie habe in ihrer Berufung gegen den Bescheid zweiter Instanz ausdrücklich auf ihre Ausführung zum Thema "Parteistellung" in der Berufung gegen den Bescheid erster Instanz verwiesen und den Inhalt jener Berufung ausdrücklich zum Gegenstand dieser Berufung erhoben. Darüber hinaus habe sie nochmals betont, daß ihr Grundstück im Falle der Genehmigung der Betriebsanlage durch Schadstoffe und Lärm beeinträchtigt würde, womit sie ebenso klar erkennbar die Parteistellung für sich beansprucht habe (Seite 1 zweiter Absatz der Berufung vom 31. August 1988). Dies ergebe sich übrigens schlüssig und erkennbar aus den gesamten Berufungsausführungen, setzten diese doch logisch zwingend die Gewährung der Parteistellung voraus und könnten daher nicht anders verstanden werden, als daß sie eben weiterhin darauf beharre, daß ihr die Parteistellung zukomme. Der Standpunkt der belangten Behörde, daß die Berufung der Beschwerdeführerin vom 31. August 1988 in Ermangelung eines begründeten Berufungsantrages gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1950 als unzulässig zurückzuweisen wäre, sei daher in jeder Hinsicht verfehlt.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1950 hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.

Ein begründeter Berufungsantrag liegt dann vor, wenn die Eingabe erkennen läßt, welchen Erfolg der Einschreiter anstrebt und womit er seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt. Für die Beurteilung, ob ein Berufungsantrag begründet ist, ist nicht wesentlich, daß die Begründung stichhältig ist (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1985, Slg. N.F. Nr. 11.864/A).

Laut der seitens der belangten Behörde (in Kopie) vorgelegten Berufung der Beschwerdeführerin vom 31. August 1988 ergibt sich u.a., daß die Beschwerdeführerin ausdrücklich Entscheidung durch die "unzuständige Behörde" (Punkt 1. des Berufungsschriftsatzes) geltend machte, und in diesem Zusammenhang u.a. unter Hinweis auf Ausführungen der Berufungsbehörde vorbrachte, im Zeitpunkt der Einbringung des gegenständlichen Genehmigungsantrages habe der "Umfang der Anlage" noch gar nicht bekannt sein können, so insbesondere, ob es sich "mehrheitlich um eine Müllverbrennungsanlage oder eben um eine Fernwärmeanlage" handle. Darüber hinaus sei die Behörde überhaupt nicht auf ihren Standpunkt eingegangen, daß "das Energiewirtschaftsgesetz und das Rohrleitungsgesetz" anzuwenden wären. Daraus, daß das Magistratische Bezirksamt nicht die zuständige Behörde sei und gewesen sei, ergebe sich, daß sowohl der Genehmigungsbescheid, mit dem die Anlage zum Zeitpunkt des Brandes betrieben worden sei, nichtig gewesen sei, als auch, daß der Bescheid der MBA 9 vom 20. Mai 1988 "nichtig" sei. Dies habe aber zur Folge, daß die Berufungsbehörde "kassatorisch" vorzugehen habe.

Wenn auch die Annahme der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach bei Bestehen einer rechtlichen Trennbarkeit des im Bescheid der Unterbehörde enthaltenen Abspruches die Berufung hinsichtlich jedes trennbaren Teiles eine Begründung enthalten muß, um der Bestimmung des § 63 Abs. 3 AVG 1950 zu entsprechen (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1982, Zl. 81/11/0057), zutrifft, so ergibt sich unter Hinweis auf das vordargestellte Berufungsvorbringen im Beschwerdefall jedoch, daß die geltend gemachte Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz und das damit im Zusammenhang gestellte Begehren auf "kassatorische" Entscheidung durch die belangte Behörde - unabhängig von der Stichhältigkeit der im Zusammenhang damit vorgebrachten Gründe - erkennen läßt, daß die Beschwerdeführerin damit jedenfalls die Behebung des mit Berufung bekämpften Bescheides aus den von ihr ins Auge gefaßten Gründen einer Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz begehrte. Dieses Begehren betrifft aber begrifflich den gesamten Umfang des Bescheidabspruches und somit auch den von der belangten Behörde in der Begründung dargestellten, damit erfolgten Abspruch über die Frage der Parteistellung der Beschwerdeführerin.

Ausgehend davon lag aber, ohne daß im Sinne der vorstehenden Darlegungen für diese Beurteilung die Stichhältigkeit der Begründung und damit des Berufungsantrages von Relevanz gewesen wäre, jedenfalls auch in Ansehung des die Beschwerdeführerin betreffenden inhaltlichen Abspruches des von ihr mit Berufung bekämpfte Bescheides ein "begründeter Berufungsantrag" im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG 1950 vor, der als solcher - ohne daß auf die Ausführungen in der Bescheidbegründung bzw. das darauf Bezug habende Beschwerdevorbringen über den weiteren Inhalt des Berufungsschriftsatzes der Beschwerdeführerin näher einzugehen war - die Grundlage für einen Sachabspruch der belangten Behörde im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 bildete.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid in Hinsicht darauf mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter AbspruchInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990040326.X00

Im RIS seit

10.09.1991

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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