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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §13 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde des Egon W in L, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 12. September 1990, Zl. 309.778/3-III/5/90, betreffend Nachsicht vom Befähigungsnachweis, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Über den Antrag des Beschwerdeführers vom 7. Dezember 1989 erging der Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 27. Juni 1990, dessen Spruch (mit Einleitungssatz) wie folgt lautet:
"BESCHEID
Egon W, geboren am 13. Juli 1958 in L, österreichischer Staatsbürger, wohnhaft 99 L nn, hat um die unbefristete Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zur Ausübung des Gastgewerbes in der Betriebsart Gasthof im Standort 99 L nn angesucht.
Spruch
Der Landeshauptmann von Tirol als Gewerbebehörde I. Instanz gemäß § 346 Abs. 1 Z. 2 Gewerbeordnung 1973, BGBl. Nr. 50/1974, zuletzt geändert mit Gesetz BGBl. Nr. 399/1988, entscheidet über den gegenständlichen Antrag wie folgt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 4 Gewerbeordnung 1973 wird dem Antragsteller die
unbefristete Nachsicht
vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zur Ausübung des Gastgewerbes in der Betriebsart Gasthof beschränkt auf den Standort 99 L nn
verweigert"
Über die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung erkannte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 12. September 1990 spruchgemäß wie folgt:
"Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 behoben."
Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, im Berufungsverfahren habe der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 30. Juli 1990 sein Nachsichtsansuchen dahingehend abgeändert, daß es nunmehr auf eine Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für ein Gastgewerbe in der Betriebsart eines Gasthofes im Standort L nn - befristet bis 30. Juni 1991 - zu lauten habe.
Die Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis sei ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt. Hiebei komme im Hinblick auf die Regelung des § 28 GewO 1973 einer Befristung des Nachsichtsansuchens entsprechend dem Abs. 5 dieser Bestimmung insofern Bedeutung zu, als - wenn die Nachsicht zeitlich beschränkt angestrebt werde - sich neben der Prüfung der Fortführung eines bestehenden Betriebes die Beurteilung der in § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a GewO 1973 bezeichneten Hinderungsgründe und der nach lit. b vorausgesetzten besonderen örtlichen Verhältnisse nur auf den Befristungszeitraum zu erstrecken habe. Die Befristung bzw. zeitliche Beschränkung des Nachsichtsansuchens stelle - unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Oktober 1980, Zl. 713/79 - im allgemeinen eine wesentliche Änderung des Parteibegehrens dar, deren Vornahme im Zuge eines anhängigen Berufungsverfahrens der Berufungsbehörde das in § 66 Abs. 4 AVG 1950 normierte Recht zu einer Sachentscheidung aber insofern nehme, als über das geänderte Begehren keine Entscheidung der Behörde 1. Instanz ergangen sei. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer im Zuge des anhängigen Berufungsverfahrens sein Ansuchen um Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für ein Gastgewerbe in der Betriebsart eines Gasthofes "im Standort L nn durch die zeitliche Beschränkung der beantragten Nachsicht vom 30. Juni 1991" abgeändert habe, liege eine wesentliche Änderung des Parteibegehrens vor. Über dieses geänderte Parteibegehren eine Sachentscheidung zu treffen sei die Berufungsbehörde nicht berechtigt. Der angefochtene Bescheid sei daher zu beheben gewesen. Der Landeshauptmann von Tirol werde nun in 1. Instanz über das geänderte, auf die Erteilung einer befristeten Nachsicht gerichtete Parteibegehren zu entscheiden haben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem Recht verletzt, mit dem angefochtenen Bescheid werde dem Beschwerdeführer "zu Unrecht die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für ein Gastgewerbe in der Betriebsart eines Gasthofes mit Standort in 99 L nn, befristet bis 30. Juni 1991, verweigert". Der Beschwerdeführer beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Zur Begründung wird in der Beschwerde im wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid stehe auf dem Standpunkt, die mit Eingabe vom 30. Juli 1990 vorgetragene Änderung des Ansuchens stelle eine wesentliche Änderung des Parteibegehrens dar. Das ursprünglich "für immer" gestellte Nachsichtsansuchen sei in ein befristetes bis 30. Juni 1991 umgewandelt worden. Da die Behörde 1. Instanz nicht über ein solches befristetes Nachsichtsansuchen entschieden habe, sei der Berufungsinstanz die Möglichkeit genommen, über das erst im Berufungsverfahren geänderte Begehren eine Entscheidung zu fällen. Diese Rechtsansicht sei nicht richtig und führe zu einem Verfahrensmangel. Die belangte Behörde hätte vielmehr in der Sache selbst entscheiden müssen. Der angefochtene Bescheid verweise auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Oktober 1980, Zl. 713/79. Dieses Erkenntnis sei hier aber nicht verwertbar. Der genannten Entscheidung sei eine Änderung des Parteibegehrens im Zuge des Berufungsverfahrens in der Weise vorgelegen, daß eine Einschränkung des Ansuchens auf einen bestimmten Standort im Sinne des § 28 Abs. 4 GewO 1973 zu erfolgen habe. Es sei naheliegend, daß dadurch eine erhebliche Änderung der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 eintrete. Von einer solchen erheblichen Änderung des Begehrens könne aber nicht gesprochen werden, wenn ein unbefristetes Nachsichtsansuchen in ein befristetes umgewandelt werde.
Zur Stützung seines Rechtsstandpunktes verweist der Beschwerdeführer auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. September 1981,
Zlen. 81/06/0046, 0047, 0048, 0055, 0056 und 0057. Darin werde zum Ausdruck gebracht, daß es entscheidungsrelevant sei, ob die Änderung, die im Zuge des Berufungsverfahrens vorgenommen worden sei, erheblich sei, also von "Relevanz" sei. In die gleiche Richtung weise auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. November 1974, Slg. N.F. Nr. 8704/A. Dort werde ausgesprochen, daß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Grundlage dafür biete, unter Übergehung der 1. - und auch der 2. - Instanz über einen Antrag abzusprechen, welcher über den in 1. Instanz gestellten und dort allein verhandelten Antrag ERHEBLICH hinausginge. Wenn der Beschwerdeführer aber sein Nachsichtsansuchen von einem unbefristeten in ein befristetes umwandle, dann sei diese Änderung nicht von "Relevanz" oder erheblich.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Beschwerde zum Erfolg zu führen.
Nach § 28 Abs. 1 GewO 1973 ist - sofern eine Verordnung gemäß § 22 Abs. 4 nicht gegenteiliges bestimmt - die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis - ausgenommen vom Erfordernis der Zusatzprüfung gemäß § 99 oder § 102 - zu erteilen, wenn nach dem Bildungsgang und der bisherigen Tätigkeit des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, daß er die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt und (Z. 1 a) ihm die Erbringung des vorgeschriebenen Befähigungsnachweises wegen seines Alters, seiner mangelnden Gesundheit oder sonstigen in seiner Person gelegenen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist, oder (b) wenn besondere örtliche Verhältnisse für die Erteilung der Nachsicht sprechen und (Z. 2) keine Ausschließungsgründe gemäß § 13 vorliegen.
Gemäß Abs. 5 dieser Gesetzesstelle - in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399 - ist die Nachsicht gemäß Abs. 1 unbefristet zu erteilen, es sei denn, daß durch die Nachsichtserteilung die Fortführung eines bestehenden Betriebes, auch wenn für diesen keine entsprechende Gewerbeberechtigung mehr besteht, ermöglicht werden soll.
Nach § 66 Abs. 4 AVG 1950 hat die Berufungsbehörde - außer in dem im vorliegenden Beschwerdefall nicht in Betracht kommenden Fall des § 66 Abs. 2 AVG 1950 -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den im Berufungsweg angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
"Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat (im Falle einer eingeschränkten Berufung der vom Rechtsmittel erfaßte Teil des Bescheides, wenn dieser vom übrigen Bescheidinhalt trennbar ist). Der Akzent liegt hiebei auf der "Angelegenheit" im Sinne der "in Verhandlung stehenden Angelegenheit", die der Spruch zu erledigen hat (§ 56 Abs. 1 AVG 1950), und nicht auf dem verbalen "Inhalt des Spruches". Unter diesem Bezug kann die "Sache" nicht generell, sondern nur auf Grund der jeweiligen Verwaltungsvorschrift, die die konkrete Verwaltungssache bestimmt, "eruiert" werden (siehe hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. Nobember 1983, Slg. N.F. Nr. 11237/A, und ferner u.a. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1989, Zl. 88/04/0171).
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß im Zuge des Berufungsverfahrens das (ursprünglich unbefristete) Ansuchen auf Erteilung der Nachsicht im Sinne des § 28 Abs. 5 GewO 1973 eingeschränkt wurde.
Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, die Einschränkung des Nachsichtsansuchens von einem unbefristeten in ein befristetes sei nicht "von Relevanz oder erheblich", so vermag der Verwaltungsgerichtshof dem nicht beizupflichten. Dies schon deshalb, weil - worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hinweist - eine befristete Nachsicht nur unter der in dieser Gesetzesstelle angeführten WEITEREN Voraussetzung zu erteilen ist (siehe zur diesbezüglich vergleichbaren Regelung vor der Gewerberechtsnovelle 1988 das hg. Erkenntnis vom 19. März 1975, Slg. N.F. Nr. 8789/A). Derart war die "Angelegenheit" (zeitlich eingeschränktes Nachsichtsansuchen) - und zwar in ihrer rechtlichen Art - nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0014).
An dieser Beurteilung vermag auch nichts zu ändern, wenn sich der Beschwerdeführer zur Stützung seines Rechtsstandpunktes auf bestimmte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes in Baurechtsangelegenheit beruft, die - schon im Hinblick auf den normativen Gehalt der hier anzuwendenden Vorschriften - anders gelagerte Fallkonstellationen betrafen.
Durch die Änderung des Ansuchens - und insofern Zurückziehung des ursprünglich gestellten unbefristeten Nachsichtsansuchens - wurde der Bescheid der Behörde 1. Instanz nicht beseitigt, vielmehr hat diese Änderung des Nachsichtsansuchens zur Folge, daß für die Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes, wie ihn die Erteilung einer Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 1982, Zl. 81/04/0251), eine Voraussetzung fehlt; der erlassene Bescheid daher nicht mehr Gegenstand der Rechtsordnung sein darf. Für die belangte Behörde als Berufungsbehörde bestand demnach - was sie auch richtig erkannt hat - die Pflicht, über die Berufung des Beschwerdeführers zu entscheiden, und zwar in der Form, daß der angefochtene (erstinstanzliche) Bescheid aufgehoben wird. Die Berufungsbehörde ist ja ganz allgemein verpflichtet, von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung ihrer Erledigung auszugehen, also das nunmehrige Fehlen des Antrages (auf unbefristete Nachsichtserteilung) aufzugreifen. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 23. Dezember 1974, Zl. 2052/74, ausgesprochen, daß die Zurückziehung eines Ansuchens nicht dem Verzicht auf eine erhobene Berufung gleichkommt und die Berufungsbehörde daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 den von ihr durch eine zulässige und fristgerechte Berufung angefochtenen Bescheid beheben muß.
Die Beschwerde erweist sich somit im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Änderung von Anträgen und Ansuchen im BerufungsverfahrenInhalt der Berufungsentscheidung KassationMaßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseBeschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die SacheBeschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage RechtsquellenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990040302.X00Im RIS seit
11.05.2001Zuletzt aktualisiert am
17.07.2009