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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der Juliane S in L, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 28. Februar 1991, Zl. VerkR-14.001/2-1991-II/Sch, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.380,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der OÖ Landesregierung vom 28. Februar 1991 wurde die Beschwerdeführerin wegen einer Übertretung des § 19 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 7 StVO 1960 bestraft, weil sie am 9. Mai 1989 um 10,23 Uhr in Linz auf der Reuchlinstraße aus Richtung Burgenlandstraße kommend und in Richtung Hanuschstraße fahrend auf der Kreuzung mit der Hanuschstraße als Lenkerin eines Fahrrades den Vorrang eines Einsatzfahrzeuges der Bundespolizeidirektion Linz, "welches durch Verwendung des Folgetonhornes als solches erkennbar war", verletzt habe, weil dessen Lenker zu einem unvermittelten Bremsen seines auf der Hanuschstraße in Richtung Unionstraße fahrenden Fahrzeuges genötigt worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 19 Abs. 2 StVO 1960 haben Einsatzfahrzeuge (§ 2 Abs. 1 Z. 25) immer den Vorrang. Wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), darf zufolge Abs. 7 dieser Gesetzesstelle durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Unter Einsatzfahrzeug ist zufolge § 2 Abs. 1 Z. 25 leg. cit. ein Fahrzeug zu verstehen, das auf Grund kraftfahrrechtlicher Vorschriften als Warnzeichen (§ 22) blaues Licht und Schallzeichen mit Aufeinanderfolge verschieden hoher Töne führt, für die Dauer der Verwendung eines dieser Signale.
Da die belangte Behörde das erstinstanzliche Straferkenntnis ohne Änderung der Tatumschreibung bestätigt, also der Beschwerdeführerin vorgeworfen hat, den Vorrang eines Einsatzfahrzeuges verletzt zu haben, "welches durch Verwendung des Folgetonhornes als solches erkennbar war", hängt die Rechtmäßigkeit des Schuldspruches davon ab, ob die belangte Behörde davon ausgehen durfte, daß es sich bei dem im Vorrang befindlichen Fahrzeug deshalb um ein Einsatzfahrzeug im Sinne der wiedergegebenen Legaldefinition gehandelt hat, weil "Schallzeichen mit Aufeinanderfolge verschieden hoher Töne" verwendet worden sind. Es hat daher außer Betracht zu bleiben, ob das Polizeifahrzeug schon allein deshalb als Einsatzfahrzeug zu qualifizieren gewesen wäre, weil zur Tatzeit auch "blaues Licht" verwendet worden ist. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Anwendbarkeit der Vorrangbestimmungen nicht nur die Wahrnehmbarkeit des anderen Fahrzeuges voraussetzt (vgl. dazu das Urteil des OGH vom 10. September 1985, 2 Ob 42/85, ZVR 1986/12), sondern daß der Beschwerdeführerin überdies nur dann ein Verschulden an der Mißachtung des Vorranges des - durch die Verwendung von Schallzeichen bevorrangten - Einsatzfahrzeuges vorgeworfen werden durfte, wenn es ihr bei gehöriger Vorsicht und Aufmerksamkeit möglich war, "Schallzeichen mit Aufeinanderfolge verschieden hoher Töne" so rechtzeitig wahrzunehmen, daß sie ihr Fahrverhalten auf den damit gegebenen Vorrang des Einsatzfahrzeuges einstellen konnte.
Obwohl die Beschwerdeführerin schon in der Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis diesbezügliche Erwägungen angestellt hat, läßt die Begründung des angefochtenen Bescheides dazu jegliche Erörterungen vermissen, da sich die belangte Behörde im wesentlichen auf den Hinweis beschränkt hat, daß vier namentlich genannte Zeugen wenige Tage nach dem Vorfall niederschriftlich gegenüber der Sicherheitswache der Bundespolizeidirektion Linz übereinstimmend angegeben hätten, daß das Blaulicht des Einsatzfahrzeuges eingeschaltet gewesen sei, und an anderer Stelle des angefochtenen Bescheides lediglich noch darauf hingewiesen hat, die Berufungsbehörde sei der Ansicht, "daß das Folgetonhorn vor dem Zusammenstoß ebenfalls in Betrieb war".
Diesen Begründungsmangel hält der Gerichtshof für wesentlich im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, weil die Aussage des Zeugen Rudolf E. vom 23. November 1990, "ich hörte Folgetonhorn, als das von mir gehörte Bremsgeräusch zu Ende war. Bis zum Ende des Bremsgeräusches hörte ich kein Folgetonhorn", Zweifel in der Richtung zu begründen vermag, ob in der dem Zusammenstoß mit dem Fahrrad der Beschwerdeführerin unmittelbar vorausgegangenen Phase des Geschehens im Einsatzfahrzeug das Folgetonhorn eingeschaltet war, sodaß es von der von rechts auf die Kreuzung und damit dem Ort des Zusammenstoßes zufahrenden Beschwerdeführerin rechtzeitig wahrgenommen werden mußte. Der erwähnte Zeuge hat überdies bereits anläßlich seiner niederschriftlich festgehaltenen Befragung durch die Verkehrsabteilung der Bundespolizeidirektion Linz vom 10. Mai 1989 angegeben, daß er sich zur Tatzeit ca. 100 m vor der in Rede stehenden Kreuzung befunden habe, was deshalb von Bedeutung ist, weil der Lenker des Polizeifahrzeuges erklärt hat, daß er "ca. 100 m vor der Kreuzung ... den Knopf für das Folgetonhorn herauszog", wobei sich das Folgetonhorn "sofort einschaltete". Damit besteht aber ein aufklärungsbedürftiger Widerspruch in den erwähnten Zeugenangaben hinsichtlich des Ortes, an welchem sich das Polizeifahrzeug befunden hat, als das Folgetonhorn betätigt worden ist, wobei nach der Aussage des Zeugen E. nicht auszuschließen ist, daß das Folgetonhorn erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß mit der Beschwerdeführerin, und damit in sehr geringer Entfernung vor der Kreuzung eingeschaltet worden ist (womit Zweifel an dessen rechtzeitiger Wahrnehmbarkeit durch die Beschwerdeführerin begründet wären), zumal der Lenker des Polizeifahrzeuges angegeben hat, er sei ca. 30 m von der in Rede stehenden Kreuzung entfernt gewesen, habe die Beschwerdeführerin gesehen und sofort "eine Vollbremsung" eingeleitet, "sodaß die Räder des Fw. blockierten", während der Zeuge E., wie schon erwähnt, ausgesagt hat, daß "bis zum Ende des Bremsgeräusches", also offensichtlich des Blockierens der Räder des Polizeifahrzeuges, "kein Folgetonhorn" zu hören war. Schließlich hat die Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Befragung durch die Polizei am 28. Mai 1989 erklärt, daß sie vor dem "Wegfahren" (nachdem sie vor der gegenständlichen Kreuzung angehalten hatte) "weder etwas sehen noch hören konnte".
Es kann also nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides - allenfalls nach einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens - diesbezügliche Überlegungen angestellt hätte.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz (im Rahmen des gestellten Antrages) gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Beweismittel Amtspersonen Meldungsleger Anzeigen Berichte Zeugenaussagen Beweismittel Zeugenbeweis Beweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von AmtspersonenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991180106.X00Im RIS seit
12.06.2001