TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/13 91/18/0107

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Veröffentlicht am 13.09.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;
VStG §25 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Peter S in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Februar 1991, Zl. MA 70-11/1064/90/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Februar 1991 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug für schuldig erkannt, er habe am 7. April 1989 um 15.20 Uhr in Wien 2, Obere Donaustraße 53, einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) in Verbindung mit § 5 Abs. 1 dieses Gesetzes begangen; es wurde eine Geld- und Ersatzarreststrafe verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge "mangelhaften Verfahrens" erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorliegen einer Gegenschrift der belangten Behörde erwogen hat:

Im Erkenntnis vom 26. April 1991, Zl. 91/18/0004, hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem ausgeführt:

"Die Verwaltungsbehörden haben frei und unabhängig von den Entscheidungen der Gerichte zu beurteilen, ob eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO vorliegt (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, zitiert im Erkenntnis vom 20. November 1990, Zl. 90/18/0135). Diese Rechtsansicht hat auch in der Literatur Zustimmung erfahren (Gaisbauer, Unterbrechung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 bis zum Abschluß des gerichtlichen Straßverfahrens, ZVR 1989, 304). Dies bedeutet, daß der Freispruch des Beschwerdeführers von der Qualifikation nach § 81 Z. 2 StGB durch das Gericht rechtlich kein Hindernis für die Verwaltungsbehörde darstellt, das Vorliegen einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO anzunehmen.

Eine andere, auf der Tatsachenebene liegende Frage ist es, ob ein im gerichtlichen Strafverfahren erstattetes Sachverständigengutachten geeignet ist, das Gutachten eines Amtssachverständigen im Verwaltungsstrafverfahren zu erschüttern. Diese Möglichkeit ist grundsätzlich gegeben, so zum Beispiel, wenn einem Befund und / oder einem Gutachten eines Sachverständigen innere Widersprüche vorgeworfen werden können oder wenn aufgezeigt werden kann, daß die Schlußfolgerungen des Sachverständigen mit jenen der allgemein anerkannten Literatur seines Fachgebietes in Widerspruch stehen. Der bloße Umstand, daß Sachverständige zu verschiedenen Ergebnissen kommen, macht an sich weder das eine noch das andere Sachverständigengutachten unglaubwürdig.

Es liegt allerdings in der Mitwirkungspflicht der Partei im Verwaltungsstrafverfahren (zu dieser siehe die Erkenntnisse vom 26. Juni 1959, Slg. NF Nr. 5007/A und vom 17. September 1968, Slg. NF Nr. 7400/A; ferner die Ausführungen von Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens4, S. 708/09), vor der Verwaltungsbehörde in bestimmter Weise aufzuzeigen, welche Befundaussagen und welche gutachtlichen Schlußfolgerungen des Sachverständigen aus welchen Gründen unrichtig sein sollen, wobei sich die Partei auch auf ein in einem anderen Verfahren erstattetes Sachverständigengutachten berufen kann. Sofern dem nicht unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, wird es aber Sache der Partei sein, dieses andere Sachverständigengutachten der Verwaltungsbehörde in Urschrift, Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß die Berufung auf einen "'Akt, Strafakt' schlechthin - außer wenn es um die Existenz dieses Aktes an sich geht - kein geeignetes Beweismittel darstellt, und zwar wegen der Unbestimmtheit der durch den Akt zu beweisenden Themen."

Im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren wurde zwar kein Amtssachverständiger vernommen, doch hat sich der Beschwerdeführer im Laufe des Berufungsverfahrens, nämlich in seinem Schriftsatz vom 10. Dezember 1990, hinsichtlich der Frage seiner Alkoholbeeinträchtigung auf das im Strafverfahren vor dem Bezirksgericht Donaustadt erstattete Sachverständigengutachten des Univ. Doz. Dr. Christian R berufen und auch eine Fotokopie des dieses Gutachten enthaltenden Hauptverhandlungsprotokolles vom 5. Juni 1990 vorgelegt. Damit ist der Beschwerdeführer seiner im oben zitierten Erkenntnis genannten Mitwirkungspflicht nachgekommen, weshalb die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, sich mit dem Inhalt dieses Sachverständigengutachtens auseinanderzusetzen. Sie hat dies aber in keiner Weise getan.

Aktenwidrig ist die Ausführung in der Begründung des angefochtenen Bescheides (dort Seite 3), der Beschwerdeführer habe bestimmte "auch später nicht bestrittene Trinkangaben gemacht", weil der Beschwerdeführer im bereits erwähnten Schriftsatz vom 10. Dezember 1990 ausdrücklich ausführte, es sei ihm völlig unerklärlich, wie Angaben über seinen Alkoholgenuß in den Akt gekommen seien; diesbezügliche Angaben fänden sich in dem von ihm nicht unterschriebenen "Protokoll zur Alkoholuntersuchung" vom 7. April 1989, welches aber zur Zeit der Akteneinsicht seines Rechtsanwaltes am 28. Februar 1990 nicht Bestandteil des Verwaltungsstrafaktes gewesen sei.

Auf Grund des Akteninhaltes kann zwar nicht beurteilt werden, ob letztere Behauptung - spätere Einfügung des Protokolles vom 7. April 1989, so daß bei Akteneinsicht am 28. Februar 1990 dieses Protokoll dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis kommen konnte - richtig ist; doch war die belangte Behörde in Anbetracht des Vorbringens im Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 10. Dezember 1990 nicht berechtigt, in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon auszugehen, der Beschwerdeführer hätte bestimmte Trinkangaben gemacht und diese niemals bestritten. Da der angefochtene Bescheid unter anderem gerade von diesen Trinkangaben ausgeht, um zu einem bestimmten Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers zu gelangen, wurde der Sachverhalt von der belangten Behörde in diesem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen.

Die oben geschilderte Unterlassung der belangten Behörde, sich mit dem Inhalt des Sachverständigengutachtens des Dr. R auseinanderzusetzen, stellt einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 25 Abs. 2 VStG dar, bei deren Beachtung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, erstens, weil der Schriftsatzaufwand gemäß Art. I Z. 1 der zitierten Verordnung S 11.120,-- beträgt und zweitens, weil an Stempelmarken nur S 420,-- beizubringen waren.

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweismittel Gerichtsverfahren Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung ärztliches Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991180107.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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