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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pichler, über die Beschwerde der C-OHG in K, vertreten durch Dr. NN, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 8. Februar 1991, Zl. 8 BauR 1-118/1/1991, betreffend einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Bausache (mitbeteiligte Partei: Landeshauptstadt Klagenfurt, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Kärnten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die Kärntner Landesregierung dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Vorstellungsfrist in einer Bausache keine Folge und wies die Vorstellung als verspätet zurück. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und Darstellung der hier maßgeblichen Rechtslage begründete die Gemeindeaufsichtsbehörde ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführerin die Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht gelungen sei. Hiefür wurde eine Reihe von Argumenten angeführt.
In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt die Beschwerdeführerin, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, weil er sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Sicht als verfehlt anzusehen sei.
Über diese Beschwerde sowie über die Gegenschriften der belangten Behörde und der mitbeteiligten Partei hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Vorstellung an die belangte Behörde damit begründet, daß ein Rechtsanwaltsanwärter in der Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin die Vorstellung verfaßt habe und ihm der Auftrag erteilt worden sei, die Ausgangspost und auch die Vorstellung am Freitag, dem 24. August 1990, zum Postamt zu tragen und dort aufzugeben. Am Montag, dem 27. August 1990, habe die Kanzleileiterin des Vertreters der Beschwerdeführerin das offensichtlich zu Boden gefallene Kuvert, in welchem sich die Vorstellung befunden habe, gefunden. Bei dem Rechtsanwaltsanwärter handle es sich um einen ansonsten verläßlichen Mitarbeiter in der Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin, sodaß für den Vertreter der Beschwerdeführerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 AVG vorliege. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde mit der Vorstellung in einem Schriftsatz verbunden, welcher mit 29. August 1990 datiert ist. Diesem Schriftsatz war die eidesstättige Erklärung des Rechtsanwaltsanwärters angeschlossen, wonach dieser am Freitag, dem 24. August 1990, "mit der Erledigung der Postaufgabe der Vorstellung" beauftragt war und diesem Auftrag "aus Versehen nachgekommen ist". (Hier fehlte offensichtlich nach dem Wort "Versehen" das Wort "nicht", wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend bemerkt.)
Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß in dem versehentlichen Zurückbleiben eines für die Postaufgabe bestimmten Rechtsmittels in der Rechtsanwaltskanzlei ein Versehen zu erblicken ist, welches als unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG beurteilt werden kann. In einem solchen Fall kann nicht davon gesprochen werden, daß die mit der Aufgabe betraute Person so auffallend sorglos gehandelt habe, daß von einem minderen Grad des Versehens keine Rede sein kann (vgl. hiezu die etwa bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 663, wiedergegebenen Entscheidungen zur gleichartigen Regelung des § 46 Abs. 1 VwGG). Daß aber der Rechtsanwaltsanwärter, dem das genannte Mißgeschick unterlaufen ist, ansonsten ein verläßlicher Mitarbeiter in der Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführerin ist, hat der Rechtsanwalt in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung ausdrücklich ausgeführt und die belangte Behörde hat dies in der Begründung des angefochtenen Bescheides auch nicht in Zweifel gezogen. Wenn aber der Rechtsanwaltsanwärter an dem genannten Freitag als Letzter die Kanzlei verließ, wie in der Beschwerde ausgeführt wurde, dann kann auch dem Vertreter der Beschwerdeführerin nicht zu Recht der Vorwurf gemacht werden, er hätte einer bestehenden Überwachungspflicht nicht entsprochen, wie dies in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt wird.
Wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides darauf verweist, daß "auch die gegenständliche Vorstellung mit 29. 8. 1990 datiert ist", so erklärt sich dies aus dem schon genannten Umstand, daß nunmehr in einem Schriftsatz der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und gleichzeitig die Vorstellung nachgeholt wurde. Ein Anschluß der ursprünglichen Vorstellung war in diesem Fall nicht erforderlich, wenngleich er im Sinne der Ausführungen der belangten Behörde hätte erfolgen können. Keinesfalls teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der belangten Behörde, es widerspräche jeglicher Lebenserfahrung, daß gerade in einem solchen Fall "ein derart vorrangiges Beweismittel zur Glaubhaftmachung" der Behörde nicht vorgelegt worden sei.
Auf Grund der dargelegten Erwägungen hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG sowie auf die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft für die Rechtsverfolgung nicht erforderliche Stempelgebühren, in der Beschwerde als Barauslagen bezeichnet.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991050066.X00Im RIS seit
17.09.1991